Hamburger verlieren vor der Weltrekordkulisse von 44.189 Zuschauern mit 26:28 gegen die Rhein-Neckar Löwen

Frankfurt am Main. Als fünf Minuten vor Schluss nach einigen missglückten Versuchen endlich La Ola reibungslos durchs Frankfurter Fußballstadion schwappte, und das gleich dreimal in Folge, wollten die HSV-Handballer doch noch den Partyschreck spielen. Tor und Tor holten sie jetzt auf, die gesteigerten Anstrengungen reichten jedoch nur, um die 26:28 (8:17)-Niederlage gegen die Rhein-Neckar Löwen unverhältnismäßig knapp aussehen zu lassen; was sie nicht war. Eine Halbzeit lang hatte der Bundesliga-Tabellenführer die in der neuen Saison weiter sieglosen Hamburger vorgeführt, überrannt und ausgespielt, wofür Trainer Christian Gaudin hinterher die Schuld auf sich nahm: „Ich habe gedacht, dass ich meine Mannschaft psychologisch nicht speziell auf diese Atmosphäre vorbereiten muss. Das war mein Fehler. Wir haben von Beginn an die Zuschauer gespürt, uns zu viel Druck gemacht.“

Es war aber nicht irgendeine Kulisse, es war die größte, die je ein Handballspiel verfolgt hat. Selbst wenn nicht alle der verkündeten 44.189 Besucher auch anwesend waren, der Rahmen dieser Begegnung („Wir sind Weltrekord!“) hinterließ bei Profis und Publikum Eindruck. HSV-Linksaußen Torsten Jansen, 37, – wie Torhüter Johannes Bitter, 32, und Kapitän Pascal Hens, 34, Weltmeister 2007 vor im Finale 20.000 Zuschauern in Köln –, suchte in den ungewohnten Umständen dennoch nicht nach Erklärungen für die 30 Minuten lang ungewohnt schwache Vorstellung: „Mit dem Anpfiff nimmst du das Drumherum doch gar nicht mehr wahr. Du bist fokussiert auf das, was auf dem Feld passiert. Doch wir haben in Angriff und Abwehr jede Aggressivität, jedes Tempo vermissen lassen. Wir haben uns seitwärts bewegt, anstatt auf die Gegenspieler draufzugehen.“

„Wie Opas rumgestanden“ hätten seine Spieler, kritisierte Gaudin. „Das war kläglich. Wir hatten einfach keine Eier. Keiner war bereit dorthin zu gehen, wo es wehtut“, klagte ein anderer und bat zugleich: „Bitte zitieren Sie mich nicht damit.“ Für HSV-Geschäftsführer Christian Fitzek wird der anfängliche Auftritt ein Nachspiel haben: „Auch wenn wir uns in der zweiten Hälfte zusammengerissen haben, bin ich nicht bereit, über die erste Halbzeit hinwegzusehen. Darüber werden wir reden müssen. So geht das nicht.“

Spielmacher Kentin Mahé, 23, stimmte ihm zu: „Wir müssen mit einer anderen mentalen Einstellung ins Spiel gehen. Da fehlte jedes Risiko. Jetzt ärgern wir uns. Wenn wir immer so spielen wie in der zweiten Halbzeit, ist mir nicht bange um diese Saison, wenn wir so spielen wie in der ersten, schon.“

Der „Tag des Handballs“ war kein Tag der HSV-Handballer. Sie schienen am Ende die einzigen Verlierer eines Events zu sein, das nicht nur der französische Olympiasieger Joel Abati, 44, „genial, großartig, einzigartig“ fand. Abati hatte mit zahlreichen Bekannten aus Sport, Fernsehen und Showgeschäft beim Vorspiel mitgewirkt. Das Team des ehemaligen Nationalspielers Stefan Kretzschmar, 41, hatte dabei die Mannschaft des TV-Moderators Frank Buschmann, 49, 27:22 (10:11) besiegt und für manchen Lacher, „Ooohs“ und „Aaahs“ auf den Rängen gesorgt; auch wenn viele Zuschauer die Aktionen aus 60 bis 70 Metern Entfernung verfolgen mussten.

Zwischen dem Handballfeld (40 mal 20 Meter) inmitten des Fußballplatzes und den Rängen lagen auf allen Seiten rund 40 Meter, nur für die Ehrengäste und die treuesten Fans der Löwen wurden um den Handballcourt Stühle und Bänke gestellt. Über schlechte Sicht klagte indes niemand, auch unterm Dach sei gut zu erkennen gewesen, „worum es sich dreht“, wie ein junger Fan im gelben Löwen-Trikot meinte. Der ehemalige Welthandballer Henning Fritz, 39, stellte allerdings fest, „dass sich die Stimmung in der Weite der Arena etwas verläuft“. Fritz stand 2004 beim THW Kiel im Tor beim bisherigen deutschen Rekordspiel vor 30.925 Fans „Auf Schalke“ gegen den TBV Lemgo. Damals hatten die Handballer die Hälfte des Stadions genutzt.

