Rio de Janeiro. Der Schwimm-Star tritt nach überwundenen Depressionen zum fünften und letzten Mal bei Olympischen Sommerspielen an.

Wenn Mister Olympia Hof hält, dann kommt die ganze Welt. Von seinem Heimatblatt „Baltimore Sun“ über den „Sydney Morning Herald“ und „Tokyo Shimbun“ bis zum Hamburger Abendblatt: Michael Phelps spricht – und die Medien dieser Welt schreiben darüber.

Am liebsten erzählt der 31-Jährige, der schon sagenhafte 18 olympische Goldmedaillen gewonnen hat, über sein Söhnchen Boomer. Vor drei Monaten brachte ihn Phelps’ Verlobte, das Model Nicole Johnson, zur Welt und gab dem Leben des erfolgreichsten Sportlers der olympischen Geschichte einen neuen Sinn: „Ich habe jetzt zehnmal mehr Emotionen als früher. Das Leben mit meiner kleinen Familie hat aus mir einen neuen Menschen gemacht.“

Große Worte eines Ausnahmesportlers, der so viel gewonnen hat wie kein anderer und doch vor zwei Jahren so tief gefallen war wie nur wenige. Phelps ist zum fünften Mal bei Olympischen Spielen. Aber in Rio erlebt er dennoch eine Premiere. „Noch nie war ich bei einer Eröffnungsfeier dabei“, erzählte der Mann aus Baltimore, der schon als 15-Jähriger bei den Spielen in Sydney Olympia erlebte. „Als ich erfahren habe, dass ich das US-Team als Fahnenträger ins Stadion führen darf, habe ich Tränen der Freude vergossen. Das ist eine große Ehre.“ Aber ein Phelps kommt nicht nur zu Olympia, um das Star Bangled Banner, die Nationalflagge zu tragen. Phelps ist ein Siegertyp. 18 Goldmedaillen bei Olympischen Spielen und kein Ende. In Rio wird er über 100 und 200 Meter Schmetterling sowie über 200 Meter Lagen im Einzel antreten. Außerdem hofft er auf Staffeleinsätze am Sonntag über 4 mal 100 Meter Freistil und zum Abschluss der Schwimmwettbewerbe in der Lagenstaffel.

Was treibt einen Menschen an, der schon alles gewonnen hat, der so viele lukrative Werbeverträge abgeschlossen hat, dass er für den Rest seines Lebens finanziell ausgesorgt hat? „Vielleicht hatte er zu viel Freizeit, ich will gar nicht sagen Langeweile“, sagte Chef-Bundestrainer Henning Lambertz dem Abendblatt. „Nach einer längeren Pause hat Phelps noch einmal richtig Spaß am Schwimmen gefunden. Ohne die Lust am Sport, die Lust auf die Auseinandersetzung mit den Besten geht es nicht.“ Es war nicht nur Langeweile, die Phelps nach den Olympischen Spielen 2012 verspürte. „The Flying Fish“, der fliegende Fisch, wie er genannt wird, hatte Schwierigkeiten mit dem Leben an Land. Schon 2004, mit 19, wurde er mit Alkohol am Steuer erwischt. Seine Strafe: 18 Monate auf Bewährung und die Teilnahme an einem Suchtprogramm.

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2014 geriet Phelps dann erneut mit einem massiven Alkoholproblem in die Schlagzeilen. Statt am Schwimmen hatte Phelps immer mehr Lust am Zocken gefunden. Und so brach er in der Nacht zum 30. September 2014 mit seinem Auto zu einem Kasino auf. Die Polizei stoppte ihn, nachdem er über durchgezogene Linien gefahren war. 1,4 Promille ergab der Alkoholtest, zudem wurde er mit einer Geschwindigkeit von 132 Stundenkilometern bei erlaubten 72 geblitzt. Wieder hatte Phelps Glück, wieder kam er mit einer Bewährungsstrafe davon.

„Mir war alles egal. Ich hatte keine Selbstachtung, null Selbstwertgefühl“, beschrieb Phelps seine Gefühle im US-Magazin „Sports Illustrated“. „Ich dachte, der Welt würde es besser gehen ohne mich. Ich dachte wirklich, das sei das Beste, einfach mein Leben zu beenden.“

Seine Familie und sein Trainer Bob Bowman, seit 18 Jahren auch so eine Art Ersatzvater, überredeten Phelps, professionelle Hilfe anzunehmen und einen stationären Aufenthalt im Suchtberatungszentrum Meadows in Wickenburg im US-Bundesstaat Arizona anzutreten, in der schon so prominente Patienten wie Robbie Williams oder Whitney Houston behandelt wurden. Er solle aus dem Schlechten etwas Gutes machen, lautete der Rat seiner Angehörigen.

Die größte Aufgabe wartet auf ihn an Land

45 Tage verbrachte er in der Klinik. Im kleinen Pool schwamm er nur gelegentlich, dafür malte, puzzelte und sang er umso mehr. „Ich kannte mich nur als Sportler, nicht als Mensch“, sagte er. Inzwischen hatte er erfahren, dass er wegen seiner Alkoholfahrt nicht nur eine 18-monatige Bewährungsstrafe erhalten hatte, sondern auch für sechs Monate im Sport gesperrt worden war. Phelps kümmerte sich erst einmal um sich selbst, lernte aus den Gesprächen, wie sehr ihn die Trennung seiner Eltern im Kindesalter belastet hatte. Freunde sagten, Phelps sei aus der Klinik als ein neuer Mensch heraus gekommen.

Das TV-Programm von Rio

Noch einmal widmete er sich dem Schwimmen und wurde schließlich vor drei Monaten Vater.

„Ich habe mich wieder in meinen Sport verliebt“, sagt er über das Schwimmen, das er in den Jahren zuvor regelrecht gehasst hatte. Auch wenn ein Phelps natürlich mit dem Dopingverdacht leben muss und nur selbst weiß, ob er wirklich sauber ist, ist es unzweifelhaft, dass er ein Jahrhunderttalent ist. Keiner ist im Wasser so im Einklang mit sich selbst wie Phelps, keiner fliegt so losgelöst über die Wellen wie er.

In Rio wird er mit seinem perfekten Stil ein letztes Mal auf Goldjagd gehen. Aber egal, ob er am Ende der Spiele seine Bilanz auf 20, 21 oder gar 22 Goldmedaillen geschraubt hat, die größte Aufgabe wartet auf ihn an Land: Boomer braucht keinen Multi-Olympiasieger, Boomer braucht einen Vater. Einen, wie ihn Phelps selbst immer vermisst hat.