Der Zeitpunkt des Erdbebens in der Emilia-Romagna war besonders tragisch. Die meisten Opfer starben in Fabriken und Lagerhallen.

Rom. Gemeindepfarrer Don Ivan Martini wollte die Heilige Jungfrau retten. Nach den ersten Erdstößen am Dienstagmorgen in Norditalien ging der Gemeindepfarrer der 4000-Seelen-Gemeinde Rovereto sulla Secchia ein letztes Mal in sein Gotteshaus. „Ich brauche die Statue morgen für eine Prozession“, hatte er gesagt. Als er mit der Heiligen Jungfrau in der Hand auf dem Weg zum Ausgang war, wurde er von herabstürzenden Steinbrocken erschlagen. Don Ivan ist einer von 17 Toten bei der Erdbebenkatastrophe.

Die meisten Opfer starben in Fabriken und Lagerhallen. Der Ingenieur Gianni Bignardi inspizierte gerade eine Werkshalle in San Felice sul Panaro in der Region Emilia-Romagna auf strukturelle Schäden, als die Erde am Dienstag wieder bebte. Er starb unter den Trümmern der Halle eines Maschinenherstellers, genauso wie zwei Arbeiter, ihre Schicht hatte gerade begonnen.

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Die hohe Opferzahl in den Fabriken hat zu Kritik an der Sicherheit der Werkshallen aus Beton und Wellblech geführt: „Die Hallen wurden angeblich in Übereinstimmung mit den Baustandards für Erdbebensicherheit gebaut“, sagt der Bürgermeister von Reggio Emilia, Graziano Delrio. „Doch stattdessen sind sie wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen.“

Anklagende Worte kommen auch von Gewerkschaftsvertretern. „Man könnte glauben, die Arbeiter wurden zurück an die Arbeit geschickt, bevor die Bauten gesichert wurden“, erklärt Susanna Camusso von der Gewerkschaft CGIL. Die Firmen bestreiten dies, die Gebäude seien intakt gewesen, heißt es. Ersten Berichten zufolge war keines der am Dienstag zerstörten Fabrikgebäude unter denjenigen, die von der Feuerwehr nach dem ersten Beben gesperrt worden waren.

Die größten Sachschäden entstanden indes an jahrhundertealten Kirchen und Palästen. Schon das Beben am 20. Mai hatte die Kirchengebäude der Region schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die neuen Erdstöße vernichteten weitere Kulturschätze von unschätzbarem Wert. „Es ist zu früh, das Ausmaß der Schäden abzuschätzen“, sagt der Präfekt Fabio Carapezza Guttuso. Allein in der Provinz Mantova wurden nach Angaben der Behörden etwa 100 von 300 Kirchen stark beschädigt oder ganz zerstört.

Besonders schlimm traf es die Stadt Mirandola, die in der Nähe des Epizentrums liegt. Die Kleinstadt mit 25.000 Einwohnern verlor gleich zwei Kirchengebäude. Der Dom aus dem 15. Jahrhundert, der bereits beim vorherigen Beben stark beschädigt worden war, stürzte in sich zusammen. Auch von der San-Francesco-Kirche, einem der ältesten franziskanischen Gotteshäuser in Italien, blieben nur Trümmer übrig. Beschädigt wurde auch die Dorfkirche von Brescello, die international als Schauplatz der Filmserie „Don Camillo und Peppone“ berühmt geworden war.

Die Behörden hatten gerade erst damit begonnen, das Ausmaß der Schäden zu ermitteln, die an den architektonischen Kulturgütern entstanden waren. Diese Untersuchungen mussten vorerst eingestellt werden, weil das Betreten vieler Kirchen, Paläste oder Glockentürme zu gefährlich geworden ist. „Die Bedingungen haben sich erheblich verschlechtert“, sagt Carapezza Guttuso.

Das Erdbeben hatte sogar Folgen in Padua, das etwa 100 Kilometer vom Epizentrum entfernt liegt. Dort vertieften sich bereits vorhandene Risse in Kuppeln der Basilika des Heiligen Antonius, eines der berühmtesten und meistbesuchten Gotteshäuser Italiens. Die Verantwortlichen müssen nun schnell feststellen, ob das Betreten des Heiligtums gefährlich ist. Zum Namenstag des Heiligen Antonius am 13. Juni werden Tausende von Pilger in der Basilika erwartet.