Das WM-Halbfinale ist ein echter Leckerbissen für Fußball-Fans. Die Meinungen über den Ausgang des Spiels Brasilien gegen Deutschland gehen stark auseinander. Eine Orientierungshilfe von abendblatt.de.

Belo Horizonte. Joachim Löw geht mit einem „sehr guten“ Bauchgefühl in das große WM-Halbfinale gegen Brasilien. Und auch viele Experten trauen dem deutschen Nationalteam am Dienstagabend (22 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) den Finaleinzug zu. Doch was spricht eigentlich für Deutschland – und was für Brasilien? Abendblatt.de gibt einen Überblick:

Diese Punkte sprechen für Deutschland...

Torhüter: Regenwald deckt 57 Prozent von Brasilien ab. Aber Manuel Neuer den ganzen Rest. Die Nummer eins hat bei dieser WM wieder einmal unter Beweis gestellt, dass er der beste Schlussmann der Welt ist. Wie Neuer gegen Algerien fußballerisch rettete und gegen Frankreich in den Schlusssekunden mit einem Blitzreflex den Ausgleich verhinderte, war herausragend. Während sich bei diesem Turnier viele starke Torhüter wie auch US-Keeper Tim Howard oder Mexikos Guillermo Ochoa in den Vordergrund spielten, ist von den vier Halbfinalisten nur Deutschland mit einem Weltklasse-Mann ausgestattet.

Brasiliens Julio Cesar, 34, ist längst über den Zenit hinaus, spielt in der international bedeutungslosen Major League Soccer in den USA. Zwar wurde er im Elfmeterschießen gegen Chile im Achtelfinale mit zwei parierten Strafstößen zum Volkshelden, doch im Spiel ist Cesar immer wieder ein Unsicherheitsfaktor. 2010 verschuldete er im Halbfinale gegen die Niederlande mit einem schweren Patzer das Ausscheiden der Selecao.

Faktor Neymar: Brasilien in Tränen – das WM-Aus für Neymar schockte ein ganzes Land. Das gesamte Spiel der Selecao war auf ihn zugeschnitten, nun muss das Team innerhalb weniger Tage eine neue Taktik entwickeln. Spielerisch verbreitete Brasilien bislang wenig Glanz, einzig Neymars Leistungen überstrahlten dies. Dennoch sind die Stimmen, nun sei das Duell nicht mehr gleichwertig einzuschätzen, mehr als fragwürdig. Denn der „deutsche Neymar“ fiel schon vor Beginn des Turniers aus. Marco Reus musste verletzt zu Hause bleiben, weshalb die DFB-Elf diesen herben Verlust bereits ab dem ersten Spiel ausgleichen musste. In diesem Falle ein klarer Vorteil für Deutschland! Das Team ist eingespielt, kann auf einstudierte Mechanismen zurückgreifen.

Offensive: Nach dem Ausfall von Neymar hat Brasilien seinen einzigen Torjäger verloren. Die Offensivkräfte Fred und Hulk präsentierten sich bislang in schwacher Verfassung. Sie strahlten weder Torgefahr aus, noch konnten die Angreifer gegnerische Verteidiger binden, um Räume für Mitspieler zu reißen. Deutschland verfügt dagegen über zahlreiche Offensivspieler mit Torgefahr. Abgesehen vom deutschen Top-Torjäger Thomas Müller sind auch Spieler wie André Schürrle oder Miroslav Klose immer wieder für einen Treffer gut. Besonders Müller ist für die gegnerische Defensive kaum auszurechnen, sein eigenwilliger Spielstil verwirrt seine Gegenspieler immer aufs Neue.

Rationalität: Die deutsche Mannschaft ist kühler, abgezockter. Siehe Per Mertesacker: 1:0, das reicht doch. Wie ging noch mal das Finale 1990 gegen Argentinien aus? Richtig, 1:0 für Deutschland, spätes Elfmetertor von Andreas Brehme.

Lerneffekt: Wann haben deutsche Mannschaften gegen die Über-Gegner gewonnen? Wenn sie vorher ein paar mal knapp gescheitert sind. 1982 und 1986 im Finale, erst 1990 gewonnen. Warum? Gelernt, wie man gegen Italien oder Argentinien bestehen muss. Und jetzt? Zweimal an Spanien gescheitert (EM und WM), zweimal an Italien (WM und EM). Wer ist in Brasilien 2014 noch dabei? Richtig!

