HSV-Handball-Trainer außer Lebensgefahr. Frühere Senatorin soll Präsidentin werden

Hamburg. Um 10.07 Uhr am Freitagmorgen zuckte Holger Liekefett kurz zusammen. Auf dem Handy des Geschäftsführers der HSV-Handballer ging ein Anruf von Trainer Martin Schwalb ein. Erst wenige Minuten zuvor hatte Liekefett von dem Drama erfahren, das sich in der Nacht zugetragen hatte: dass Schwalb, 51, einen schweren Infarkt an der Herzvorderwand erlitten und sich einer vierstündigen Notoperation unterzogen hatte. Und nun dieser Anruf. Doch Schwalbs Stimme hatte schon fast wieder die vertraute Kraft. „Er hat gesagt: ‚Holger, wir werden sicherlich bald wieder Golf spielen.‘“

Das vorangegangene Gespräch der beiden am Donnerstagnachmittag soll weniger erfreulich verlaufen sein. Auf der Geschäftsstelle in der Volksbank-Arena war Schwalb mitgeteilt worden, dass der Verein nach fast neun Jahren nicht mehr mit ihm plane und bereits einen Nachfolger für ihn suche.

Die Trennung von dem Erfolgstrainer, der 2011 die deutsche Meisterschaft und 2013 die Champions League gewann, war eine der Bedingungen, die Andreas Rudolph mit seinem Rettungsmanöver verknüpft hatte. Der frühere Präsident hatte am Dienstag eine Patronatserklärung über fast fünf Millionen Euro bei der Bundesliga vorlegen lassen und dem Verein somit die Bundesligalizenz gesichert. Rudolphs Verhältnis zu Schwalb gilt seit Längerem als schwer belastet. Schwalb wird mangelnde Loyalität vorgeworfen.

Insofern wird Schwalb nicht überrascht gewesen sein davon, dass der HSV seinen Vertrag auflösen will. Am Donnerstagabend soll er noch eine Schulaufführung seines Sohnes Maximilian besucht, diese aber vorzeitig verlassen haben. Eine Nachbarin habe kurz darauf den Notarzt gerufen. Stress und starkes Rauchen mögen das Drama ausgelöst haben. Bei dem Eingriff in der Asklepios-Klinik Nord am Heidberg sollen Schwalb vier Stents eingesetzt worden sein – medizinische Implantate, die eine erneute Verstopfung der Herzkranzgefäße verhindern sollen. Inzwischen ist er offenbar außer Lebensgefahr. „Es geht ihm den Umständen entsprechend besser“, sagte Liekefett.

Es scheint also nichts dagegenzusprechen, dass er und Schwalb alsbald eine gemeinsame Runde über den Golfplatz drehen. Die Zeit dafür zumindest sollten beide haben. Auch Liekefett, 51, scheidet aus seinem Amt beim HSV aus – er allerdings freiwillig. Grund sei die schwere Erkrankung seines Schwiegervaters. „Meine Familie liegt mir noch näher als der HSV, deshalb muss ich nach nur vier Monaten diese Vollbremsung einlegen“, sagte Liekefett am Freitag auf einer Pressekonferenz.

Dass sie eigentlich von Andreas Rudolph anberaumt worden war, um seine Sicht der vergangenen Wochen klarzustellen, ging angesichts der dramatischen Vorgänge fast unter. „Es trifft einen unglaublich, was da passiert ist“, sagte Rudolph, „unsere allerbesten Genesungswünsche gehen an Martin, wir hoffen, dass er bald wieder auf den Damm kommt.“ Verglichen damit sei „alles andere Nebensache“.

Dann allerdings hob Rudolph zu einer viertelstündigen, frei gehaltenen Verteidigungsrede an. Er sprach darüber, warum er am 8. Mai sein Präsidentenamt niedergelegt und in der Folge jedes weitere finanzielle Engagement ausgeschlossen habe („Ich wollte durch Weckrufe andere dazu bringen, sich zum HSV zu bekennen; das ist bis zuletzt nicht passiert“). Er sprach darüber, warum er am Ende doch mit mehreren Finanzbeihilfen die Insolvenz und den Lizenzentzug abgewendet habe („Mir liegt der HSV am Herzen und das, was wir in den letzten Jahren geschafft haben“). Ein Amt strebe er nicht mehr an: „Ich bin ein alter Mann und habe eine andere Lebensplanung.“

