Der neue HSV-Handball-Geschäftsführer Christian Fitzek über den verpatzten Saisonstart, den notwendigen Mentalitätswandel und die künftige Rolle der Mäzenatenfamilie Rudolph

Hamburg. Der Spielbetrieb in der Handball-Bundesliga ruht für zehn Tage. Christian Fitzek nicht. Für den neuen Geschäftsführer des HSV Hamburg bietet die Nationalmannschaftspause Gelegenheit, den verpatzten Saisonstart (2:10 Punkte) aufzuarbeiten und den Umbau beim letztjährigen Champions-League-Sieger voranzutreiben.

Hamburger Abendblatt: Herr Fitzek, wie oft haben Sie es schon bereut, zum HSV zurückgekehrt zu sein?
Fitzek: Gar nicht. Unsere Situation ist ja nicht anders als die vieler Vereine. Da gibt es nur ganz wenige Ausnahmen in der Bundesliga. Für mich entscheidend war, dass ich vom Herzen her immer Hamburger gewesen bin und mir der HSV nach sieben Jahren ans Herz gewachsen ist. Es war, als würde ich wieder nach Hause kommen.

Die Heimkehr hätte allerdings sportlich erfreulicher ausfallen können. Hat sich HSV-Mäzen und -Sponsor Andreas Rudolph schon zu Wort gemeldet?
Fitzek: Wir stehen regelmäßig in Kontakt. Er ist beunruhigt über die Situation, fragt, was er machen, wie er helfen kann, aber wir sind uns darin einig, dass wir keine vorschnellen Entscheidungen treffen sollten. Klar ist allerdings auch, dass man nach solchen Ergebnissen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen darf. Irgendwann, möglichst bald, müssen wir anfangen zu punkten, sonst wird der Druck zu stark.

Welche Ansatzpunkte sehen Sie?
Fitzek: Einiges ist in der vergangenen Woche schon getan worden. Trainer Christian Gaudin hat sich mit den etablierten Spielern ausgetauscht, um herauszufinden, an welchen Schrauben man noch drehen kann. Trotzdem gab es keinen zählbaren Erfolg gegen Wetzlar, stattdessen mit 28:31 die vierte Niederlage in Folge. Wenn so ein Leistungsträger wie „Pommes“ …

… Mannschaftskapitän Pascal Hens …
Fitzek: … nicht ins Spiel findet, wird es schwierig. Auch für ihn ist es ja eine große Umstellung: Er hat nicht nur einen neuen Trainer, sondern auch einen neuen Mittelmann (Kentin Mahé, die Red.) neben sich, der ihn bislang nicht richtig ins Spiel bringt. Das nimmt ihm einen großen Teil seiner Qualität. Überhaupt müssen sich unsere Leistungsträger daran gewöhnen, jetzt nicht nur Weltklassespieler neben sich zu haben. Das erhöht auch auf sie den Druck. Das alles führt zu einer kolossalen Verunsicherung. Der eine versucht es wettzumachen, indem er besonders kontrolliert spielt, der andere überdreht. Wir müssen versuchen, die Balance wiederzufinden und die Bausteine einander anzupassen. Leider haben wir im Moment nicht die Zeit für eine Lernphase.

Warum eigentlich nicht? Die Saison hat doch gerade erst begonnen.
Fitzek: Mich beunruhigt, dass die anderen da unten alle punkten – der Tabellenletzte HC Erlangen einmal ausgenommen. Wir hängen ein bisschen hintendran. Wobei ich dabei bleibe: Abstiegskampf fängt nicht am sechsten Spieltag an, sondern in der Rückrunde. Bis dahin aber sollten wir nicht den Anschluss verlieren und uns vor allem nicht darauf verlassen, dass es schon irgendwie wird. An dieser Mentalität hat der HSV nämlich schon immer gekrankt. Hier geht es auch um Zuschauer, Medienpräsenz, Sponsoren. Sie müssen wir jetzt zurückgewinnen.

Sind die Sponsoren denn bereit, mit durch diese Talsohle zu gehen?
Fitzek: Die Sponsoren wissen, dass wir derzeit nicht den Anspruch haben, wieder die Champions League zu gewinnen. Ich bin selbst überrascht, wie positiv und geduldig unsere Partner reagieren. Das habe ich an anderen Standorten anders erlebt. Klar ist auch: Erfolg lässt sich immer leichter verkaufen.

Welche Möglichkeiten gegenzusteuern sehen Sie im Moment?
Fitzek: Das geht nur von innen heraus. Wir haben aktuell nicht die Möglichkeit, personell nachzulegen – es sei denn, wir finden jemanden, der das finanziert. Wobei ich derzeit auch nicht sehe, auf welcher Position, vor allem mit welchem auf dem Markt verfügbaren Spieler wir uns verstärken könnten.

