23:23 bei der Heimpremiere gegen Hannover. Am Sonntag kommt Meister THW Kiel

Hamburg. Als die Spielzeit abgelaufen war, ließen sich die HSV-Handballer auf den Hallenboden sinken. Die Spieler der TSV Hannover-Burgdorf versuchten währenddessen, ihren Kreisläufer Joakim Hykkerud einzufangen, der seine 110 Kilogramm auf ein bemerkenswertes Tempo gebracht hatte. Und die Schiedsrichter Peter Behrens und Marc Fasthoff bahnten sich so unauffällig wie möglich ihren Weg in die Katakomben, vorbei an den wütenden Hamburger Fans. Die fühlten sich um eine gelungene Heimpremiere ihrer Mannschaft betrogen.

In der Schlusssekunde hatte Hykkerud einen letzten Verzweiflungswurf zum 23:23-Ausgleich verwandelt. Dass es dazu gekommen war, mochten viele der gut 5000 Premierengäste in der O2 World nicht verstehen. 80 Sekunden Zeit hatten Behrens und Fasthoff den Hannoveranern für ihren Angriff eingeräumt, immer wieder hatten sie auf Freiwurf erkannt. Und schließlich übersahen sie auch noch, dass Hykkerud bei seinem Wurf im Kreis stand.

So weit aber hätte es gar nicht zu kommen brauchen. Noch sechs Minuten vor Schluss schienen die Hamburger beim Stand von 23:18 einem sicheren Sieg entgegenzustreben. Am Ende aber glitt wie schon zum Saisonauftakt in Gummersbach nach klarer Führung wieder ein Punkt aus den Händen. Ähnlich war bereits die erste Halbzeit verlaufen, als eine 9:4-Führung noch zu einem 13:14-Halbzeitrückstand wurde.

„Leider hatten wir, das muss man so sagen, in der Schlussphase nicht mehr den Arsch in der Hose, um voll draufzugehen, sondern haben versucht, das Ergebnis zu verwalten. Und das konnten wir noch nie“, haderte Torwart Johannes Bitter. An ihm hatte es wahrlich nicht gelegen, 17 Würfe konnte er abwehren. „Er war super“, sagte Trainer Christian Gaudin. Mit insgesamt 23 Gegentoren könne man auch gut leben. Dafür seien im Angriff zu viele Fehler gemacht worden.

Das konnte andererseits nicht ernsthaft überraschen. Eine neue Mannschaft mit einem neuen Trainer in einem neuen Vereinsumfeld – an diesem HSV ist noch einiges gewöhnungsbedürftig. Dass die Torhüter jetzt orange tragen, ist noch die geringste Veränderung. Das einstmals opulente Hallenheft ist zu einem Flyer geschrumpft. Und statt zweier Hallensprecher gibt es nur noch einen (Heiko Ziesche). Der Sparkurs, den sich der HSV mit seinem neuen Geschäftsführer Christian Fitzek auferlegt hat, betrifft offenbar nicht nur die Mannschaft.

Die büßte zwar einige Stars ein. Aber Gaudin meinte auch an diesem Freitagabend erkennen zu können, dass sie noch viel Potenzial birgt: „Ich glaube, die nächsten Spiele werden noch besser. Das System setzt sich allmählich in den Köpfen.“ Stefan Schröder scheint es bereits verinnerlicht zu haben, er spielte in Abwehr und Angriff brillant und war mit neun Toren bester Werfer.

Was bislang aber fehle, sei ein Spieler im Rückraum, der einfache Tore mache. Einer wie Domagoj Duvnjak oder Joan Canellas, die beide nach Kiel gewechselt sind. Kentin Mahé, ihrem Nachfolger auf der Spielmacherposition, ist das Bemühen zwar nicht abzusprechen. Viel mehr Positives lässt sich über seine Leistung allerdings nicht sagen. Nur zwei seiner acht Würfe fanden den Weg ins Tor, weitere dreimal verlor er den Ball durch einen technischen Fehler. Zwei Zeitstrafen rundeten die schwache Bilanz des Franzosen ab.

Allerdings zeigte sich der HSV eher in Überzahl anfällig. Hannovers Trainer Christopher Nordmeyer versuchte die auszugleichen, indem er für den starken Torwart Martin Ziemer (16 Paraden) im Angriff einen sechsten Feldspieler einwechselte – und hatte mit dieser Taktik Erfolg. Sie scheint zu einem Trend geworden zu sein, denn auch Gaudin wechselte in Unterzahl Matthias Flohr für Bitter ein. Es gibt also auch taktisch einiges zu entdecken bei diesem neuen HSV. Allerdings waren nur 5112 Besucher neugierig darauf – weniger hat zuletzt vor zehn Jahren eine Heimpremiere des HSV mobilisiert (4923 gegen die SG Wallau-Massenheim). Fitzek war trotzdem nicht unzufrieden: „Noch vor drei Wochen waren erst 3000 Karten verkauft.“ Vor einem Jahr kamen zum Saisonauftakt noch 11.569 Zuschauer. Allerdings war es ein Spitzenspiel: der Champions-League-Sieger (HSV) gegen den deutschen Meister (THW Kiel).

Am Sonntag (17.15 Uhr/Sport1) wiederholt sich dieses Duell in der O2 World, doch es ist zu einem normalen Derby geschrumpft. Der HSV bekommt das auch finanziell zu spüren: Bis Freitag waren erst 7600 Eintrittskarten verkauft. Es droht der schlechteste Besuch der HSV-Geschichte in einem Bundesliga-Heimspiel gegen den deutschen Meister zu werden. Sportlich allerdings hat man nichts zu verlieren. Das sollte Mut machen.

Tore, HSV: Schröder 9, Pfahl 4, Mahé 2, Hens 2, Toft Hansen 2, Schmidt 2 (2 Siebenmeter), Simicu 1, Jansen 1; Hannover-Burgdorf: Johannsen 7 (2), Häfner 6, Hykkerud 4, Andreu 2, Szücs 2, Patrail 1, Lehnhoff 1. Schiedsrichter: Behrens/Fasthoff (Düsseldorf), Zuschauer: 5112. Zeitstrafen: 4; 3.