Der Coach führte die HSV-Rollstuhlbasketballerinnen zur deutschen Meisterschaft – und holte 2012 bei den Paralympics in London die Goldmedaille.

Hamburg. Ein bisschen schlucken musste er schon, als er die Hymnen auf seine Person hörte. Er senkte dann den Kopf, um nicht jeden an seinen Gefühlsregungen teilhaben zu lassen. Großer Applaus für Holger Glinicki: Er ist Hamburgs Trainer des Jahres. Auf dem Empfang des Hamburger Sportbundes (HSB) am Dienstagabend im Haus des Sports am Schlump erhielt der 61-Jährige die Auszeichnung aus den Händen Klaus Widegreens, des Vizepräsidenten Leistungssport des HSB.

Niemand hat diese Ehrung wohl mehr verdient als Glinicki. Er ist seit 2005 Chefcoach der deutschen Rollstuhlbasketballerinnen, der HSV-Frauen und des neuen Bundesligateams BG Baskets Hamburg (früher HSV). Dass er sich dazu um den Nachwuchs kümmert, ist für einen wie ihn selbstverständlich. Mit wem auch immer er arbeitet, der Erfolg scheint garantiert. Mit dem Nationalteam wurde er dreimal Europameister, holte 2012 bei den Paralympics in London Gold. Mit den HSV-Frauen wurde er wieder deutscher Meister, und die BG Baskets will er in dieser Saison in den Titelkampf führen. „Für einen Trainer ist eine Mannschaft oft mehr als genug, für Holger Glinicki können es offenbar gar nicht genug Mannschaften sein“, sagte Widegreen in der Laudatio.

Es dürfte Glinickis Wirken mit zu verdanken sein, dass Hamburg im Kooperation mit Hannover jetzt paralympischer Stützpunkt für Rollstuhlbasketball wird. „Holger ist unglaublich ehrgeizig. Er ist jemand, der sich mit Haut und Haar einer Sache verschreibt, der keine Kompromisse macht“, sagt sein langjähriger Hamburger Weggefährte und Trainerkollege Peter Richarz vom Deutschen Rollstuhl-Sportverband.

Edina Müller, Hamburgs Sportlerin des Jahres 2012, schwärmt wie ihre Mitspielerinnen von ihrem Coach, der sie in gleich drei Mannschaften betreut. „Er weiß genau, was er will. Er hat ein klares Konzept, aber er ist kein Diktator, sondern eine Autorität, manchmal beim Bier sogar ein Kumpel. Er versteht viele Sachen besser, weil er auch im Rollstuhl sitzt.“ Ohne Glinicki, sagt Edina Müller, „hätte ich wahrscheinlich keine Karriere gemacht. Er hat mich entdeckt, nach Hamburg geholt und mir stets vermittelt, dass er an mich glaubt. Das hat mir sehr geholfen.“

Seit einem Motorradunfall 1972 bei der Bundeswehr ist Glinicki vom vierten Brustwirbel abwärts gelähmt. Als er selbst noch spielte, bis 1995 unter anderem in 120 Begegnungen für die Nationalmannschaft, war er einer der Akteure mit der größten Behinderung. Auch wenn Inklusion erst vor Kurzem die politische Debatte bereicherte, die Rollstuhlbasketballer praktizieren das Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten seit mehr als 20 Jahren. Um das Zusammenspiel im Wettkampf gerecht zu gestalten, gibt es Klassifizierungspunkte. Die fünf Spieler, die aufs Feld rollen, in der Bundesliga sind das Männer und Frauen, dürfen zusammen nicht mehr als 14,5 Punkte haben. Glinicki hatte einen, Spieler mit minimalen Handicaps wie etwa Knorpel- oder Meniskusschäden erhalten 4,5. Wer im Alltag keinen Rollstuhl braucht, wird von den Kollegen „Fußgänger“ genannt.

ARD überträgt jetzt auch live

Rollstuhlbasketball hat die Nische des Behindertensports längst verlassen. Statt zweimal wird jetzt viermal in der Woche trainiert, dazu kommen Einheiten im Kraftraum, Videoanalysen und Taktikbesprechungen. Auf die Paralympics in London hat Glinicki seine Mannschaft 65 Tage lang vorbereitet. Das Spiel ist dadurch dynamischer, attraktiver und zuschauerfreundlicher geworden. Die ARD übertrug erstmals Spiele live, zuletzt das EM-Finale Anfang Juli aus Frankfurt, das die deutschen Frauen gegen die Niederlande verloren. „Rollstuhlbasketball ist heute ein Leistungssport wie jeder andere, die Rollstühle sind das Sportgerät“, sagt Glinicki. Die Zeiten, als er schon mal aus sozialen Gründen Spielerinnen Einsatzzeiten gewährte, seien vorbei. Wer sich damit nicht arrangieren könne, „der muss ein paar Klassen tiefer spielen“.

Glinickis Ehrgeiz ist noch nicht gestillt. Sein Honorarvertrag mit dem deutschen Verband läuft zunächst bis Mitte nächsten Jahres. Die Weltmeisterschaften in Toronto (Kanada) stehen dann an. Einen WM-Titel hat er mit seinen Teams bislang nicht gewinnen können, Bronze 2006 und Silber 2010 schon. „Dann wissen Sie ja, was uns noch fehlt“, sagt Glinicki.