Trainerfuchs Louis van Gaal machte, was sich kaum einer traut: Kurz vor dem Elfmeterschießen wechselte der Bondscoach einen neuen Torwart ein. Das war nicht sein einziger Trick.

Salvador. Was für ein Drama! Nur einer behielt den Überblick nach 120 Minuten Anrennen, Verteidigen, Pfostenschießen und Elfmeter-Krimi: Louis van Gaal. Der ausgebuffte niederländische Trainer sorgte mit einem Trick dafür, dass die Holländer zum fünften Mal in der Geschichte in ein WM-Halbfinale einziehen konnten. Und das wird am Mittwoch (22 Uhr, live im ZDF und bei abendblatt.de) gegen Argentinien gespielt, den fußballerischen Erzfeind, seit die Südamerikaner 1978 im WM-Finale die brillanten Niederländer besiegten.

So geht Oranjes Titeltraum weiter, während Costa Ricas Fußball-Märchen zu Ende ist. Mit einem 4:3 in einem dramatischen Elfmeterschießen über den Außenseiter wahrten Arjen Robben und Co. die Chance auf den ersten WM-Gewinn für die Niederlande. Dank der Reaktionsschnelligkeit des erst wenige Minuten zuvor eingewechselten Torhüters Tim Krul, der die Elfmeter von Bryan Ruiz und Michael Umana parierte, zogen die Niederländer vor 51.179 Zuschauern in Salvador mit Glück ins WM-Halbfinale ein. Nach regulärer Spielzeit und Verlängerung hatte es 0:0 gestanden.

13,89 Millionen Zuschauer verfolgten in Deutschland den Elfmeterkrimi bei der Fußball-WM in Brasilien zwischen den Niederlanden und Costa Rica im ZDF verfolgt (Marktanteil 58,3 Prozent). Auf einen Wert von 57,2 Prozent war zuvor Argentiniens Einzug in die Runde der letzten Vier gekommen. 12,34 Millionen Zuschauer sahen den 1:0-Erfolg der Südamerikaner gegen Belgien.

„Das ist nicht normal. Da sitzt du die ganze Zeit draußen und dann kommst du rein und sollst das Halbfinale retten. Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung“, sagte Matchwinner Krul. Ähnlich euphorisch kommentierte Angreifer Robin van Persie den Erfolg: „Das ist bizarr. Der Wechsel am Ende war genial. Jeder weiß, dass Tim stark beim Elfmeterhalten ist. Er hat zweimal fantastisch reagiert.“

Bei allem Frust über das Aus überwog bei Costa Ricas Schlussmann Navas der Stolz: „Wir haben ein großartiges Spiel gezeigt und in diesem Turnier kein einziges Spiel verloren. Wir können stolz nach Hause fahren.“

Im ersten Duell beider Mannschaften überhaupt waren die Rollen von Beginn an klar verteilt. Wie erwartet, übernahmen die Niederländer die Regie, Costa Rica verlegte sich aufs Kontern. Doch die Hoffnungen der Elftal auf einen ähnlich furiosen Auftritt wie schon beim furiosen 5:1 über Spanien in ihrem ersten WM-Gruppenspiel an gleicher Stätte erfüllten sich zunächst nicht.

Zum wiederholten Mal entpuppte sich Costa Rica als unangenehmer Gegner – wie schon in den bisherigen WM-Partien gegen die ehemaligen Weltmeister Italien, Uruguay und England sowie den Achtelfinal-Kontrahenten Griechenland. Nicht zuletzt deshalb tat sich die auf zwei Positionen veränderte Oranje-Elf beim Herausspielen von Torchancen ungewohnt schwer. Gegen das von Coach Jorge Luis Pinto glänzend eingestellte Team fand die holländische Offensive lange kein Durchkommen.

