Sein Bruder starb 1970 am Nanga Parbat. Jetzt klagen Ex-Kameraden an: “Reinhold ist mit schuld.“

München. Die vier haben geschwiegen, 32 Jahre lang. Geschwiegen über das, was am Nanga Parbat wirklich geschah - 1970, als das Expeditionsteam von Karl Herrligkoffer den 8126 Meter hohen Himalaja-Riesen bezwang. Erstmals über die fast 5000 Meter senkrecht abfallende Rupal-Flanke, die höchste Steilwand der Welt. Reinhold Messner, damals 25, war der Erste, dem dies gelang. Und der Erste, der einen Achttausender "überstieg" - auf der Rupalseite hinauf und auf der anderen, der Diamirseite, hinunter. Messners Bruder Günther (23) kam dabei ums Leben. Und zu diesem Tod wollen sie nicht mehr schweigen, die vier Teilnehmer von damals: der Münchner Max Engelhardt von Kienlin, der in Chile lebende Hans Saler, der Fotograf Jürgen Winkler und der Filmer Gerhard Baur. Max von Kienlin: "Uns waren schon damals Ungereimtheiten aufgefallen. Aber wir haben, ohne Reinhold, fast so etwas wie einen Rütlischwur geleistet, nichts zu sagen." Deshalb verweigerten sie auch 1970 im Prozess Herrligkoffer kontra Messner die Aussage. Messner beschuldigte den Expeditionsleiter, durch ein falsches Signal das Drama mitverschuldet zu haben (es war vereinbart worden, im Basislager bei Schönwetter eine blaue, bei drohendem Schlechtwetter ein rote Rakete aufsteigen zu lassen). Es wurde die rote gezündet - der gemeinsame Gipfelsturm abgeblasen. Vereinbarungsgemäß sollte vom Lager 5 in 7350 Meter Höhe aus der körperlich fitteste Kletterer, Reinhold Messner, einen Alleinangriff wagen: Am 27. Juni 1970 um 2.30 Uhr morgens beginnt er den Aufstieg in der Rupal-Wand. Er ahnt nicht, dass sein Bruder ihm nachsteigt - ebenfalls ohne Seil, Proviant und Schlafsack. Eile schien geboten. Beide erreichten, so Messner damals, den Gipfel. Doch weil sein Bruder für den Abstieg zu erschöpft gewesen sei, Anzeichen stärkster Höhenkrankheit zeigte und zudem (die rote Rakete!) ja schlechtes Wetter drohte, habe er sich von Günther überreden lassen, über die vermeintlich leichtere Diamirseite abzusteigen. Geplant sei das "Übersteigen" aber nie gewesen. Herrligkoffer hatte schon 1970 anklingen lassen, er traue Reinhold zu, dass er in seinem Ehrgeiz, Berggeschichte zu schreiben, seinen möglicherweise vor Erreichen des Gipfels oder beim Biwak danach sterbenden Bruder zurückgelassen hätte. Messner (derzeit in Island und nicht erreichbar) stritt dies ab. Vom vierten Mann, der seine Übersteigungsabsicht bestätigt, wusste er damals nichts. Hans Saler schrieb jetzt einen "offenen Brief" an Messner: "Du wolltest der erste Mensch sein, der einen Achttausender überschreitet. Selbst die Notlage deines erschöpften Bruders konnte dich davon nicht abbringen." Der Grund für diese "Anklage" liegt in zwei neuen Büchern Messners. Seine Aufarbeitung des Dramas in "Der nackte Berg" und die Herrligkoffer-Biografie "Besessen, sieghaft, umstritten" des Historikers Horst Höfler, in der Messner als Co-Autor erscheint. Er stellt Fragen wie "warum aus der Expeditonsgruppe nicht ein paar Leute Manns genug waren, um als Suchtrupp über den Mazenopass auf die Diamir-Seite zu gehen". Das ist der schlimmste Vorwurf, den man Bergkameraden machen kann: unterlassene Hilfeleistung! Max von Kienlin: "Früher war bei ihm nur die ,rote Rakete' an allem schuld. Aber die Rücksichtslosigkeit, mit der er jetzt seine Kameraden beschuldigt, macht es nötig, Stellung zu nehmen." Denn damals nahte tatsächlich Hilfe: Felix Kuen und Peter Scholz (beide fanden Jahre später den Bergsteigertod) waren im Gipfelanstieg, weil das Wetter trotz der roten Rakete ideal war. Hinter ihnen stiegen Hans Saler und zwei weitere Männer in die Rinne, um sie mit Seilen für die erschöpften Rückkehrer, darunter auch die erwarteten Messner-Brüder, zu sichern. Gegen 9.30 Uhr hörten Kuen und Scholz knapp 100 Meter über sich Reinhold rufen. Der Dialog wird auch von Messner bestätigt: "Ist alles in Ordnung?", war die Frage von unten. "Ja! Alles in Ordnung" die Antwort von oben. Er werde "aus Zeitgründen" mit seinem Bruder über die andere Seite absteigen. Eine unerklärliche Antwort. Kienlin: "Man hätte sich entgegensteigen können, hätte Reinhold ihnen nur die schlimme Lage seines Bruders zugerufen." Und Hans Saler: "Ich bin überzeugt, dass dein Bruder lebend zurückgekommen wäre, wenn du Hilfe für ihn gefordert hättest - vorausgesetzt, dass er da noch lebte." Seine Leiche wurde nie gefunden. "Ich bin überzeugt, dass dein Bruder lebend zurückgekommen wäre, wenn du Hilfe gefordert hättest."