Vor einem Jahr hatte sich der deutsche Handball nach all den Rückschlägen in den Jahren nach dem WM-Triumph 2007 diesen Festakt verordnet, und die Mannheimer Rhein-Neckar Löwen wie die Betreiber der Frankfurter Commerzbank-Arena, vor allem jene, waren dafür finanziell ins Risiko gegangen. Noch steht die Abrechnung aus, bei Kosten von rund einer Million Euro, heißt es, soll für beide Partner aber ein kleinerer sechsstelliger Betrag übrigbleiben. „Wir haben weit mehr verdient als bei einem mit 12.000 Zuschauern ausverkauften Heimspiel in unserer SAP-Arena“, wusste Lars Lamadé bereits, der neue Geschäftsführer der Löwen. Sein zum 1. September freigestellter Vorgänger Thorsten Storm, der demnächst in Kiel anheuern wird, hatte einst die Idee. Und weil die sich nun ausgezahlt hat, nicht nur aus materieller Sicht, scheint eine baldige Wiederholung wahrscheinlich.

Ein Jugendturnier mit 80 Teams auf den Rasenplätzen vor dem Stadion mit Endspielen in der Arena hatte die Handballparty am Morgen eröffnet. Das Bundesligaduell wurde in 45 Ländern live übertragen. Größere Aufmerksamkeit hat der deutsche Handball bisher nicht generiert, selbst aus Argentinien kamen Tweets, die über die Besucherzahl staunten: „So viele Leute kommen bei uns nicht mal zum Fußball.“

Bernhard Bauer, 63, Präsident des Deutschen Handballbundes, kann sich jetzt gut vorstellen, „dass dieses Ereignis zur festen Einrichtung wird“. Sprecher Tim Oliver Kalle hat da konkrete Vorstellungen: „Ein Tag der Nationalmannschaften, von der Jugend bis zur Frauen- und Männer-Auswahl, das wäre doch was.“ Die Zahl der Ausrichter bleibt begrenzt. Fußball-Arenen mit mobilen Dächern stehen nur in Frankfurt, Düsseldorf und Gelsenkirchen.

Am Tag danach kehrte der verloren gegangene Spaß auch zum HSV zurück, ein bisschen zumindest. Als Gast des Bezirks-Oberligaclubs TV 1888 Büttelborn (Kreis Groß-Gerau) feierten 700 Zuschauer die Hamburger, die sich für so viel Begeisterung mit einem 48:13-Sieg bedankten. Am Mittwoch (20.15 Uhr) dürften dem HSV in Balingen weit weniger Sympathien entgegenschlagen. Ob Alexandru Simicu, 25, dort auflaufen kann, entscheidet sich am Montag. Der Rumäne kehrte Sonntag nach Hamburg zurück, um seinen lädierten linken Fuß untersuchen zu lassen. Er war bei einem Sturz über Löwen-Kreisläufer Bjarte Myrhol umgeknickt, musste mit Verdacht auf Bänderriss nach 24 Minuten ausgewechselt werden. Simicu gehörte damit zu den ganz wenigen, die diesen Tag in besonders schlechter Erinnerung behalten werden.

Tore, Rhein-Neckar Löwen: Petersson 8, Myrhol 5, Gensheimer 4 (3 Siebenmeter), Schmid 3, Groetzki 3, Ekdahl du Rietz 2, Kneer 1, Larsen 1, Guardiola 1; HSV Hamburg: Hanisch 5, Mahé 5, Lindberg 5 (2), Jansen 3, H. Toft Hansen 2, Schröder 2, Pfahl 2, Flohr 1, Hens 1. Schiedsrichter: Fleisch/Rieber (Ostfildern/Nürtingen). Zuschauer in Frankfurt: 44.189. Siebenmeter: 5 (3 verwandelt; Max-Henri Herrmann hält gegen Uwe Gensheimer/48., Gensheimer verwirft/55.); 3 (2 verwandelt; Torsten Jansen trifft den Pfosten/19.). Zeitstrafen: 2; 2. Nächste HSV-Bundesligaspiele: Mittwoch, 20.15 Uhr, bei Balingen-Weilstetten; Sonnabend, 15 Uhr, O2 World, gegen HSG Wetzlar.