Haarige Bremsklötze: Am Zuckerhut ist Wuschellook in, bei den Deutschen trägt man kurz. Während für die Selecao David Luiz, Dante, Marcelo oder Willian stattliches Mehrgewicht auf dem Kopf über den Platz schleppen müssen, können Thomas Müller, Miroslav Klose oder Bastian Schweinsteiger nahezu stromlinienförmig Richtung gegnerisches Tor stürmen. Klares Konditionsplus für Deutschland!

Wetten: Für Sportwettenanbieter bwin geht Deutschland als Favorit in das Halbfinale gegen Brasilien. Die DFB-Quote für einen Sieg in der regulären Spielzeit steht derzeit bei 2,70. Sollte die Seleção nach 90 Minuten als Sieger vom Platz gehen, zahlt bwin das 2,80-Fache des Einsatzes zurück.

Promi-Support: Das Land steht hinter Brasilien, dafür hat Deutschland eine ungewöhnliche Fangemeinde. Neben Chinas Ministerpräsidenten Li Keqiang, Popstar Rihanna und Frankreichs Ex-Fußballer Willy Sagnol hat sich sogar die niederländische Fußball-Legende Johan Cruyff als Fan des Teams von Bundestrainer Joachim Löw geoutet – und das obwohl sein Heimatland noch im Turnier vertreten ist. Und auch zahlreiche Anhänger Englands, die nicht gerade für ihre Zuneigung für Deutschland bekannt sind, supporten nach dem WM-Aus der Three Lions das DFB-Team.

Prämie: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) lockt mit einer Rekordprämie von 300.000 Euro pro Spieler, sollte die Nationalelf den Titel in Brasilien gewinnen. Beim Tragen des Trikots der Nationmannschaft dürfte das Thema Geld eigentlich keine große Rolle spielen. Die Sehnsucht nach einem großen Titel sollte eigentlich genügen. Dennoch könnte diese beachtliche Summe für die DFB-Kicker eine weitere Motivationsspritze sein. Die Prämienzahlungen der Brasilianer sind nicht bekannt. Punkt für Deutschland.

Durchblick: Brasilianische Heulsusen haben keinen Durchblick.

Auf unserer Seite: Brasilien liegt auf unserer Seite des Erdballs. Genauer: in Schleswig-Holstein. Der 1,6 Kilometer lange Strandabschnitt in der Gemeinde Schönberg heißt nämlich so.

Diese Punkte sprechen für Brasilien...

Bilanz: Die Bilanz spricht klar für den fünfmaligen Weltmeister. Die bisherigen vier Siege gelangen der deutschen Elf ausschließlich in heimischen Stadien. Brasilien ist eine von acht Nationen, gegen die Deutschland seit 1908 eine negative Länderspielstatistik aufweist. In 21 Aufeinandertreffen gab es bei zwölf Niederlagen und fünf Unentschieden nur vier Siege.

Schiedsrichter: Die Brasilianer spielen härter und grätschen in der Defensive alles weg, was sich bewegt. Thomas Müller, Mesut Özil und andere könnten sich provozieren lassen. Und: Die Schiedsrichter haben (siehe Eröffnungsspiel) den Gastgeber geschützt. Und nach dem Brutalo-Foul an Neymar wird es Konzessionsentscheidungen für die Brasilianer geben.

Unterstützung: Die gelbe Wand der Fans im Stadion kann beeindruckend sein. Das weiß jeder, der schon mal in Dortmund gegen die schwarz-gelbe Wand angespielt hat. Auch manch hartgesottener Profi aus Deutschland lässt sich beeindrucken.

Dante und Luiz Gustavo: Beide Bundesliga-Profis kennen Spielweise, Laufwege und Mentalität der Deutschen. Beide kennen die DNA der Bayern-Profis, die den Kern der deutschen Mannschaft bilden. Für 90 oder mehr Minuten werden sie mit allem, was geht, die Abordnung ihrer Wahlheimat bekämpfen.

Omen: Schlechtes Omen? Das Finale 2002 wurde vom ZDF in die deutschen Wohnzimmer und Fanmeilen übertragen, Béla Réthy kommentierte. Deutschland verlor bekanntlich mit 0:2. Und wer sendet das Halbfinale am Dienstag? Richtig: Das ZDF mit Kommentator Béla Réthy. Wer abergläubisch sein möchte, könnte diesen Punkt für Brasilien verbuchen.