Prozess ohne Leiche. Zwei Jahre nach dem Verschwinden des Mädchens steht ein geistig Behinderter vor Gericht.

Hof. Er trägt Anzug und Krawatte, strahlt kindliche Naivität aus und freut sich wie ein Schuljunge, wenn er die vom Richter gestellten einfachen Rechenaufgaben richtig lösen kann. Der geistig behinderte Ulvi K. (25) sitzt seit gestern wegen Mordes an der vor mehr als zwei Jahren verschwundenen Peggy Knobloch (damals 9) aus dem oberfränkischen Lichtenberg auf der Anklagebank. Gleich zu Prozessbeginn beschloss das Landgericht Hof aber auf Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, den Angeklagten künftig unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu vernehmen. Trotz großen öffentlichen Interesses überwiege der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, erklärte Richter Georg Hornig. In der Vernehmung kämen Details aus dem Intimleben und der Krankheitsgeschichte des seit einer Gehirnhautentzündung im Kindesalter geistig zurückgebliebenen Angeklagten zur Sprache. "Es ist zu befürchten, dass er in Teilen der Bevölkerung dämonisiert wird", so der Richter. Staatsanwalt Gerhard Heindl beschuldigt den Hilfskellner in der Anklageschrift, die seit dem 7. Mai 2001 vermisste Peggy vergewaltigt und wenige Tage später aus Angst vor Aufdeckung der Tat mit den Händen erstickt zu haben. Zudem habe er seit 1996 in seinem Heimatort Lichtenberg 13 Jungen im Alter zwischen neun und zwölf Jahren sexuell missbraucht. Peggys Mutter Susanne Knobloch (31), die als Nebenklägerin auftritt, sagte gestern über den Angeklagten: "Dass er mich jetzt ansehen muss, ist eine Art Triumph für mich." Die Anklage in dem Indizienprozess stützt sich hauptsächlich auf ein früheres Geständnis, das der Beschuldigte jedoch inzwischen widerrufen hat. Trotz immer neuer Suchaktionen konnte die Polizei weder eine Leiche noch Spuren eines Verbrechens finden. Die beiden Verteidiger kündigten außer den Eltern von Ulvi K. weitere Zeugen für ein Alibi des Angeklagten zur vermuteten Tatzeit an. Staatsanwalt Heindl erklärte, der Angeklagte habe seine Opfer meist mit Versprechen in seine Wohnung gelockt und sich dort an ihnen vergangen oder sie an öffentlichen Plätzen zu sexuellen Handlungen genötigt. Vor Peggy habe er innerhalb eines Jahres in mindestens fünf Fällen onaniert. Vier Tage vor ihrem Verschwinden habe der Sohn des Sportvereinswirts die kleine Peggy in seiner Wohnung gezwungen, sich auszuziehen und sich an ihr vergangen. Nachdem er befürchtet habe, dass Peggy ihn bei ihren Eltern verrate, habe er dem Kind Tage später beim Heimweg von der Schule aufgelauert und Peggy für ihr Schweigen Schokolade angeboten. Sie aber habe ihn angeschrien: "Ich verrate dich!" Als Peggy flüchten wollte, habe Ulvi K. sie geschlagen und die Treppe am Schlossberg heruntergestoßen. "Das Opfer schrie laut um Hilfe und weinte", sagte Staatsanwalt Heindl. Dann habe der Verdächtige seine rechte Hand auf Mund und Nase Peggys gepresst, "bis sie sich nicht mehr rührte". Die Staatsanwaltschaft hält den Angeklagten wegen hirnorganischer Schäden zwar in den Missbrauchsfällen für schuldunfähig, nicht aber beim Mord. Der Münchner Kriminalpsychiater Norbert Nedopil erklärte als Gutachter, der Angeklagte habe sexuell den geistigen Entwicklungsstand eines unter zehnjährigen Kindes. Ulvi K. ist seit September 2001 nach einer Selbstanzeige wegen eines erneuten exhibitionistischen Zwischenfalls in der Psychiatrie untergebracht. Dort gestand er zwar den Mord an Peggy und bezichtigte seinen Vater, die Leiche beseitigt zu haben, doch schenkte die Sonderkommission ihm keinen Glauben. Erst nachdem die Soko Ende 2001 ausgewechselt worden war, rückte Ulvi K. wieder in den Mittelpunkt. Der Prozess geht heute mit der Vernehmung des Angeklagten weiter. Außerdem sollen die ersten Zeugen gehört werden. Für die Gerichtsverhandlung sind 16 Tage angesetzt. Ein Urteil wird nicht vor dem 26. November erwartet.