Manipulationen, Doping, psychische Erkrankungen: Glaubt man den Ergebnissen einer Studie, geht es dem deutschen Sport richtig schlecht.

Frankfurt/Main. Geht der deutsche Spitzensport am Stock? Ein Jahr vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi sind Athleten, Trainer und Funktionäre von einer spektakulären Studie über Manipulationen, Doping und psychischen Erkrankungen aufgeschreckt worden. Besonders die Tatsache, dass 8,7 Prozent der befragten Topsportler in der Sporthilfe-Untersuchung angaben, schon einmal an Absprachen über den Spiel- oder Wettkampfausgang beteiligt gewesen zu sein, ist alarmierend. Auch weil 37,2 Prozent der Athleten vorsichtshalber gar nicht antworteten und Fußballer überhaupt nicht befragt wurden.

Für die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, sind die Zahlen ein „Anlass zur Sorge“, zumal die Anzahl derer, die die Frage nicht beantwortetet haben, erheblich sei. „Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren, es könnte aber bedeuten, dass sich nur wenige wirklich offenbart haben und die Studie nur die Spitze des Eisberges erfasst hat“, sagte Freitag. Für Ingo Weiss, Präsident des Deutschen Basketball Bundes und Vorsitzenden der Deutschen Sportjugend, sind das „spannende Hinweise, denen wir nachgehen müssen“.

In den Sportverbänden sorgten die Ergebnisse für hektische Betriebsamkeit, die Funktionäre waren vor allem um Deeskalation bemüht. „Da muss man sich schon die Frage genau anschauen, die lautete: Waren Sie jemals bei Wettkampf- oder Spielabsprachen beteiligt? Diese Frage schließt mit ein, dass der Trainer sagt: Wir werden in diesem Spiel versuchen, nicht zu gewinnen, weil wir dann beim Überkreuzspiel den leichteren Gegner haben“, sagte der Vorsitzende der Sporthilfe Michael Ilgner.

Sportsoziologe: „Die Aussagen sind alarmierend“

Dass 5,9 Prozent der Athleten angaben, regelmäßig Dopingmittel einzunehmen, verwunderte angesichts des vom Sport stets gerühmten Kontrollsystems ebenfalls. Das sei für „den Anspruch, den wir haben“, zu hoch, sagte Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes. Er rufe „die Sportler, die mit Ja geantwortet haben, dazu auf: Offenbart euch der NADA oder den Vertrauensleuten und nennt Ross und Reiter!“

Der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, Gerd Heintze, bezeichnete die Zahlen der Untersuchung „Dysfunktionen des Spitzensports: Doping, Match-Fixing und Gesundheitsgefährdungen aus Sicht von Bevölkerung und Athleten“ zwar als „nicht förderlich für das Image des Sports“. Für ihn seien sie aber nicht alarmierend, „weil die Aussagen nicht treffsicher genug sind.“

Dennoch traf die Studie den Spitzensport an einem wunden Punkt. „Diese Aussagen kommen von den Athleten selbst. Deshalb sind sie so alarmierend und müssen ein Anlass sein, dass man fragt: Was läuft hier falsch?“, sagte Helmut Digel, Sportsoziologe und langjähriger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Sein Nachfolger Clemens Prokop setzte die Thematik prompt auf die Tagesordnung für die diversen Sitzungen rund um die deutschen Hallen-Meisterschaften in Dortmund an diesem Wochenende.

„Die Ergebnisse schreien danach, dass man sich weiter mit ihnen beschäftigt“

Der Leiter der Studie, Christoph Breuer, fordert weitere Untersuchungen zum deutschen Spitzensport. „Die Ergebnisse schreien danach, dass man sich weiter mit ihnen beschäftigt“, sagte der Professor an der Sporthochschule Köln. Vor allem die Ergebnisse im Bereich der Manipulationen hätten auch ihn „überrascht.“

Relativieren müsse man dagegen die Zahlen in Bezug auf psychische Erkrankungen. Davon sei nicht ein Drittel betroffen. „Es ist nicht zulässig, die Zahlen so zusammen zu addieren, weil auch Mehrfachnennungen möglich waren“, erklärte Breuer zu Depressionen, Burn-out und Essstörungen. 9,3 Prozent der befragten Sportler gaben in der Studie depressive Erkrankungen an. 11,4 Prozent der Topathleten leiden nach eigenen Angaben unter Burn-Out. 9,6 Prozent der Sportler räumten Essstörungen ein. Grund dafür sei vor allem der Erfolgsdruck.

Die Sporthilfe ist sich dessen schon länger bewusst und hat deshalb ihre Förderprinzipien verändert. Für WM- und EM-Medaillen gibt es seitdem keine Sonderprämie mehr. Stattdessen werden mehr Gelder in die Unterstützung einer dualen Karriere gesteckt.