St. Paulis Urgestein Jan-Philipp Kalla und Neuzugang Michael Görlitz über die Besonderheiten des Kiezclubs innerhalb des Profigeschäfts und die Ziele für die neue Saison

Villach. Die erste harte Trainingseinheit des Tages in der Sommerhitze Kärntens haben sie schon in den Beinen, die zweite noch vor sich, als sich Jan-Philipp Kalla, 27, seit elf Jahren beim FC St. Pauli und damit jetzt der dienstälteste Spieler des Zweitligakaders, und der gleichaltrige Neuzugang Michael Görlitz zum Doppel-Interview mit dem Abendblatt treffen. Im Mannschaftshotel Karawankenhof in Villach (Österreich) sprechen sie über das angeblich spezielle St.-Pauli-Gen, die Heimschwäche in der vergangenen Saison, die Akribie des Trainers und die Aussichten für die neue Spielzeit.

Hamburger Abendblatt:

Herr Görlitz, Sie sind jetzt einen Monat beim FC St. Pauli, was ist anders, als Sie es erwartet haben, und welche Vorstellungen haben sich bestätigt?

Michael Görlitz:

Ich habe mich ja schon vor dem ersten Training mit meinem ehemaligen Frankfurter Teamkollegen John Verhoek und auch mit Bernd Nehrig ausgetauscht. Daher wusste ich ein bisschen, was mich hier erwartet. dies ist auch so eingetreten. Ich bin wirklich sehr gut vom Team aufgenommen worden. Die Spieler haben es mir leicht gemacht.

Ist der FC St. Pauli überhaupt noch der etwas andere Verein, von dem immer die Rede ist? Sie kennen sich ja ein bisschen in der Szene aus. Was ist denn anders bei St. Pauli?

Görlitz:

Der Verein hat auf jeden Fall einen ganz speziellen Charme. Das liegt nicht zuletzt an den Fans, die einfach das gewisse Etwas haben und anders sind als die Anhänger der meisten anderen Vereine.

Herr Kalla, Sie sind schon sehr lange dabei und haben die Entwicklung und die Veränderungen der vergangenen Jahre hautnah und aktiv miterlebt. Einige kritisieren, dass er FC St. Pauli immer mehr zu einem x-beliebigen Club wird. Wie sehen Sie das?

Kalla:

Ich bin sehr sicher, dass der FC St. Pauli immer noch der andere Verein ist. Klar, es gab in den vergangenen Jahren einige Veränderungen, aber es verändert sich behutsam und Stück für Stück, wenn man zum Beispiel an den Stadion-umbau denkt. Hier läuft alles geregelt und gut überlegt ab und es behält alles überwiegend seinen Charme. Es gibt aber eben auch Dinge, wie etwa Logen im Stadion, die muss man einfach mitmachen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Andererseits gab es auch schon viele Angebote, den Stadionnamen zu verkaufen. Aber solche Sachen wird es bei uns in naher Zukunft nicht geben.

Nachdem Fabian Boll seine Karriere beendet hat, haben Sie, Herr Kalla, nun die Ehre, der dienstälteste Spieler der Mannschaft zu sein. Wie versuchen Sie, das St.-Pauli-Gen weiterzugeben?

Kalla:

Erst einmal freue ich mich natürlich, dass ich noch hier bin. Es ist jetzt mein zwölftes Jahr beim FC St. Pauli, und habe eine ganze Menge miterlebt. Ich habe noch im alten Stadion gespielt und mich im alten Clubheim umgezogen. Ich sehe es als Aufgabe und Herausforderung an, den neuen und jungen Spielern etwas von diesem anderen FC St. Pauli mit auf den Weg zu geben. Das sind oft eher Kleinigkeiten, die man zwischendurch mal in den Raum wirft.

Zum Beispiel?

Kalla:

Rassismus und auch Sexismus haben bei uns keinen Platz. Das sollte zwar überall selbstverständlich sein, ist aber wahrscheinlich nicht in jedem Verein so. Darum sollte bei uns zum Beispiel kein Spieler mit einem T-Shirt herumlaufen, auf dem eine nackte Frau abgebildet ist. Ich versuche Vorbild zu sein, auf dem Platz und neben dem Platz, damit andere sich daran ein Beispiel nehmen können.

