Er ist klein, wichtig und manchmal überlebensnotwendig - den richtigen Dreh sollten Segler, Mediziner oder Handwerker schon finden. 4000 Grundformen werden geschätzt

Was haben ein Bullenstek und ein Türkischer Bund gemein, ein Bunsch und ein Talking? Richtig geraten, es sind Knoten. Davon geht die Welt nicht unter? Weit gefehlt. Man erinnere nur an den berühmtesten seiner Gattung, jenen des legendären Phryger-Königs Gordios. Wer ihn löste, sollte Asien beherrschen. Alexander der Große (356-323 v. Chr.) schaffte es bekanntlich kurzerhand mit einem Schwerthieb, und das Perserreich war seins. Eine Welt war untergegangen . . . Zwar erfahren wir aus der Geschichte einiges über das Alter der Knoten, aber das sollte noch niemanden zum Staunen verführen. Knoten sind nämlich älter als so ziemlich alles, was aus der Geschichte der Menschheit überliefert ist. Die Äxte der Steinzeit wurden ebenso von verknoteten Därmen zusammengehalten wie die Pfahlbauten mit Sehnen und Seilen. Höhlenbewohner fingen ihre Nahrung mit Schlingen. Die Gottorfer Moorleichen haben Würgemale von Knoten am Hals, in einer in Dänemark ausgegrabenen Siedlung fand man einen auf 10 000 Jahre geschätzten Angelhaken, der mit einem Webeleinstek an einer Sehne befestigt war. Was heute beim Reiten und Angeln, Klettern und Tauchen, Bogenschießen, Segeln oder Wandern zu den zwar kleinen, doch wichtigen und überlebensnotwendigen Selbstverständlichkeiten gehört, war schon in grauer Vorzeit gang und gäbe. "Der unbekannte Erfinder, der vor 100 000 Jahren als Erster einen Kreuzknoten oder einen Palstek zustande brachte", behauptet der englische Knotenfachmann Geoffrey Budworth, "ist auf eine Stufe zu stellen mit all jenen vergessenen Individuen, die lernten, das Feuer zu beherrschen, den Wind zu nutzen, die Erde zu beackern und ein Rad zu fertigen - all das kam nach den Knoten." Und heute, da Klettverschlüsse und Karabinerhaken, Sekundenkleber und Sicherheitsnadeln uns etliche Fingerübungen im Umgang mit Seilen, Fäden und Bändern abgenommen haben, gehören Knoten zu den unentbehrlichen Helfern ganzer Berufsgruppen. Von Schifffahrt und Bauhandwerk einmal abgesehen, den Möbelspediteuren oder den Bühnenarbeitern am Theater - auch die Medizin kommt trotz aller moderner technischen Hilfsmittel ohne Knoten (und deren Lösung, dem Fädenziehen) nicht aus. So liefert in der Geschichte der Knoten auch der römische Gelehrte Plinius der Ältere (23-79) eine Marginalie, in dem er von dem Kreuzknoten (oder früher Herkulesknoten) behauptete: "Wunden, die mit dem Herkulesknoten geschlossen werden, heilen schneller." Irgendetwas muss dran sein: In modernen Erste-Hilfe-Anleitungen gehört das Schließen von Bandagen und Schlingen mit einem Kreuzknoten zum kleinen Einmaleins. Selbst Musiker haben eigene Knoten, sei es zum Saitenaufziehen oder beim Blattwickeln für die Mundstücke von Holzblasinstrumenten. Geknotete Kordeln sind Kunsthandwerk, Teppiche Wundergebilde daraus, die unterschiedlichsten Stämme und Völker benutzten unabhängig voneinander gebundene Schnüre für Gebete oder Listen, Steuererhebungen oder Fristfestsetzungen. Auch der Rosenkranz der katholischen Kirche ist ursprünglich nichts anderes als eine geknotete Kordel. Physik, Industrie oder Technik - Knoten gehören zu den wichtigsten, weil verblüffend einfachen Erfindungen in der Entwicklung der Menschheit. Was also lag näher, als sich mit derlei simplen Sachen eingehender zu beschäftigen. Natürlich waren es die Tüftler und Denker von den Britischen Inseln, die auch da Vorreiter einer Bewegung waren, die alles andere als ein bloßer Spleen ist. Der Mathematiker Guthrie Tate nannte es im 19. Jahrhundert "Knotenbesessenheit": "Knotenmachen ist ebenso vergnüglich wie Puzzles zu legen, so befriedigend wie das Lösen von Kreuzworträtseln und so angenehm, wie ein fesselndes Buch zu lesen." Und es gibt noch viel zu tun. Immer noch werden neue - oder vermeintlich neue - Knoten erfunden und erhalten dann den Namen ihres "Erzeugers". So wie der pensionierte englische Arzt Edward Hunter, der 1978 bei der "International Guild of Knot Tyers" einen Knoten eintragen ließ, der zwei Seile oder Bändsel verbindet. Er ist fest und sicher, kann aber leicht gelöst werden, wenn der Zug nachlässt. Die "Times" widmete dem Hunter-Knoten damals knapp 100 Zeilen auf ihrer Titelseite. Es war tatsächlich ein Ereignis, hat doch die Wissenschaft bis heute noch nicht exakt herausfinden können, wie die Kräfte in Knoten tatsächlich verlaufen und warum die Knoten so wirken, wie sie wirken. So gibt es auch keine umfassende Klassifizierung beziehungsweise ein klares System der auf zirka 4000 Grundformen geschätzten Knoten. Hinzu kommen unzählige Abänderungen und Varianten. Ob Klemm-, Verbindungs- oder Stopperknoten: Aus dieser Vielzahl wird im Berufsalltag allenfalls eine Handvoll gebraucht. Es gibt keinen anderen Bereich, in dem sich so alte Techniken so lange gehalten haben. Und doch sind Spürsinn und Entdeckergeist gefragt: Über Jahrhunderte hinweg wurde Tauwerk aus Naturfasern entwickelt. Heute ist es meist synthetisch, und das heißt "kalt", weil glatt und ohne natürliche Reibung, auf die die traditionellen Knoten zugeschnitten waren. Mehr denn je gilt es also, auch mit dem neuen - und in Verbindung mit traditionellem - Material das jeweils Richtige zu finden. Nur dann hat man den Bogen raus.