Thomas Meggle spricht vor seinem ersten Spiel als Cheftrainer des FC St. Pauli über Führungsstil und Empfindungen

Hamburg. Eigentlich müsste er an diesem Mittwoch längst daheim sein, um mit der Familie den fünften Geburtstag der Tochter zu feiern. Aber was ist schon normal in diesen turbulenten Tagen am Millerntor. Thomas Meggle, 39, befördert vom Trainer der U23 zum Cheftrainer, müsste sich derzeit schon klonen, um alle Aufgaben erledigen zu können. Entspannt ist der frühere Profi des Kiezclubs, 1997 erstmals am Millerntor, dennoch. Er holt sogar den Kaffee für die Abendblatt-Reporter aus der Küche – und stellt die Becher nach dem Gespräch wieder artig zurück in die Spülmaschine. „Du weißt, was sich gehört“, sagt eine Kollegin. Sonntag steigt Meggles erste große Bewährungsprobe. Gegen 1860 München (13:30 Uhr, Sky, Liveticker auf www.abendblatt.de) soll endlich der zweite Saisonsieg her.

Hamburger Abendblatt: Herr Meggle, wie groß ist Ihre Anspannung vor Ihrem Debüt als Cheftrainer des FC St. Pauli? Können Sie nachts noch gut schlafen?
Thomas Meggle: Natürlich ist der Job nicht vorbei, wenn ich abends die Haustür aufschließe. Ich denke dann darüber, ob wirklich alles perfekt war, ob wir für den nächsten Tag optimal vorbereitet sind, mache mir Gedanken über eine mögliche Aufstellung. Die Tage sind schon sehr intensiv. Ich lasse das Handy jetzt auch schon mal klingeln, rufe erst abends zurück. Aber insgesamt freue ich mich unglaublich auf das erste Spiel. Das Adrenalin wird schon kommen. Ein volles Haus, Riesenstimmung, eigentlich fehlt mir nur noch das Flutlicht.

Auf Sie als einer der großen Spielerpersönlichkeiten der Erfolgsjahre ruhen enorme Erwartungen. Wie empfinden Sie den Druck?
Meggle (lacht): Ein früherer Nationaltorwart hat immer gesagt: Druck, was ist Druck. Als Leistungssportler musste ich 15 Jahre mit Druck umgehen. Und was soll jemand sagen, der am Existenzminimum lebt und jeden Tag ums wirtschaftliche Überleben kämpft? Fußball ist noch immer ein Spiel. Und das geht nur mit Spaß.

Angesichts der sportlichen Situation mit saisonübergreifend nur einem Sieg aus den letzten neun Spielen war von Spaß am Millerntor zuletzt nicht wirklich viel zu spüren.
Meggle: Ich sage ja auch nicht, dass es nur mit Spaß geht. Zum Fundament für den Erfolg gehört ebenso harte Arbeit. Dennoch ist bei uns der Erfolgsdruck geringer als bei anderen Vereinen. Die Fans des FC St. Pauli unterstützen die Mannschaft bedingungslos, wenn sie spüren, dass die Spieler alles geben.

Ist der Club nicht dennoch inzwischen auf dem Weg zu einem ganz normalen Proficlub?
Meggle: Das sehe ich völlig anders. Allein unser Stadion ist schon durch seine Lage mitten in der Stadt ein Alleinstellungsmerkmal. Und es ist keine dieser WM-Arenen, wo ich gar nicht weiß, in welchem Stadion ich gerade bin.

Dennoch wechseln Spieler und Trainer beim FC St. Pauli inzwischen genauso oft wie bei anderen Vereinen. Und mit Fabian Boll ist gerade einer der letzten Kiezhelden gegangen.
Meggle: Als ich 2005 zurückkam, hieß es auch: Was für eine Trümmertruppe. Doch mit den Aufstiegen entstand dieser Teamgeist, dieses ganz besondere Flair. Am Ende waren wir eine der erfolgreichsten Mannschaften der Vereinsgeschichte. Ikonen bei einem Club, der wie kein anderer für bestimmte Werte steht.

Ist es auch Ihre Aufgabe, diese Werte als Trainer an neue Spieler weiterzugeben?
Meggle: Selbstverständlich. Das fängt bei Kleinigkeiten an, etwa, dass man an Fans, die mit einem reden wollen, nicht einfach vorbeigeht. Dass man sich auch für die Arbeit des Fanladens interessiert. Ich fand das immer total spannend. Früher war es sogar üblich, dass sich Neulinge nach ihrem ersten Einsatz in der Amateurmannschaft in der Kneipe Zum letzten Pfennig den Anhängern stellen mussten. Habe ich auch gemacht, stand da auf auf einer leeren Astra-Kiste. Einmalig. Und anschließend wurde noch das ein oder andere Bier mit den Fans getrunken.