Herr Görlitz, was hat Ihnen Herr Kalla schon mit auf den Weg gegeben?

Görlitz:

Ich denke, es ist grundsätzlich gut, einen solch erfahrenen Spieler im Team zu haben, den man auch zu den speziellen Abläufen fragen kann und bei dem man sich Tipps holt.

In der vergangenen Saison war die Heimbilanz des FC St. Pauli mäßig mit nur fünf Siegen. Eine Erklärung dafür war, dass sich auch die Auswärtsmannschaften in der speziellen Atmosphäre im Millerntor-Stadion wohl fühlen. Herr Görlitz, können Sie das als ehemaliger Spieler des FSV Frankfurt bestätigen?

Görlitz:

Das stimmt auf jeden Fall. Es herrscht dort immer eine harmonische Atmosphäre, weil die St.-Pauli-Fans nicht selten auch für die Gastmannschaft klatschen. Für eine auswärtige Mannschaft ist es immer auch eine große Motivation, in einem ausverkauften Stadion, und das ist am Millerntor eigentlich immer der Fall, zu spielen.

Aber künftig soll es ja wieder so sein, dass die Gegner mit schlotternden Knien und nicht voller Vorfreude auf den Platz laufen. Wie wollen Sie das umsetzen?

Kalla:

Wir müssen schon im allerersten Heimspiel der neuen Saison klar machen, dass es für den Gegner an dem Tag und auch für alle weiteren Gegner am Millerntor nichts zu holen gibt. Wir sind alle sehr heiß auf die neue Saison, weil alle, die bisher schon bei uns waren, mit dem Ende der vergangenen Saison und mit der Heimbilanz nicht zufrieden waren. Es heißt für uns, von Anfang an zu kratzen, beißen und grätschen, so weit dies im erlaubten Rahmen ist.

Herr Görlitz, wie unterscheidet sich Cheftrainer Roland Vrabec von Ihren bisherigen Trainern?

Görlitz:

Ich hatte vorher beim FSV Frankfurt ja mit Benno Möhlmann einen erfahrenen Trainer, der schon sehr lange im Profifußball tätig ist. Ich habe in der kurzen Zeit beim FC St. Pauli einige Unterschiede erkennen können. Es ist hier ein moderneres Training, bei dem auch die Taktik eine größere Rolle spielt, was ich sehr gut finde.

Von außen ist der Eindruck, dass Roland Vrabec sehr akribisch ist. Können sie das aus Sicht des Spielers bestätigen?

Görlitz:

Ja, das stimmt. Er kann locker sein, aber auch sehr klar seine Meinung sagen.

Kalla:

Er ist auf jeden Fall akribisch, er gibt sich einfach nicht schnell zufrieden. Wenn etwas nicht gut ist, meckert er, wenn es etwas besser ist, meckert er ein bisschen und wenn etwas sehr gut ist, findet er vielleicht auch noch ein kleines Haar in der Suppe. Er lobt uns natürlich auch immer wieder, aber er versucht eben, aus jeder Trainingseinheit stets das Beste herauszuholen.

Wie schätzen Sie die Lage in der Zweiten Liga in der anstehenden Saison ein? Mit Köln hat ja die zuletzt überlegene Mannschaft die Liga nach oben verlassen.

Kalla:

Die Liga ist von der Leistungsstärke noch enger zusammengerückt, als es zuletzt schon der Fall war. Es ist gut möglich, dass es keinen Ausreißer nach oben geben wird, aber auch keine vermeintlich schwachen Mannschaften. Die Absteiger sind durch eher stärkere Mannschaften ersetzt worden. Die These, dass jeder jeden schlagen kann, wird noch mehr als zuletzt schon zutreffen.

Görlitz:

Bereits in der vergangenen Saison gab es keine Spiele, bei denen man sich sicher sein konnte, zu gewinnen. Das wird jetzt noch mehr der Fall sein, weil die Aufsteiger Heidenheim und Leipzig sehr hoch einzuschätzen sind.