Rudolph rügte das Schiedsgericht der Bundesliga dafür, dass es die Lizenzerteilung an den HSV in seinem Urteil ausdrücklich von seiner Patronatserklärung abhängig gemacht habe („Auch wenn es nur ein Sportgericht ist, so etwas habe ich noch nie erlebt“). Er bestritt, dass es für den HSV ohne sein Comeback einen Neustart in der Dritten Liga hätte geben können („Keiner darf das denken. Wie soll das gehen, wenn der Verein pleite ist?“). Und er schimpfte über die zurückgetretenen Aufsichtsräte, den Vorsitzenden Wolfgang Fauter und dessen Kollegen Maximilian Huber („Eine Respektlosigkeit, die mich sehr erbost hat; beide haben nicht ein einziges Mal den Finger zur Rettung des HSV gehoben“).

In einer internen Sitzung allerdings soll Rudolph kürzlich neben der Entlassung von Schwalb auch die des früheren Versicherungschefs Fauter sowie von Stefan Schröder gefordert haben („Die will ich hier alle nicht mehr sehen”). Den Rechtsaußen hatte Rudolph noch im Februar als künftigen Marketing-Mitarbeiter vorgestellt. Jetzt steht der frühere Nationalspieler ohne Vertrag da. Am Freitag aber betonte Rudolph, dass er sich in Personalfragen nicht einzumischen gedenke: „Ich will lediglich Bescheid wissen, was vor sich geht. Und ich denke, dass das mein Recht ist, wenn ich eine solche Unterschrift leiste.“

Dass die fünf Millionen Euro am Ende abgerufen werden, damit rechnet Rudolph nicht. Laut einem Schreiben an den Club versteht er seinen Einsatz als Garantie auf zu erwartende Einnahmen, darunter die Verträge mit den Hauptsponsoren GHD (1,7 Millionen Euro) und AOK (500.000), Einlagen neuer Kommanditisten (800.000), Ablösezahlungen (425.000), einen auszuhandelnden Gehaltsverzicht der Profis (374.000) sowie weitere Sponsoring-Gelder von rund einer Million Euro.

Sie wird man verbuchen können, da ist sich Karl Gladeck sicher. Der 47 Jahre alte Reise- und Eventveranstalter aus Aschaffenburg soll den HSV künftig bei der Akquise unterstützen. Gladeck sieht es als dankbare Aufgabe: „Wir sind auf einem sensationellen Weg. Wenn wir jetzt zwei Gänge hochschalten, werden wir in einem Jahr mehr Partner haben als heute.“ In jedem Fall werde der Etat stark beschnitten, auf etwa 5,5 Millionen Euro. Dies sei möglich, weil die Spieler zu Gehaltseinbußen bereit seien. So habe der kroatische Abwehrchef Davor Dominikovic, 36, trotz anderer Angebote einen Einjahresvertrag zu deutlich reduzierten Bezügen akzeptiert. Vergleichbare Abschlüsse sollen nun mit den Flügelspielern Torsten Jansen, 37, Schröder, 32, und Matthias Flohr, 32, erzielt werden. Zwei oder drei Neuzugänge sind zudem geplant.

Unterschrieben würden die Verträge vorläufig von Liekefett. Er bleibt zeichnungsbefugt, bis ein Nachfolger eingestellt ist. Wobei es künftig je einen Geschäftsführer für den sportlichen und den wirtschaftlichen Bereich geben soll. „Wir werden ein überdurchschnittlich erfolgreiches Team haben, das weiter zu den besten fünf der Bundesliga gehört“, verspricht Interimspräsident Frank Spillner. Er will sein Mandat bis zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Anfang September ausüben und dann nicht mehr kandidieren. Spillner, 47, hatte sich zwar im Kampf um die Lizenz stark engagiert, soll aber einen Neuanfang ohne Rudolph bevorzugt haben, der wie er Medizintechnik-Unternehmer ist.

Eine Nachfolgerin für Spillner steht offenbar bereit: Alexandra Dinges-Dierig, 61. Die Lübecker CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Hamburger Sportsenatorin ist dem Handballclub seit 2008 als langjährige Vorsitzende des Kuratoriums verbunden. Dessen Ziel ist die Förderung der Jugendarbeit. Zudem ist Dinges-Dierig als Mitglied des Beirats von Rudolphs Firma GHD mit dem Vereinsmäzen gut vertraut.