Der ehemalige St.-Pauli-Trainer Michael Lorkowski arbeitet mit Kindern und Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten

Hamburg . Michael Lorkowski hat eine neue Mannschaft übernommen. Auf St. Pauli, das passt schon. Nur mit dem Trainingstag gibt es noch Probleme, Dienstag? Oder besser Freitag? Das muss noch koordiniert werden, denn Lorkowski ist gut ausgelastet. In Harburg ist er beschäftigt, in Altona, beim FC St. Pauli und eben jetzt auch noch im neuen „Talente-Team“ aus Zweit- bis Viertklässlern der St.-Pauli-Schule.

Bei 80 Prozent liegt der Migrantenanteil an der Schule. Alphabetisierung wird dort auch geleistet für frisch angekommene Flüchtlingskinder, einige sind erst seit wenigen Wochen in Hamburg. Für das „Talente-Team“ ausgewählt zu werden ist eine besondere Ehre und Ansporn für die Kinder, so ist es geplant. Sie kommen überwiegend aus sozial benachteiligten Verhältnissen, Fußball ist für den Trainer Lorkowski inzwischen vor allem Sozialarbeit. Eine Anstrengung deutlich über das Ausarbeiten von Trainingsplänen hinaus. „Das geht schon alles“, sagt der 59-Jährige, „als Profitrainer arbeitest du sieben Tage die Woche.“

Profitrainer ist Lorkowski nicht mehr. Schon seit mehr als 13 Jahren. Er hat sich arrangiert, er wartet nicht auf einen Anruf, der voraussichtlich nicht kommen wird. Obwohl er ganz sicher das Telefon abnehmen würde, wenn doch. „Ich hätte nicht gedacht, dass man so schnell raus ist“, sagt Lorkowski. Die Enttäuschung kann man schon hören, er klagt jedoch nicht. Letztlich hatte er ja selbst den Ausstieg gesucht, damals im Spätherbst 2000 nach seiner verunglückten letzten Station im Profibereich beim VfL Osnabrück. „Ich war ausgepowert, die Luft war raus, dieses Immer-gewinnen-Müssen“, sagt er. 18 Jahre lang Druck, seit dem ersten Engagement beim FC St. Pauli 1982 mit nur 27 Jahren.

Heute würde man möglicherweise von Burn-out reden. Lorkowski jedenfalls machte sich Anfang 2001 auf und davon. Mit seiner Segelyacht „Blaubart“ in die Karibik. Er hat sich einen Traum erfüllt, ankerte im blauen Wasser vor schönen Inseln, schipperte Touristen durch das Paradies, zwei Jahre lang. Hatte mit Freaks zu tun, mit Aussteigern, auch Prostitution und Alkohol. Lorkowski, Lebemann und Leichtfuß, es passte zum Image.

Wie ein Pirat sieht er auch heute noch ein wenig aus. Ein Bandana hat er auf dem Kopf, auf dem die inzwischen grauen Haare nicht mehr so üppig sprießen wie vor 20 Jahren. Er trägt bequeme Trainingsklamotten, keinen Designer-Kram, und einen Ausrüster-Vertrag mit irgendwem scheint er auch nicht zu haben. Ist wahrscheinlich auch nicht wichtig, würde vielleicht sogar die „Credibility“ bei seinen aktuellen Schützlingen beschädigen.

Zweimal in der Woche steht er in Harburg auf dem Platz. Mitten im Phoenix-Viertel. Sanierungsgebiet, jahrzehntelang vernachlässigt von der Stadt, erst etwa 2005 wiederentdeckt. Im Dersim-Treff ist laut zweisprachigem Schild „Zutritt nur für Mitglieder“. 1,10 Euro kostet der Becher Kaffee beim „FC St. Pauli-Fanclub Mopsburg“. Ist aber erst um 16 Uhr geöffnet. Der örtliche Polizist bietet seine Hilfe im Bürgerzentrum Feuervogel als „Cop4U“ an. „Ohne Aufruhr keine Zukunft“, steht auf einem Bauzaun.

Doch genau das soll für die 25 Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren nicht gelten, die Lorkowski trainiert. Zukunft ja, Aufruhr nein – darum geht es. Die Jungs aus zwölf Nationen haben alle schwierige Lebensgeschichten. Einige sind bereits kriminell geworden. Finanziert wird das Projekt „Spielmacher“ vom Jugendamt Harburg, in Trägerschaft von In Via Hamburg, einem Fachverband der Caritas. Die Stiftung Nestwerk von Reinhold Beckmann unterstützt das Team ebenfalls. „Die Jungs wollen Erfolge, Lorkowski ist ein Gewinner, er erfährt eine ganz andere Wertschätzung“, sagt Sozialarbeiter Jens Körner, der sich um die Gruppe kümmert. Einige der Spieler sind hoch talentiert. „Die sind gut, leistungsorientiert“, sagt ihr prominenter Trainer. „Es sind auch harte Jungs. Sie müssen aber lernen, auch außerhalb des Platzes Spielregeln einzuhalten.“

2003 hatte er genug von der Karibik, die Batterien waren wieder aufgeladen. Er war bereit, aber nach seiner Rückkehr war der Trainer, der 1992 Hannover 96 als Zweitligist zum DFB-Pokalsieg geführt hatte, offenbar vergessen. Oder es traute sich niemand, ihn zu holen. Schließlich landete er in Wolfenbüttel. Der ausgebildete Diplomsportlehrer arbeitete dort an einer Schule und in der Jugendabteilung des MTV. Sieben Jahre lang, dann wollte er nach Hamburg zurück, auf seinen Hof in Stubben, 25 Kilometer im Norden.

Da traf es sich gut, dass die St.-Pauli-Schule auf ihn aufmerksam wurde. Zunächst nur für eine Gruppe Älterer, die er in Zusammenarbeit mit dem FC St. Pauli betreut. Seit drei Jahren ist er hier tätig, die Schule Haubachstraße in Altona kam noch dazu, vor einem Jahr die Jungs aus dem Phoenix-Viertel. Manchmal aber ertappt er sich bei dem Gedanken, dass er eben doch gerne auch wieder im Leistungsbereich arbeiten würde. „Die Liga wäre mir egal, aber ich bin ehrgeizig und motiviert. Ich träume davon, jemanden zu treffen, der Lust hätte, etwas mit mir zu machen“, sagt Michael Lorkowski, „etwas, bei dem man ein paar höhere sportliche Anforderungen stellen kann.“ Bis es so weit ist, stellt er sich den anderen Anforderungen, die die Arbeit mit seinen jetzigen Spielern bringt. „Ich feiere ja auch wieder Erfolge, allerdings auf einer anderen Ebene“, sagt er und versichert: „Das macht auch Spaß.“