Erst nach 20 mehr oder weniger ereignislosen Minuten gewann die Partie an Fahrt. Robin van Persie sorgte für den ersten Aufreger: Doch beim Schuss des Angreifers von Manchester United bewies der zuletzt hochgelobte Schlussmann Keylor Navas, warum angeblich auch der FC Bayern mit einer Verpflichtung liebäugelt. In ähnlich überzeugender Manier klärte der Schlussmann sieben Minuten später gegen den WM-Startelf-Debütanten Memphis Depay und in der 39. Minute bei einem platzierten Freistoß von Wesley Sneijder.

Das Fehlen der gesperrten Stammkraft Oscar Duarte machte sich in der Abwehr von Costa Rica nicht negativ bemerkbar. Der für ihn in die Mannschaft gerückte Johnny Acosta vertrat ihn prächtig und trug dazu bei, dass sich die überlegenen Niederländer bis zur Pause vergeblich um ein Tor bemühten. Auf der anderen Seite blieb der niederländische Keeper Jaspar Cillessen allerdings nahezu beschäftigungslos.

Auch nach Wiederanpfiff war das Angriffsspiel des Favoriten lange Zeit zu statisch. Das machte den Gegner mutiger. Bei einem Kopfball von Giancarlo Gonzáles (64.) über das Tor kam Costa Rica einem Treffer zum ersten Mal nahe. Doch angesichts einer drohenden Verlängerung erhöhte Oranje in der Schlussphase das Tempo und wurde dafür fast belohnt. Doch der Freistoß von Sneijder in der 82. Minute landete nur am Pfosten. In der dramatischen Nachspielzeit der regulären Spielzeit rettete Yeltsin Tejede bei einem Schuss von van Persie auf der Linie.

In der Verlängerung blieben die Niederländer ihrer Abschlusschwäche treu: Zahlreiche Chancen blieben ungenutzt. Doch auch der Gegner war dem Siegteffer nahe: So klärte Cillessen kurz vor seiner Auswechslung in höchster Not gegen Marco Urena (116.).

Van Gaal sagte nach dem Spiel lakonisch: Tore zu schießen ist im Fußball immer das Wichtigste. Besonders bei so einem großen Turnier. Das haben wir heute in 120 Minuten nicht geschafft. Ich weiß nicht, wie viel Ballbesitz und wie viele Chancen wir hatten...“

Das Spiel sei sehr nervenaufreibend gewesen. Und: „Es war vorher geplant, Tim einzuwechseln, wenn es zum Elfmeterschießen kommt. Jeder Spieler im Team hat besondere Qualitäten. Und wir fanden alle, dass Tim der bessere Torwart wäre, um Elfmeter zu halten. Er hat eine große Reichweite. “ Und Stammkeeper Jasper Cillessen wusste vor dem Spiel nichts von dem Plan. „Das wäre enttäuschend für ihn gewesen. Wir waren aber eben überzeugt, dass Tim größere Chancen hat, Elfmeter zu halten. Er wusste natürlich Bescheid, er musste ja vorbereitet sein. Wenn es nicht funktioniert hätte, hätte ich die falsche Entscheidung getroffen.“

In Deutschland hat es den Torwarttausch ebenfalls schon gegeben. Im Viertelfinale des DFB-Pokals 2007 zwischen dem 1. FC Nürnberg und Hannover 96 wechselte Club-Trainer Hans Meyer in der 119. Minute Ersatztorhüter Daniel Klewer ein: Klewer hatte zuvor im Achtelfinale in Vertretung von Stammtorhüter Raphael Schäfer im Elfmeterschießen vier Schüsse gegen die SpVgg Unterhaching gehalten – diesmal hält er zwei.

Richtig schief ging die Nummer im Halbfinale des DFB-Pokals 2012: Der extra zum Elfmeterschießen eingewechselte Fürther Jasmin Fekciz kam in der 118. Minute – Sekunden vor dem Abpfiff prallte aber von seinem Körper ein Pfostenschuss von Ilkay Gündogan von Borussia Dortmund zum 0:1 n.V. ins Tor.