Steht der Trainer zur Disposition?
Fitzek: Ganz klares Nein! An ihm liegt es nicht. Über einzelne Personalentscheidungen im Spiel kann man immer diskutieren. Aber dass Christian Gaudin ohne Rücksicht auf Namen auswechselt, finde ich grundsätzlich gut. Da kann man ihm nichts vorwerfen. Dass sich eine Trainerdebatte nicht vermeiden lässt, wenn wir auch die kommenden Spiele in Lübbecke und gegen Melsungen verlieren sollten, ist mir klar.

Andreas Rudolph, der den HSV vergangene Saison mit einer Patronatserklärung in letzter Minute vor dem Lizenzentzug bewahrt hat, hat in dieser Saison noch kein Spiel besucht. Hat er emotional mit dem Handball abgeschlossen?
Fitzek: Das denke ich nicht. Mir tut Andreas derzeit ein bisschen leid. Er hat eine Distanz zur Mannschaft und zum Verein aufgebaut, weil er glaubt, dass es in der jetzigen Situation vielleicht das Beste sei. Andererseits wäre er wohl immer noch gern näher dran.

Wie sehen Sie seine künftige Rolle und die seines Bruders Matthias, der die Mehrheitsanteile an der Handball-Spielbetriebsgesellschaft hält?
Fitzek: Für mich gehört die Familie Rudolph zum HSV Handball, wie die Familie Hopp zu Hoffenheim gehört. Es darf nicht darum gehen, sie loszuwerden. Wir brauchen sie. Dass sie sich ausgenutzt fühlen, kann ich verstehen. Die Firma GHD, deren geschäftsführender Gesellschafter Andreas Rudolph ist, bleibt unser wichtigster Sponsor. Um diesen Vertrag müssen wir jedes Jahr aufs Neue kämpfen. Aber wir dürfen uns nicht länger nur auf die Rudolphs verlassen, wie wir das bisher in allen Bereichen gern getan haben, sondern müssen endlich versuchen, sie finanziell zu entlasten und Schaden von ihnen fernhalten. Das würde ihnen wahrscheinlich den Spaß an der Sache zurückgeben. Das habe ich übrigens schon bis zu meinem Weggang in der Saison 2010/11 immer wieder gesagt.

Sind die sportlichen Sorgen momentan größer als die wirtschaftlichen?
Fitzek: Das gibt sich nicht viel. Durch die Patronatserklärung von Andreas Rudolph ist der Saisonetat 2014/15 gesichert. Aber wir wollen uns nicht darauf ausruhen, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Wir haben viele Partner verloren, in diesem Bereich ist gerade im Sommer, aber auch in den Jahren davor vieles vernachlässigt worden. Da wurden Kunden nicht betreut, obwohl sie uns mit Anfragen regelrecht bombardiert haben, gern mit uns etwas machen wollten. Einige Briefe wurden aber gar nicht erst aufgemacht, andere nicht beantwortet.

Und das wird jetzt alles nachgeholt?
Fitzek: Wir haben mit Karl Gladeck als Vertriebsdirektor und Jan Hennings zwei neue Mitarbeiter, die jetzt sehr erfolgreich die Listen abarbeiten. Klar ist aber, dass man zu dieser Jahreszeit keine großen Sponsoren im sechsstelligen Bereich mehr gewinnt. Die Budgets sind verplant. Erschwerend hinzu kommt, dass es gerade für große Unternehmen häufig nicht mehr besonders attraktiv ist, als Sponsor einzusteigen, weil sie ihre Geschäftspartner aufgrund ihrer selbst auferlegten Richtlinien, Stichwort Compliance, nicht mehr zu unseren Heimspielen einladen dürfen.

Droht 2015 ein neues Lizenzdrama?
Fitzek: Das glaube ich nicht. Ich kenne die Details des vergangenen Lizenzverfahrens nicht. Klar ist, dass wir auf totale Transparenz setzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mit Andreas Rudolph darüber in Streit gerate.

Ist die Geschäftsstelle inzwischen nach Ihren Vorstellungen organisiert?
Fitzek: Wir sind dabei. Mein Eindruck war, dass dort viel geleistet worden ist, aber sich bisher jeder um alles gekümmert hat. Wir versuchen jetzt, die Aufgaben konkret voneinander abzugrenzen, damit sich jeder auf seine Arbeit konzentrieren kann. Wir haben aktuell ein tolles Team auf der Geschäftsstelle.

Für den Aufsichtsrat stehen am 29. September erstmals Fans zur Wahl, auch HSV-Profi Matthias Flohr will sich bewerben. Was halten Sie davon?
Fitzek: Meiner Meinung nach gehören in den Aufsichtsrat auch Investoren. Viele Leute profilieren sich über ihre Kontakte oder Netzwerke. Aber entscheidend ist, was am Ende beim HSV ankommt. Das war zuletzt nicht viel. Allerdings halte ich es auch für wichtig, dass Handballkompetenz vorhanden ist, und da ist Matti genau der Richtige.