In der bittersten Stunde als Bundestrainer zeigte Jürgen Klinsmann Größe - und schob zugleich jede Debatte um seine eigene Zukunft rigoros zur Seite. „Es ist absolut unwichtig, was mit meiner Person passiert“, antwortete der 41-Jährige auf die Frage der Nation: Bleibt er oder geht er?

BERLIN. Der Chef, selbst nach dem Last-Minute-Schock im WM-Halbfinale sichtbar um Fassung ringend, kümmerte sich um seine am Boden zerstörten Spieler und gratulierte Italien fair zum Finale. "Ihr könnt stolz sein auf das, was ihr hier erreicht habt. Ihr habt ein fantastisches Turnier gespielt", sagte Klinsmann noch in der Kabine zu seinem Personal, das ihm nach sieben gemeinsamen WM-Wochen auch ans Herz gewachsen ist.

"Das ist einer der wichtigsten Punkte überhaupt, daß Spieler heranwachsen, die ungeheures Potenzial haben, um im Weltfußball auf sich aufmerksam zu machen", wies Klinsmann trotz des WM-Aus' auf ein positives Ergebnis seines Erneuerungs-Kurses hin. "Auch innerhalb des DFB gibt es keinen mehr, der an der Arbeit von Jürgen Klinsmann zweifelt", sagte Manager Oliver Bierhoff, der ein Umdenken gerade in der Riege der Vize-Präsidenten ausgemacht haben will.

Nach der Begeisterungswelle im ganzen Land, die Klinsmann mit seinem mutigen, schnellen und frischen Stil ausgelöst hat, liegen alle Argumente auf der Seite des Bundestrainers. Der Kampf um eine weitere Zusammenarbeit mit ihm hat sofort nach dem 0:2 gegen Italien begonnen. "Es wäre jammerschade, wenn er aufhören würde. Er hat diese Mannschaft geprägt, die Spieler vertrauen ihm", erklärte WM-Chef Franz Beckenbauer, der noch kurz vor dem Turnier ein großer Skeptiker des Klinsmann-Kurses war. "Wir wünschen uns, daß wir frühzeitig eine Antwort bekommen", erklärte Bierhoff. "Er hat den Mut und die Standhaftigkeit, die Dinge fortzuführen. Deshalb lebt das ganze Projekt mit Klinsmann noch mehr", warb er um Klinsis Dienste über den Vertragsablauf am 31. Juli hinaus.

Klinsmann ringt noch mit sich selbst und wird erst nach dem Spiel um Platz drei wirklich intensiv über seine Planung nachdenken. "Ich werde die WM erst einmal ein paar Tage sacken lassen, alles mit meiner Familie besprechen. Es ist viel passiert in den letzten zwei Jahren, da muß man erst einmal durchschnaufen. Ich habe zwei Jahre lang die volle Energie reingelegt und an nichts anderes gedacht als den Finaleinzug", sagte Klinsmann.

In seine Entscheidung wird Klinsmann alle möglichen Punkte einbeziehen, die Stimmung in der Mannschaft könnte ihn besonders beeinflussen. Die Spieler machten sich bereits in ihren ersten Aussagen nach der Italien-Partie für eine Zukunft mit Klinsmann stark. "Ich bin der festen Überzeugung, daß er weitermacht", sagte der Münchner Philipp Lahm. "Ich hoffe, daß er weitermacht", erklärte der Dortmunder Christoph Metzelder, für den die Fortsetzung der neuen Philosophie alternativlos ist. Und Bremens Tim Borowski meinte sogar: "Für mich wäre es schon eine Enttäuschung, wenn er nicht mit uns weitermachen würde."

Daß Klinsmann die Stimmung und alle Stimmen aus dem DFB registrieren wird, ist nicht nur dem scheidenden Präsidenten Mayer-Vorfelder klar. Der hatte den 108-maligen Nationalspieler im Sommer 2004 mit einer Carte blanche zum Bundestrainer gemacht, was im Verband neben dem kompromißlosen Kurs des Neu-Trainers heftige Reaktionen auslöste. Jetzt appellierte Mayer-Vorfelder inständig an seine Präsidiums-Kollegen, Klinsmann "keine Prügel zwischen die Beine zu werfen". Selbst Joseph Blatter, Chef des Weltverbandes Fifa, würde sich über die weitere Arbeit des Reformers Klinsmann freuen: "Ich kann nur sagen: Hut ab für ihn und sein technisches Team. Das Feuer, das da gekommen ist, wir greifen an und zack, zack fallen Tore."