Vor dem Landgericht Leipzig muss sich seit Dienstag der Gründer und Chef des illegalen Filmportals Kino.to verantworten. Die sächsische Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 39-Jährigen die massenhafte Verletzung des Urheberrechts vor.

Leipzig. Als Dirk B. am Dienstag den Saal 115 des Landgerichts Leipzig betritt, lächelt er fröhlich in die Objektive der zahlreichen Kameras. Sein Verteidiger Wolfgang Müller hat durchgesetzt, dass der mutmaßliche Gründer und Chef des illegalen Internetfilmportals kino.to ohne Handschellen vorgeführt wird, obwohl er sich in Untersuchungshaft befindet – mit dem Prozessbeginn auf den Tag genau elf Monate.

Seinen fünf früheren Mitarbeitern bei kino.to, die im Dezember 2011 vor dem Amtsgericht Leipzig und im April vor dem Landgericht zu Haftstrafen verurteilt worden waren, wurden die Handfesseln erst im Gerichtssaal abgenommen. Dem 39-Jährigen sind, im Unterschied etwa zu dem Programmierer Bastian P., der stark unter der Untersuchungshaft gelitten hatte und deshalb Psychopharmaka nehmen musste, keine Folgen des langen Gefängnisaufenthalts anzumerken. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Karsten Nickel nach seiner ladungsfähigen Anschrift überlegt er kurz, lacht und sagt schließlich: „Justizvollzugsanstalt Dresden.“

Dort sitzt er seit dem 8. Juni 2011 ein, als ihn Ermittler in Leipzig festgenommen und das illegale Internetfilmportal stillgelegt hatten. Zeitweise hätten mehr als vier Millionen Besucher täglich die Internetseite aufgerufen, führte Staatsanwalt Dietmar Bluhm aus. „Sie haben in Deutschland in Fragen des Urheberrechts die Rechtsordnung faktisch außer Kraft gesetzt.“ Rund 135.000 Filme waren bei kino.to abrufbar. In den ersten vier Verfahren vor dem Amtsgericht hatte Bluhm, der die Generalstaatsanwaltschaft Dresden vertritt, bei kino.to sogar von der „größten Massenkriminalität, die wir in Deutschland je hatten“, gesprochen.

„Arbeitsteiliges, parasitäres Geschäftsmodell bei kino.to“

Bluhm hält B. vor, dass bei kino.to ein „arbeitsteiliges, parasitäres Geschäftsmodell“ vorgelegen habe. Parasitär deshalb, weil die Internetseite ihre Einnahmen über Werbung generierte, die bei kino.to verlinkt und von einem Wiener Unternehmer organisiert worden war. Monatlich 150.000 Euro sollen an Werbeeinnahmen auf ein spanisches Konto von B. geflossen sein, weil er in Deutschland nach einer Firmenpleite keine Bankverbindung mehr besessen habe.

Von März 2008 bis Juni 2011 soll der mutmaßliche kino.to-Chef knapp 6,7 Millionen Euro damit eingenommen haben. An seine Mitarbeiter, für die er in Leipzig auch mehrfach Weihnachtsfeiern organisierte, soll er für Gehälter und Mietkosten für Server rund 1,6 Millionen Euro gezahlt haben. Die Server wurden vom gut Russisch sprechenden Michael H. in Russland gemietet, um der Strafverfolgung zu entgehen. B. verfügte deshalb, dass bei kino.to keine russischen Filme hochgeladen werden dürfen. Außerdem wurde ein Linktauschprogramm eingesetzt, mit dem jede Nacht die Verlinkungen zu den angebotenen Filmen geändert wurden, um Beschwerden gegen die Links ins Leere laufen zu lassen.

Wo die restlichen fünf Millionen Euro geblieben sind, soll im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung geklärt werden. B. hat im Unterschied zu den bisherigen fünf Angeklagten bei den Ermittlungsbehörden kein Geständnis abgelegt und sich auch zu den Einnahmen nicht geäußert. Bei seinen früheren Mitarbeitern hatte der Staat das noch vorhandene Vermögen jeweils fast vollständig gepfändet, um so einen Teil der erzielten Einnahmen abzuschöpfen. Verteidiger Müller kündigte im weiteren Prozessverlauf eine Erklärung seines Mandanten an.

Zum Abschluss ein Kuss für die Freundin

Nach etwa anderthalb Stunden endet die Verlesung der Anklage durch Bluhm, bei der ein Justizbeamter, der eigentlich eine mögliche Flucht von B. aus dem Gerichtssaal verhindern sollte, mehrfach einzuschlafen drohte. Nach kurzen Erläuterungen Nickels zum Prozessablauf bleibt dem 39-Jährigen vor der Rückkehr in seine Dresdner Haftzelle schließlich noch, seine Freundin herzhaft zu küssen, die in der ersten Zuschauerreihe den Prozess beobachtet hatte. Voraussichtlich am 22. Mai kann sie ihren Freund wieder im Saal 115 des Landgerichts erleben.