Der Hamburger Lars Möhring hat einen der ungewöhnlichsten Arbeitsplätze, die es für Verkehrspiloten auf der Welt gibt: Im kleinen Königreich Bhutan steuert der 42-Jährige Airbus-Jets atemberaubend eng an Bergen und Gebäuden vorbei.

Paro/Hamburg. Der Mount Everest sieht atemberaubend aus. Lars Möhring blickt aus dem Cockpit auf den höchsten Berg der Welt und lehnt sich in seinem Pilotensitz zurück. Es ist ein kurzer Moment der Entspannung vor der Anspannung. Noch wenige Minuten, dann beginnt der Flugkapitän aus Hamburg mit dem Sinkflug auf seine Wahlheimat Bhutan. Das sei jedes Mal ein Adrenalinstoß, sagt Möhring. "Der Anflug auf den Flughafen Paro ist für Jets der schwierigste der Welt, da gibt es keine Routine, jedes Mal ist es anders." Die 1986-Meter-Landebahn liegt in einem engen Tal, durch das unberechenbare Winde wehen und das umgeben ist von mehr als 4000 Meter hohen Berggipfeln. Wenn die Piloten vom Norden her anfliegen, müssen sie unmittelbar vor dem Aufsetzen um ein Haus auf einem Bergrücken herum und dann aus der Steilkurve direkt landen - das ist einmalig auf der Welt. Langsam schraubt sich die Maschine ins Tal hinunter. Möhring schaltet den Autopiloten aus und steuert den Airbus A319 von Hand. Er ist hoch konzentriert. Einmal im Endanflug, bleibt keine Zeit mehr, den Jet nachträglich auszurichten. Dann hilft im Notfall nur noch durchstarten. Ein- bis zweimal im Jahr komme so was schon vor, erzählt der 42-Jährige. Seine Geschichte ist die eines Piloten, der in die Welt auszog und ein Abenteuer fand.

Aufgewachsen ist Möhring in Winterhude und Eppendorf. Eigentlich ist er ein typischer Norddeutscher, der nicht viele Worte macht, aber trockenen Humor hat. Er ist ein Tüftler, der sich gern an komplexen Problemen abarbeitet und nach dem Abitur zunächst Informatik an der Hamburger Universität studierte. 1996 begann er seine Pilotenkarriere bei Hamburg Airlines, stationiert in Stuttgart. Bis 2006 flog er bei verschiedenen Fluggesellschaften denselben Flugzeugtyp, die vierstrahlige BAe 146. Dann entschied er sich, auf eigene Kosten in den USA die Umschulung auf die weltweit populäre Airbus-A320-Flugzeugfamilie zu machen. Seine erste Anstellung auf dem für ihn neuen Muster fand er durch die Vermittlung einer Agentur ausgerechnet im weltfernen Bhutan, wo vorher auch die für das schwierige Terrain gut geeignete BAe 146 im Einsatz war.

Sein Arbeitsplatz ist sicher einer der ungewöhnlichsten, die es für Verkehrspiloten auf der Welt gibt. Lars Möhring fliegt jetzt seit zwei Jahren die Airbus-A319-Jets der Druk Air Royal Bhutan Airlines, der Fluggesellschaft des kleinen Königreichs im Himalaja. Die Gesellschaft besitzt gerade mal zwei dieser modernen, in Finkenwerder gebauten zweistrahligen Jets (Listenpreis 70 Millionen US-Dollar). Ihre Anschaffung 2004 war die größte Investition in der Geschichte des Staates, der kaum größer als die Schweiz ist und etwa die Einwohnerzahl von Frankfurt am Main hat.

Nur fünf bis sechs Stunden pro Tag können Möhring und seine Kollegen mit den Maschinen im Einsatz sein, denn in Paro ist Flugbetrieb nur bei Tageslicht möglich. Jetzt im Frühjahr ist sogar schon mittags Feierabend, danach werden die Winde zu stark. Keine andere Gesellschaft hat je versucht, Dienste nach Paro anzubieten, die örtlichen Gegebenheiten sind einfach zu schwierig - nicht nur beim Landeanflug, sondern auch beim Start. Der Airport liegt auf 2236 Meter Höhe. Hier oben ist die Luft am Boden dünn. Damit die Flugzeuge sicher aus dem Tal herauskommen, hat Airbus die Maschinen eigens mit stärkeren Triebwerken modifiziert.

Für Lars Möhring ist der Einsatz im Himalaja ein Traumjob: "In Bhutan kann ich nicht nur fliegen, sondern nebenbei auch noch meiner IT-Leidenschaft frönen", sagt er und erzählt, wie er auch die Computersysteme von Druk Air fit für elektronische Tickets gemacht hat, die jetzt auch im Himalaja die früheren Papier-Flugscheine ersetzen.

Asien war für Lars Möhring kein völliges Neuland. Schon während seiner Schulzeit hatte er mit seinem Vater, einem ehemaligen NDR-Kameramann, zwei Jahre in Hongkong verbracht. Doch Bhutan ist anders. Schon auf der Straße ein ungewohntes Bild: Alle Einheimischen laufen in der Nationaltracht herum, das ist offiziell vorgeschrieben. Frauen tragen die Kira, einen Wickelrock, Männer legen den Go an, eine Art Gehrock, dazu weiße Ärmelschoner. Auch Lars Möhring hat für besondere Anlässe so eine Kombination im Schrank, "aber das trage ich nicht gern, das behindert einen ziemlich", gesteht er. Generell ist das Leben als Ausländer hier nicht ganz einfach. Die Bhutaner bleiben gern unter sich. Möhring ist einer von nur zwei ausländischen Piloten, die für Druk Air fliegen und einer von nur einem Dutzend Deutschen, die in Bhutan leben. Die Tatsache, dass Möhring mit 4000 US-Dollar monatlich gemessen am Landesniveau ein fulminantes Gehalt bezieht, vergrößert eher noch die Distanz zu den Kollegen. Zum Vergleich: Ein Lehrer bekommt nicht mal 350 Dollar.

