Wie HSV-Handballer Max-Henri Herrmann neben dem Profisport eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann bewältigt

Hamburg. Die Vorbereitung auf das Bundesligaspiel gegen die TSG Ludwigshafen-Friesenheim an diesem Mittwoch (19 Uhr, O2 World) hat für Max-Henri Herrmann in der U-Bahn begonnen. Die Zeit für die Fahrt zu seinem Ausbildungsplatz hat der Torhüter der HSV-Handballer genutzt, um die sogenannten Wurfbilder des Aufsteigers zu studieren: Welcher Gegenspieler bevorzugt aus welcher Position welche Ecke? Er hat sich ein paar Notizen gemacht, aber nur über die größten Auffälligkeiten, schließlich will er sich vor allem auf sein Gespür verlassen.

An Sorgfalt hat es Herrmann, 20, noch nie fehlen lassen, seit er vor zwei Jahren aus Dormagen nach Hamburg wechselte. Aber erst in dieser Saison, in der er vom dritten zum zweiten Torhüter aufstieg, hat er die Gewissheit, dass die Arbeit nicht umsonst gewesen sein wird. Sechsmal hat ihn der neue Trainer Christian Gaudin in der Bundesliga bereits aufgestellt. Damit hat Herrmann schon jetzt dreimal mehr Einsätze für den HSV als in der gesamten Vorsaison unter Martin Schwalb. Es sind auch keine Kurzauftritte mehr, am Ende, wenn die Partie längst entschieden ist. Zuletzt in Magdeburg wurde er für fünf Siebenmeter eingewechselt. Herrmann konnte drei abwehren und damit den 26:25-Sieg sichern.

Das Gänsehautgefühl könne er auch sechs Tage später, bei der Mittagspause am Dienstag in der Sylter Bude am Großen Burstah, noch unter dem feinen schwarzen Business-Anzug spüren: „Du hast 6000 Fans gegen dich, und dann bringst du die ganze Halle zum Verstummen – für diese Momente macht man es.“ Das habe er sich auch gesagt, als am anderen Morgen, nach vier Stunden Busreise und ebenso viel Schlaf, wieder der Wecker klingelte, weil er wie immer um halb acht zum Dienst antreten musste.

Beim französischen Reedereigiganten CMA CGM lässt sich Herrmann zum Schifffahrtskaufmann ausbilden. Er hat sich die Lehrzeit auf zwei Jahre verkürzen lassen, schon im November stehen die Prüfungen an. So lange muss er die Doppelbelastung noch aushalten, die im männlichen Profihandball auf diesem Niveau kaum noch anzutreffen ist: die tägliche Hatz zwischen Arbeitsplatz, Berufsschule und Trainingshalle, die Sondereinheiten vor Dienstantritt im Fitnessstudio, die Reisen, die Lernerei für die Prüfungen. „Wenn es mir nicht so viel Spaß machen würde“, sagt Herrmann, „wäre es unerträglich.“

Am meisten fehle die Zeit für Erholung, von der körperlichen, vor allem aber von der mentalen Belastung, der ein Torhüter ausgesetzt ist. Aber letztlich habe er es ja genauso gewollt. Herrmann hätte wie andere ein Fernstudium aufnehmen können. Aber das lasse sich bequem auf die lange Bank schieben. Bei der Arbeit oder in der Berufsschule könne er nicht einfach fehlen. „Max ist ein Vorzeigeathlet, er zieht die Ausbildung gnadenlos durch“, sagt HSV-Nachwuchskoordinator Gunnar Sadewater, der zu Herrmanns Förderern zählt, „so stellt man sich einen Leistungssportler vor.“

Derzeit ist Herrmann bei CMA CGM im Sales-Bereich tätig, hält Kontakt mit Kunden in aller Welt. Es sei genau sein Ding: „Ich wollte schon immer etwas machen, wo ich meine Sprachkenntnisse einsetzen kann.“ Dank seiner Mutter, einer Französin, wuchs Herrmann zweisprachig auf. Er hat sich früh entschieden, für die Nationalmannschaften ihres Heimatlandes zu spielen, obschon ihn auch der Deutsche Handball-Bund zu Lehrgängen einlud. Eine Gefühlsentscheidung.

Auf sein Herz hat Herrmann schon gehört, als er sich mit 14 entschied, sein Bonner Elternhaus zu verlassen und ins Internat zu gehen, um Handballprofi zu werden. Nach Abschluss der Ausbildung will er sich dann wieder ganz auf die sportliche Karriere konzentrieren, wenngleich sein Arbeitgeber geneigt scheine, ihn zu übernehmen. Herrmann wird später vielleicht darauf zurückkommen, denn mit Handball auszusorgen, schaffen nur die Besten. Weltklassetorhüter wie Johannes Bitter vielleicht, von dem er beim HSV viel lerne, oder Thierry Omeyer, sein großes Idol.

Dass Max-Henri Herrmann auch so gut wird, ist zumindest vorstellbar. Mit seinen 20 Jahren ist er unter allen zweiten Torhütern der Bundesliga der jüngste. Viele auf seiner Position haben selbst mit 30 ihre besten Jahre noch vor sich. Jetzt beginnt sich die Geduld auszuzahlen, die Herrmann beim HSV aufbringen musste – und der HSV bei ihm.