Im Spätherbst 2014 steckt St. Pauli tief im Abstiegsstrudel, für Trainer Thomas Meggle beginnt nun der Klassenkampf. Mittelfeldmotor Marc Rzatkowski fällt mit doppeltem Bänderriss lange aus.

Hamburg. Er hatte sich alles zurechtgelegt. Einen Zettel mit Stichworten vor sich liegend ergriff Thomas Meggle am Montagmorgen in der obligatorischen Presserunde am Tag nach dem Spiel das Wort, ehe die anwesenden Journalisten eine Frage stellen konnten. Der Trainer des FC St. Pauli hatte mit einer Nacht Abstand zur deprimierenden 1:4-Pleite bei RasenBallsport Leipzig Redebedarf. Für ihn stelle sich die Frage, wann der Verein in den vergangenen Jahren erfolgreich Fußball gespielt hatte, dozierte Meggle, um die Antwort hinterherzuschicken: „Immer dann, wenn wir ein homogenes, gewachsenes Team und einen Keyspieler (Schlüsselspieler, die Red.) hatten.“

Nach dem Abstieg aus der Bundesliga (2011) sei dies mit Max Kruse als Torjäger der Fall gewesen. In der darauffolgenden Saison 2012/13 hatte Stürmer Daniel Ginczek dem Club mit 18 Toren praktisch im Alleingang den Klassenerhalt gesichert. Und in den Phasen der vergangenen Serie, als St. Pauli nach erfrischenden Auswärtsauftritten zeitweise um den Aufstieg mitspielte, habe der zu Werder Bremen abgewanderte Fin Bartels mit Toren und Vorlagen glänzen können. „Was ist heute? Die anderen Teams sind weiter, wir haben aktuell kein homogenes Team“, analysierte Meggle schonungslos mit deutlicher Stimme. „Es fehlt uns an individueller Klasse, wir haben derzeit nicht den Keyspieler, der den Unterschied ausmacht. Wir haben nullkommanull Homogenität.“

Im Spätherbst 2014 steckt St. Pauli tief im Abstiegsstrudel. Mit dem lange Zeit kaum für möglich gehaltenen Drittligaszenario beschäftigt sich der Club aktuell mehr denn je seit dem Wiederaufstieg im Jahr 2007. Nur zwölf Punkte aus 14 Spielen, 29 Gegentreffer, eine Tordifferenz von minus 15 und Tabellenplatz 17 sind deutliche Alarmsignale. Von den letzten sechs Pflichtspielen verlor das Team fünf.

Zu Beginn seiner Amtszeit im September hatte Meggle trotz Niederlagen die positiven Aspekte hervorgehoben, sein Team mental aufgebaut. Mit Jungprofis wie Okan Kurt und Andrej Startsev hatte er frischen Wind in die Mannschaft gebracht. Nach der erschütternden 0:3-Heimpleite gegen Heidenheim sah sich der Trainer genötigt, den Kuschelkurs zu beenden und „alles auf den Prüfstand“ zu stellen. Doch auch seine neuerlichen Änderungen, die Vereinfachung des Spiels, basierend auf konsequent geführten Zweikämpfen und langen Bällen in die Spitze, brachte in Leipzig keinerlei Erfolg.

Hoffnung auf Besserung - kaum

Welche Hebel hat Meggle also nun noch? Vor allem im mentalen Bereich muss ein Hallo-Wach-Effekt her. In Leipzig trauten sich gestandene Spieler wie Sebastian Schachten nicht, im Strafraum den Gegner zu attackieren, ließen Stürmer Yussuf Poulsen fast wehrlos passieren. Alle vier Gegentore wurden begünstigt durch katastrophales Abwehrverhalten. Für mehr Sicherheit bedarf es vor allem einer konstanten Startelf. Aufgrund von zahlreichen Verletzungen und Formschwächen musste Meggle zuletzt in jedem Spiel viele Umstellungen vornehmen. Besonders die Viererkette wurde Woche für Woche durchgetauscht. „Wir müssen mal eine Mannschaft haben, die drei, vier, fünf Spiele am Stück machen kann und Sicherheit bekommt“, wünscht sich auch Sportchef Rachid Azzouzi. Zuletzt war Kapitän Sören Gonther wieder mehrere Tage ausgefallen, die Außenverteidiger Schachten oder Marcel Halstenberg fehlten gar monatelang.

Hoffnung auf Besserung gibt es kaum. Am Montagmittag kam die erschütternde Diagnose für Mittelfeldmotor Marc Rzatkowski, der in Leipzig böse gefoult worden war: doppelter Außenbandriss im linken Sprunggelenk. Rzatkowski, mit drei Treffern bester Torschütze der Hamburger, kann 2014 nicht mehr auflaufen, wird erst zur Rückrunde im neuen Jahr zurückerwartet. Ein weiterer Kreativposten geht Meggle damit verloren. Der Versuch, mit Lennart Thy anstelle von Ante Budimir oder John Verhoek in der Sturmspitze für Gefahr zu sorgen, misslang am Sonntag in Leipzig zudem völlig.

Joker Himmelmann noch nicht ausgespielt

Personell hat Meggle bereits viel probiert, allein ohne Erfolg. Einzig einen Torhütertausch hat er bislang nicht gewagt. Vizekapitän Philipp Tschauner präsentierte sich zuletzt stark verunsichert, patzte gegen Heidenheim, Leipzig und Dortmund. Seinem Führungsanspruch kann er in der Krisensituation derzeit nicht gerecht werden. Ersatz Robin Himmelmann ist nach langer Verletzungspause wieder voll einsatzbereit, gilt als der deutlich bessere Fußballer und kann auch mit Strafraumbeherrschung und starkem Spiel auf der Linie punkten. Den Joker Himmelmann hat Meggle bislang noch nicht ausgespielt. Gut möglich jedoch, dass am Sonntag gegen den 1. FC Kaiserslautern nun der 25-Jährige im Tor steht.

In seinem elfminütigen Monolog versuchte Meggle noch mal das Umfeld zu sensibilisieren. Man habe vor der Saison eine zu hohe Erwartungshaltung gehabt: „Es ging nur um das Thema Aufstieg. Es wurde viel schlechtgeredet, auch bei uns im Hause.“ Die Ansprüche müssten nun schnell nach unten korrigiert werden. „Es wurde hier die ganze Zeit darüber schwadroniert, ob wir noch Neunter oder Zehnter werden“, sagte Meggle: „Am 34. Spieltag auf Platz 15 zu stehen – um nichts anderes geht es mehr.“ Die Nerven werde man aber nicht verlieren und „irgendwelche Aktionen starten. Wir müssen die Punkte gegen Mannschaften aus dem unteren Drittel holen.“ Bis zur Winterpause warten aber in Kaiserslautern, Bochum, Darmstadt und Ingolstadt gleich vier Teams aus der ersten Tabellenhälfte und mit dem Letzten Aalen nur ein Abstiegskandidat auf den Kiezclub.