Dass man überhaupt nach Bhutan fliegen kann, ist nicht selbstverständlich. Der schwierigen Geografie eine zwei Kilometer lange Piste für den 1983 eröffneten einzigen Flughafen des Landes abzutrotzen ist schon ein kleines Wunder. Geradlinige Straßen gibt es hier nirgends, sondern überhaupt nur eine einzige Straße von Ost nach West, die 17 Kurven pro Kilometer aufweist. Das Flugzeug ist beinahe die einzige Verbindung zur Außenwelt für Bhutan, das eingeklemmt zwischen Tibet und Indien liegt. Die regelmäßigen Flüge nach Neu-Delhi, Kalkutta, Bangkok und Kathmandu befördern drei Viertel der Verkehrsströme, nur ein Viertel quält sich über den einzigen Grenzübergang auf dem Landweg von und nach Indien. Kein Wunder, dass das kleine Königreich über Jahrhunderte weitgehend von der Außenwelt abgeschottet war und bis heute noch ist. Fernsehen und Internet wurden erst vor zehn Jahren eingeführt, Mobiltelefone 2003.

Als Lars Möhring vor zwei Jahren nach Bhutan kam, war die Straße vom Flughafenort Paro in die 50 Kilometer entfernte Hauptstadt Thimpu noch eine schmale Piste aus bröckeligem Asphalt. Rechtzeitig zur Krönung des fünften Drachenkönigs Jigme Khesar Namgyel Wangchuck, des zutiefst verehrten, gut aussehenden und volksnahen 29 Jahre alten Monarchen, im November 2008 wurde daraus eine komfortable Schnellstraße. "Manche Dinge verändern sich hier unglaublich schnell, andere nie", sagt Möhring, der selbst viele der Staatsgäste eingeflogen hat.

Im vergangenen Jahr beförderte Druk Air mit ihren zwei Flugzeugen 122 484 Passagiere - weniger als die Lufthansa an einem Tag. Dennoch will die Airline jetzt vorsichtig expandieren, und Vorstandschef Tandin Janso kündigt Neuigkeiten für die Airbus-Bauer in Finkenwerder an: "Bis Ende 2010 wollen wir eine dritte A319 anschaffen". Damit will das Land auch den Tourismus als wichtigste Einnahmequelle (neben dem Verkauf von Strom aus Wasserkraft) ankurbeln. Obwohl es bürokratische Hürden bei der Ausstellung eines Visums zu überwinden gibt und Besucher pro Kopf mindestens 200 Dollar am Tag zahlen müssen (wofür sie Unterkunft, Verpflegung und Führer bekommen), kamen 2008 erstmals mehr als 23 000 Touristen nach Bhutan, darunter rund 1500 Deutsche. Das Land hat viel zu bieten, spektakuläre Landschaften, grandiose Klosterburgen und farbenprächtige buddhistische Feste. Bergsteigen wie im benachbarten Nepal ist aus religiösen Gründen verpönt, und Rucksackreisende will man hier auch nicht. "High value, low volume" lautet das Motto, zu Deutsch: Man konzentriert sich auf wenige Besucher, die viel zahlen.

Lars Möhring ist im Himalaja glücklich. "Bhutan ist mein Shangri-La", sagt er. Wenn er manchmal zurückkommt auf Heimatbesuch nach Hamburg, "dann sagen meine alten Freunde, dass sie mich noch nie so strahlend gesehen haben", erzählt der Pilot. Auch privat hat er in Bhutan sein Glück gefunden und die 25-jährige Deki geheiratet. Ihre Familie ist noch nie geflogen, wie die meisten Bhutaner. Ganz in der Nähe des alten Holzhauses der Schwiegereltern, denen Möhring mit Satellitenfernsehen, Kühlschrank und Dieseltraktor zum Sprung in die Moderne verhalf, wohnt das Paar in einem geräumigen Bungalow. Der kostet gerade mal 200 Dollar Miete und ist wie alle Häuser in Bhutan im traditionellen Stil gebaut. Die Erhaltung der alten Kultur ist in Bhutan genauso Staatsdoktrin wie die "Gross National Happiness", was übersetzt "Bruttosozialglück" heißt. Für den Staat steht danach weniger wirtschaftlicher Erfolg im Vordergrund allen Handelns als die Zufriedenheit der Bevölkerung. Aktuellen Umfragen zufolge bezeichnen sich gut 51 Prozent der Bhutaner als glücklich und 45 Prozent sogar als sehr glücklich, damit belegt das arme Bhutan den 13. Platz unter 178 Staaten weltweit. "Wenn ich mit einem Tee in meinem Garten sitze und ins Paro-Tal schaue, ist das für mich pures Glück", sagt auch Lars Möhring, "ich will für immer hierbleiben." Nur eines vermisst er aus seinem früheren Leben: Schwarzbrot.