Die Unsicherheit im deutschen Lager drückte sich nicht nur auf dem Platz aus. Im Achtelfinale gegen Algerien wirkte die Nationalelf äußerst fahrig und statisch. Vor allem die Defensive hatte enorme Probleme.

Porto Alegre. Millionen deutsche Fußballfans hatten sich auf ein Fußballfest gefreut. Achtelfinale gegen den krassen Außenseiter Algerien, was sollte da schon schief gehen? Stattdessen wurde es ein Zitterspiel. Erst in der zweiten Minute der Verlängerung beförderte der eingewechselte André Schürrle einen Pass von Thomas Müller mit der Hacke ins algerische Tor, Mesut Özil erhöhte kurz vor dem Abpfiff, das Gegentor durch Djabou eine Minute später fiel nicht ins Gewicht. Mit dem 2:1 ist das erste Ziel erreicht: das Viertelfinale am Freitag (18 Uhr) gegen Frankreich. Klar ist aber auch, dass sich Deutschland deutlich steigern muss, um die nächste Hürde zu nehmen.

Eine faustdicke Überraschung präsentierte Bundestrainer Joachim Löw bereits vor dem Anpfiff im Estádio Beira-Rio. Für den über Nacht erkrankten Mats Hummels (grippaler Infekt) rückte Shkodran Mustafi in die Startelf. Der frühere HSV-Nachwuchsspieler, der für den verletzten Marco Reus erst am Tag des Abflugs nach Brasilien nachnominiert wurde, durfte trotz seines Patzers gegen Ghana auf die rechte Abwehrseite, Jerome Boateng nahm Hummels’ Platz in der Innenverteidigung ein. Zumindest eine kleine Überraschung war der erneute Startelfeinsatz Bastian Schweinsteigers im defensiven Mittelfeld, keine Neuigkeit war dagegen Mario Götzes Rückkehr in die erste Elf.

Doch der erstmals mit sieben Münchnern gespickte „FC Bayern Deutschland“ wollte zunächst so gar nicht auf Touren kommen. Löws erneuerte Mannschaft tat sich trotz europäischer Verhältnisse in Porto Alegre – 14 Grad, bewölkter Himmel und zwischendurch leichter Nieselregen – von der ersten Minute an schwer. „Die Temperaturen werden uns entgegenkommen“, hoffte DFB-Manager Oliver Bierhoff: „Schon beim Warmmachen machen die Jungs einen ganz anderen Eindruck als in der tropischen Hitze.“

Einen ganz anderen Eindruck als erhofft und erwartet machte das DFB-Team aber vor allem nach dem Warmlaufen auf dem Platz. Das Aufbauspiel wirkte fahrig, das Offensivspiel statisch, und sogar Deutschlands zuletzt so gelobte Defensive hatte gegen Algeriens pfeilschnelle Angreifer große Probleme. Noch vor dem Spiel hatte Löw eindringlich davor gewarnt, dass er nur wenige Mannschaften kenne, die gleichermaßen aggressiv verteidigen und blitzschnell umschalten können – und der Bundestrainer sollte recht behalten.

Während deutsche Torchancen in der ersten Halbzeit Mangelware blieben, kamen Slimani (9.), Feghouli (14.), Ghoulam (18.) und Mostefa (39.) gleich mehrfach gefährlich vor Neuers Tor. Der Münchner musste zudem mehrmals in allerhöchster Not weit vor seinem Strafraum retten, was ihm nicht nur Lob einbrachte. „Was Neuer macht, ist Harakiri. Wenn er nur eine Hundertstelsekunde zu spät kommt, riskiert er ein Gegentor oder die Rote Karte“, kritisierte Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn im ZDF. Allerdings gab auch Kahn zu, dass Neuer nur deshalb Risiko gehen musste, weil die deutsche Abwehr insgesamt so schlecht aussah. Seltener Höhepunkt des ersten Durchgangs aus deutscher Sicht: eine Doppel-FC-Bayern-Torchance durch Kroos und Götze (41.), die Wüstenfuchs-Torhüter M’Bolhi aber problemlos entschärfen konnte.

Witze über Rückflug-Tickets

In der Halbzeitpause wurde auf der Tribüne bereits darüber gewitzelt, dass die einzige gute DFB-Entscheidung des Tages die vorausschauende Buchung des Rückflugs an diesem Dienstag gewesen sei. Im Flieger LH507 von São Paulo nach Frankfurt ab 18.40 Uhr waren für alle 23 Nationalspieler und Bundestrainer Löw Plätze reserviert.

Doch Löw machte noch vor dem Wiederanpfiff deutlich, dass er durchaus noch einige Tage in Brasilien verweilen wollte. Für den schwachen Götze (29 Ballkontakte, 75 Prozent verlorene Zweikämpfe) wurde André Schürrle zum dritten Mal im Turnier eingewechselt. Und der Wahl-Londoner sorgte bereits in den ersten zwei Minuten nach Wiederanpfiff für mehr Esprit als sein Vorgänger in den 45 Minuten zuvor.

+++ Die Einzelkritik +++

Mit Schürrle kam endlich mehr Zug ins deutsche Angriffsspiel. Hochkarätige Chancen blieben aber dennoch Mangelware. In der 70. Minute verletzte sich dann der enttäuschende Mustafi bei einem Befreiungsschlag, machte Khedira Platz. Den frei gewordenen Platz auf der rechten Abwehrseite nahm Kapitän Lahm ein. Erst in der Schlussphase hatte Deutschland dann doch große Chancen. Und es war wieder Müller, mit vier Treffern bislang bester deutscher Schütze dieses Turniers, der die Führung auf dem Kopf oder auf dem Fuß hatte. Doch er scheiterte am großartig parierenden algerischen Keeper M’Bolhi, der in der ersten Halbzeit noch Unsicherheiten gezeigt hatte. Dann musste in der Schlussphase erneut Neuer spektakulär retten. Es kam zur Verlängerung – mit dem glücklichen Ende für Deutschland.

Schema

Deutschland: Neuer – Mustafi (70. Khedira), Mertesacker, Boateng, Höwedes – Lahm, Schweinsteiger (109. Kramer) – Özil, Kroos, Götze (45. Schürrle) – Müller.

Algerien: M'Bolhi – Mandi, Belkalem, Halliche (97. Bougherra), Ghoulam – Mostefa, Taider (78. Brahimi), Lacen – Feghouli, Soudani (100. Djabou) – Slimani.Schiedsrichter: Ricci (Brasilien). Zuschauer: xx.xxx. Tore: 1:0 Schürrle (92.), 2:0 Özil (120.), 2:1 Djabour (120.+1). Gelbe Karten: Lahm – Halliche.