Matthias Steiner siegt im Schwergewicht. Für seine tote Frau - und den Anti-Doping-Kampf.

Peking. Es ist der letzte Gang, das weiß die Halle, die 6000 Zuschauer toben, als Matthias Steiner die Bühne betritt. 258 Kilogramm sind aufgelegt beim Stoßen, das sind acht Kilo mehr als seine Bestleistung, aber Steiner kümmert das nicht, er braucht diese 258 Kilogramm unbedingt. Der Superschwergewichtler springt auf die Bühne, fixiert das Gewicht, dann kreidet er seine Hände ein, damit sie nicht von der Stange abgleiten. Sogar sein Unterleib ist eingekreidet. Steiner schaut grimmig, fast zornig auf die Hantel, während er wie ein Tiger hin und her läuft, es scheint, als hasse er dieses Gewicht. Plötzlich kehrt auf den Rängen Ruhe ein. Steiner bückt sich und greift die Stange. Als die Anzeigetafel bei 15 Sekunden steht, hebt er das Gewicht, er schnauft und pumpt, er blickt entschlossen, als die Stange auf seinen breiten Schultern abgefedert wird. Er holt noch einmal tief Luft. Und dann stößt er die Hantel tatsächlich in die Höhe, obwohl ihm vor Anstrengung schwarz vor Augen war. Drei Sekunden später steht fest: Steiner hat die Goldmedaille. Er ist der stärkste Mann der Welt!

Was folgt, sind pure Emotionen. Steiner springt auf der Bühne hin und her wie ein kleines Kind. Dann reißt er die Träger seines Anzugs herunter und deutet auf den Bundesadler. Der gebürtige Wiener trägt die deutsche Staatsbürgerschaft mit Stolz, aber natürlich ist dies auch ein Moment, es der alten Heimat zu zeigen. Steiner hatte sich mit dem österreichischen Verband zerstritten, weil sein Heimtrainer nicht zugelassen worden war bei einer EM. Steiner hatte drei Fehlversuche, der Verband beschuldigte ihn, die Hanteln absichtlich fallen gelassen zu haben. "Er kann meinetwegen für Schweden, Deutschland, Kasachstan oder Teppichland antreten", sagte der Funktionär Martin Schödl. Steiner fragte nicht beim Teppichland an, sondern beim deutschen Gewichtheberverband. Er wartete die dreijährige Sperrfrist ab. Nun hebt er wieder. Und nun ist er Olympiasieger. "Das ist jetzt alles vergessen", sagte er später. "Ich habe die Antwort gegeben."

Dann springt Steiner Bundestrainer Frank Mantek in die Arme. Sie umarmen sich so fest, dass eine Eiche es mit der Angst zu tun bekäme. Die Tränen, Steiner kann sie nicht aufhalten. Dann schaut er für einen Moment nach oben. Er denkt an seine deutsche Ehefrau Susann, die vor einem Jahr bei einem unverschuldeten Autounfall tödlich verunglückt ist. "Ich habe daraus auch Motivation gezogen", sagt Steiner später. Die Medaillen widme er Susann. "Und meinen Freunden und meiner Familie, die mir über diese Zeit hinweggeholfen haben." Bei der Siegerehrung zeigt er das Foto seiner Frau, das er immer bei sich trägt: "Ich glaube, dass sie das alles da oben mitbekommen hat."

Vorausgegangen war diesem Happy End ein wahrer Krimi. Die beiden Konkurrenten um Gold, der Russe Jewgeni Tschigischew und der Lette Viktors Scerbatihs, pokerten ihre Gewichte allmählich in die Höhe. Nach der ersten Disziplin des Zweikampfes, dem Reißen, hatte Steiner noch mit sieben Kilo hinten gelegen. Im Stoßen schien seine Strategie nicht aufzugehen: Er scheiterte an den 242 Kilogramm. Dann stemmte er 246 Kilogramm in die Luft. Damit hatte Steiner plötzlich alle Trümpfe in der Hand. Er hatte das Nervenspiel gewonnen, ihm gehörte der letzte Versuch der Konkurrenz. Aber diese Herkulesaufgabe lag vor ihm, diese verdammten 258 Kilogramm. "Ich habe gedacht: Silber ist sicher, Gold ist schöner, da habe ich die 258 Kilo gestoßen." Jetzt könne er eine große Klappe haben, ergänzte der Mann vom Chemnitzer AC mit breitem Grinsen.

Dann bedankte er sich noch bei den unsichtbaren Helfern. "Ich bin stolz auf das deutsche Anti-Doping-System", sagte Steiner. Zehn Kontrollen habe er seit Dezember gehabt. Vor allem aber greife dies System nun auch international. "Das sieht man an den vielen positiven Proben vor den Spielen." Früher habe man im Zweikampf 470 Kilogramm für Gold benötigt, das könne er schlicht nicht heben, bekannte Steiner. "Es war nie so leicht, Olympiasieger zu werden."

Filmberichte zu den Olympischen Spielen