Sie haben früher geraucht. Hätte der Spieler Meggle unter dem Trainer Meggle eine Chance?
Meggle: Aber selbstverständlich. Das war früher einfach eine ganz andere Zeit. Ich habe als Schüler dreimal die Woche nachmittags trainiert. Wenn ich sehe, was die Jungs aus den Nachwuchsleistungszentren heutzutage für ein Tempo abreißen, das ist ein meilenweiter Unterschied. Das packst du nur, wenn du für den Fußball und die Schule lebst. Im Vergleich zu der heutigen Generation waren wir früher nicht fit, aber unsere Gegner aus Oberhausen oder Cottbus eben auch nicht.

Viele Experten kritisieren, dass die Nachwuchsleistungszentren stromlinienförmige Charaktere heranzüchten. Und keine Typen.
Meggle: Sie haben recht, der Grat ist schmal. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch eigenwillige Spieler fördern, wenn sie entsprechende Leistung bringen. Die Typendiskussion finde ich allerdings schwierig. Ist ein Torwart ein Typ, weil er öffentlich fordert, wir müssen mehr laufen, obwohl er selbst nur in seinem Kasten steht? Deutschland ist ohne den großen Leithammel Weltmeister geworden, die Verantwortung wurde auf mehrere Schultern verteilt.

Sie hatten in Ihrer Zeit beim FC St. Pauli acht Trainer. Von wem haben Sie am meisten gelernt?
Meggle: Von allen habe ich etwas mitgenommen, von einigen auch, wie man etwas nicht macht. Ich fand immer wichtig zu spüren, wie ein Trainer sein Konzept vom Fußball durchzieht. Gestört hat mich stets, wenn der Trainer pauschal sagte, ihr habt zu wenig Laufbereitschaft gezeigt. Dann habe ich schon mal entgegnet: Trainer, ich habe sehr wohl alles gegeben.

Was für ein Trainertyp sind Sie denn?
Meggle: Als Trainer ist es ganz wichtig, dass du zwischen Rollen wechseln kannst. Die Spieler brauchen mal Streicheleinheiten, mal Härte. Zwischen diesen Polen musst du dich bewegen und dennoch authentisch bleiben.

Dürfen die Spieler Sie duzen oder müssen sie Sie siezen?
Meggle: Was glauben Sie denn, was zu mir passt?

Das „Du“.
Meggle: Richtig. Ich habe den Spielern am ersten Tag gesagt, dass sie Thomas, Meggie oder Trainer sagen können. Das ist für mich keine Frage der Autorität.

Aber ist es nicht doch ein Problem, dass Sie mit dem Verein so eng verbunden sind? Mit Jan-Philipp Kalla haben Sie sogar noch zusammen gespielt.
Meggle: Schnecke war damals 18 Jahre alt, ich längst ein Führungsspieler, das ist unproblematisch. Schwierig wäre es in der Tat gewesen, wenn jetzt noch Spieler im Team wären, mit denen ich damals auf einem Zimmer gelegen habe. So jemanden zu sagen, du spielst nicht, wäre hart. Aber ich habe hier 2009 mein letztes Spiel für St. Pauli bestritten, der Abstand ist groß genug. Und dass ich den Verein ganz genau kenne, sehe ich als Vorteil. Jeder Neue müsste erst mal auch mit Misstrauen leben. Was kann der? Was will er? Das ist bei mir anders.

Uns fällt auf, dass Sie sich mit Urteilen zum Leistungsstand der Mannschaft bislang zurückhalten.
Meggle: Von mir werden Sie kein Wort über die Arbeit meines Vorgängers hören. Klagen eines neues Trainers über angeblich mangelnde Fitness der Mannschaft sind für mich nur die ersten Ausreden, falls es zu Beginn nicht laufen sollte. Das mache ich nicht. Außerdem sind die Spieler fit, die können marschieren und wollen mit aller Macht den Sieg. Nur mit dieser Einstellung gewinnst du ein Spiel wie gegen Sandhausen noch in letzter Minute.

Sie mussten Ihre Karriere nach den Folgen eines Kreuzbandrisses beenden. Wie hart war das für Sie?
Meggle: Ich habe das ganz gut verkraftet, ich wusste, ich habe nicht mehr die Energie, mich neun Monate in der ständigen Ungewissheit zu quälen, ob es noch einmal reichen wird, einen jüngeren Spieler wieder zu verdrängen. Natürlich gab es auch sehr emotionale Momente, aber die habe ich mich mit mir selbst ausgemacht. Rational wusste ich, dass ein Lebensabschnitt zu Ende geht. Meine Frau hat mich allerdings gefragt, ob ich jetzt immer zu Hause sein werde. Da konnte ich sie beruhigen. (lacht)

Wird Ihre Frau am Sonntag im Stadion sein?
Meggle: Das weiß ich nicht. Live gucken könnte sie das Spiel nur im Stadion, wir haben kein Sky daheim.

Das ist nicht Ihr Ernst.
Meggle: Doch, wir wohnen in einem alten, umgebauten Hotel. Auf dem Dach ist eine Satellitenschüssel, im Keller ein Kabelanschluss, sehr kompliziert. Aber ich weiß, dass ich das Problem zeitnah lösen muss, um die Spiele der Konkurrenz zu verfolgen.