WM-Nachzügler Shkodran Mustafi spricht über das Campo Bahia, seine Nominierung und seine HSV-WG.

Seit einer Woche ist Shkodran Mustafi nun mit der Nationalelf in Santo André, doch so richtig angekommen in Brasilien ist der frühere Hamburger noch immer nicht. Auf der Terrasse des Costa Brasilis erzählt der WM-Nachzügler, wie er von seiner plötzlichen Nominierung erfahren hat und mit wem er im Campo Bahia in der Wohngemeinschaft wohnt.

Hamburger Abendblatt: Herr Mustafi, wissen Sie, wer Günter Herrmann, Paul Steiner und Frank Mill sind?

Shkodran Mustafi: Ehemalige Nationalspieler. Lange vor meiner Zeit.

Alle drei waren beim letzten WM-Titel 1990 dabei, spielten aber keine Sekunde. Könnten Sie sich mit einem ähnlichen Schicksal arrangieren?

Mustafi: Wenn es wirklich so sein sollte, dass ich keine Sekunde spiele, wir aber Weltmeister werden, dann wäre ich trotzdem einer der glücklichsten Menschen der Welt. Ich weiß auch, dass ich bei dieser WM bestimmt kein Weltfußballer des Jahres werde. Aber ich bin einfach wahnsinnig happy, überhaupt hier zu sein. Daran war vor einer Woche ja nicht zu denken.

Joachim Löw hat Sie erst am Abflugtag angerufen, als klar war, dass Marco Reus ausfällt. Was hat er Ihnen gesagt?

Mustafi: Ich war gerade in der Werkstatt, um mein Auto abzuholen, als er am Telefon war. Erst konnte ich es gar nicht glauben. Für Marco tat mir das natürlich total leid. Ich konnte mir zumindest ein bisschen vorstellen, wie hart das für ihn war. Ich selbst wurde ja erst wenige Tage zuvor aus dem erweiterten Kader gestrichen und brauchte auch einige Tage, um das zu verarbeiten.

Und gerade als Sie es verarbeitet hatten...

Mustafi:... klingelte der Bundestrainer durch. Ich habe danach sofort meinen Vater angerufen und ihn gefragt, ob er mich nach Mainz bringen könne.

Und? Konnte er?

Mustafi: Er wollte natürlich erst einmal wissen, was ich denn in Mainz wolle. Als ich ihm erklärte, was los war, konnte er es dann gar nicht glauben. Das war ja bei mir ganz genauso. Aber gefahren hat er mich dann trotzdem.

Hatten Sie überhaupt Zeit zum Packen?

Mustafi: Viel Zeit hatte ich nicht. Aber das Packen war eigentlich gar nicht das große Problem. Alles zu realisieren fiel mir viel schwerer. Erst im Flieger konnte ich darüber in Ruhe nachdenken, was gerade mit mir passiert. Vorher hatte ich auch noch schnell meine Kumpels anrufen müssen, mit denen ich eigentlich zwei Tage später nach Ibiza fliegen wollte. Wir hatten alles gebucht.

Die Kumpels sind dann allein geflogen?

Mustafi: Nein, wir haben alles storniert. Aber natürlich war keiner böse, die waren alle megastolz. Ich bekam dann auch super viele Nachrichten geschickt, die ich kaum beantworten konnte.

Nicht mal einen Tag später kamen Sie ja auch schon im Campo Bahia an.

Mustafi: Wirklich begreifen konnte ich das alles dann noch immer nicht. Ich stand da auf der Fähre, neben mir war Bastian Schweinsteiger, und ich dachte mir: Krass, das ist jetzt wirklich Schweini. Und du bist tatsächlich mit der Nationalmannschaft in Brasilien.

Genau wie Podolski, Lahm und Klose war auch Schweinsteiger schon beim Sommermärchen 2006 dabei ...

