Laleh und Ladan: Sie wollen sich endlich direkt ins Gesicht schauen können. Und sie wissen um den Preis, den sie womöglich dafür zahlen müssen.

Hamburg. Der Brief steht im Internet. Er ist kurz, die Schrift krakelig, der Text bewegend: "Wir sind zusammen auf diese Reise gegangen und hoffen, dass die Operation uns endlich an das Ende dieses schwierigen Weges bringen wird und wir neue, wundervolle Leben als zwei eigenständige Persönlichkeiten beginnen können." Die ersten Schritte auf dieser gefährlichen Reise sind schon gemacht. Gestern hat die "Operation Hope" im Raffles Hospital, einer Privatklinik in Singapur, begonnen. Die iranischen Schwestern Ladan und Laleh Bijani (29), am Schädel zusammengewachsene siamesische Zwillinge, werden operativ getrennt. Unter dem nüchternen Aspekt der Statistik betrachtet, ist das eine tragische Sensation in jeder Beziehung: Pro Jahr werden nur wenige Hundert siamesische Zwillinge geboren, ein Paar unter 100 00 Geburten; die Hälfte von ihnen sind Totgeburten, ein Paar von dreien lebt wenige Tage. Dass Zwillinge am Schädel zusammengewachsen sind, kommt nur einmal unter einer Million Geburten vor. Trennungsversuche fanden bisher nur in den ersten Monaten nach der Geburt statt. Die Operation von Ladan und Laleh ist also nicht nur statistisch, sondern auch medizinisch eine Sensation. Das allein würde ausreichen, um weltweit solches Interesse zu wecken. In diesem Fall kommt die emotionale Seite der seit Bekanntwerden dieses waghalsigen Eingriffs entfachten Diskussionen hinzu: die Faszination, die von diesem obskuren Produktionsfehler der Natur ausgeht, und die Fassungs- und Hilflosigkeit gegenüber der Alltagssituation der beiden. Geboren wurden Ladan und Laleh Bijani am 17. Januar 1974 in dem Ort Shiraz nahe der iranischen Hauptstadt Teheran - zu einer Zeit, in der die Trennung von am Schädel zusammengewachsenen Zwillingen noch nicht einmal medizinische Zukunftsvision war. Von Anfang an, so sagen beide, haben sie sich gewünscht, ein eigenständiges Leben führen zu können. Sich endlich einmal direkt ins Gesicht sehen zu können. Sie sind sich so ähnlich wie eineiige Zwillinge es häufig sind. Und doch sind sie vom Charakter, vom Temperament her viel zu unterschiedlich, um problemlos ineinander aufgehen zu können. Laleh ist introvertiert, liebt Computerspiele und Katzen. Ladan ist die Bestimmende, steckt voller Energie. Sie setzt sich gegenüber ihrer zaghafteren Schwester eher durch. So auch, als es darum ging, das Leben zu planen. Ladan wollte Jura studieren, Laleh wollte Journalistin werden. Ladan gewann diesen Kampf. Sie ist auch diejenige, die lieber in der Großstadt lebt, während es Laleh in die Kleinstadt zurückzieht. In fast allen Punkten unterscheiden sie sich von Mascha und Dasche, die unlängst im Alter von 53 Jahren in Moskau starben. An der Taille zusammengewachsen, teilten sie sich Geschlechtsorgane, Blutkreislauf und die beiden Beine, wurden als Säuglinge ihrer Mutter weggenommen und zu medizinischen Versuchszwecken missbraucht. Zuletzt kümmerten sie, dem Alkohol verfallen, in staatlichen Institutionen vor sich hin. In Hass und Liebe waren sie untrennbar verbunden. Ein tragisches Schicksal, dem Ladan und Laleh mit allem Mut und aller Macht entgehen wollen. Doch ihre Versuche angesichts des gewaltigen medizinischen Fortschritts der letzten Jahre scheiterten immer wieder. 1996 kamen Ärzte in Heidelberg nach eingehenden Untersuchungen der beiden zu dem Schluss, dass eine Operation unverantwortlich sei. In Singapur wird sie jetzt gewagt. Seit dem 10. November schon wurden die beiden auf die Operation vorbereitet. Physisch und auch psychisch. Eine Ethikkommission hat die Ärzte darin bestätigt, dass Ladan und Laleh wissen, worauf sie sich einlassen. Sie seien, so sagte ein Kommissionsmitglied, "unabhängig voneinander" informiert worden. Die Entscheidung sei einmütig gefallen. Unbeirrt von Zweifeln und düsteren Prognosen. Beide wollten es wagen, ein eigenständiges Leben zu führen - auch um den Preis, gemeinsam behindert oder, im schlimmsten Fall, für immer allein zurückzubleiben. Der Traum von der lang ersehnten Eigenständigkeit wiegt schwerer als alle Prognosen. Eine "Fifty-fifty"-Chance räumt Benjamin Carlson von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore ihnen ein; er hat schon drei am Kopf zusammengewachsene siamesische Zwillinge getrennt und ist auch in Singapur dabei.