Mustafi:... und da war ich gerade mal 14 Jahre alt und habe die Weltmeisterschaft beim Public Viewing in Bebra verfolgt. Die WM in Deutschland ist die erste Weltmeisterschaft, an die ich mich so richtig erinnern kann. Ein bisschen habe ich auch noch die WM 2002 im Kopf, die habe ich vor allem auf der Playstation nachgespielt. Ich kann mich zum Beispiel noch erinnern, dass Miroslav Klose drei Tore im ersten Spiel gegen Saudi-Arabien geschossen hat.

Klose ist drei Jahre jünger als Ihr Vater.

Mustafi: Darüber habe ich mich mit Miro auch gerade erst unterhalten. Das kann man eigentlich gar nicht glauben, oder? Mein Vater war noch sehr jung, als ich zur Welt gekommen bin. Aber auch Miro konnte es nicht glauben, dass er fast mein Vater hätte sein können. Nun ist er jetzt mein WG-Partner.

Wer ist noch in Ihrer WM-WG?

Mustafi: André Schürrle, Toni Kroos, Roman Weidenfeller und Mario Götze. Mario kannte ich schon aus der U16-Nationalmannschaft. Wir sind auch zusammen U17-Europameister geworden, haben uns dann aber ein bisschen aus den Augen verloren. Ich habe ja später immer im Ausland gespielt.

Sie sind zwar nicht das jüngste, aber das neueste Mitglied in der Deutschland-WG. Haben Sie bestimmte Aufgaben?

Mustafi: Noch wurde ich verschont. Aber als Neuer muss ich bestimmt noch was machen, zum Beispiel ein Lied vor versammelter Mannschaft singen.

Ab Ihrem 14. Lebensjahr haben Sie drei Jahre lang im HSV-Internat gewohnt. War das WG-Leben dort vergleichbar mit dem im Campo Bahia?

Mustafi: Eigentlich nicht. Das HSV-Internat war früher mein Zuhause, hier bin ich ja nur für ein paar Wochen. Und natürlich ist es ein krasser Unterschied, im Internat mit ein paar 15- oder 16-Jährigen zusammenzuleben oder hier in der WG mit Miro Klose zu wohnen.

Sie haben das HSV-Internat 2009 verlassen, um Ihre Profikarriere in Everton zu starten. Ein ganz schön mutiger Schritt.

Mustafi: Hätten wir uns vor einem Jahr getroffen und darüber gesprochen, dann hätte ich wahrscheinlich eingeräumt, dass das ein Fehler gewesen ist. Meine Zeit in Everton war nicht so, wie ich es mir erhofft hatte, ich durfte ja kaum spielen. Aber im Nachhinein war es dann vielleicht doch wieder ganz gut, weil mich auch diese nicht ganz einfache Zeit weitergebracht hat. Immerhin sitze ich ja jetzt hier, bin Nationalspieler und bin bei der WM dabei.

Um Heimweh muss man sich bei Ihnen also keine Gedanken machen?

Mustafi: Überhaupt nicht. Ich kann mir mit meiner Familie ja auch Nachrichten über WhatsApp schreiben. Nur über Facetime oder Skype zu telefonieren ist nicht ganz so einfach. Aber mein Vater freut sich auch über Kurzmitteilungen. Wenn wir weit kommen, dann will er mich auch mal besuchen kommen.

Ihr Vater hatte kürzlich eingeräumt, dass ein Wechsel in die Bundesliga möglich wäre. Könnten Sie sich auch eine Rückkehr nach Hamburg vorstellen?

Mustafi: Im Moment möchte ich erst mal alles genießen, was ich hier gerade erlebe. Danach lasse ich alles in Ruhe auf mich zukommen. Aber in Genua habe ich ja auch noch Vertrag bis 2016.

Haben Sie noch Kontakt nach Hamburg?

Mustafi: Mit ein paar Jungs, mit denen ich damals im Internat war, habe ich noch guten Kontakt. Aber die meisten spielen nicht mehr professionell Fußball. Auch mit Maxi Beister habe ich ein paarmal geschrieben.