St. Paulis Sportdirektor Rachid Azzouzi verteidigt seine aktuelle Transferpolitik. Am Ende soll ein Kader von 23 bis 25 Spielern stehen.

Hamburg. Gut gelaunt startet Rachid Azzouzi, 42, am Montagmorgen in seine Arbeitswoche. Eine eigene sportliche Trainingseinheit hat er schon hinter sich gebracht, als er sich den Fragen des Hamburger Abendblatts stellt. Als Gesprächsort schlägt er anstelle des sonst üblichen Konferenzraumes die Südtribüne des Millerntor-Stadions mit Blick auf den Rasen vor. "Das gute Wetter muss man doch nutzen", sagt er.

Hamburger Abendblatt: Vor dem Trainingsauftakt am Mittwoch haben Sie sieben neue Spieler verpflichtet. Ein "richtiger Kracher" ist nicht dabei. Kommt der noch in den kommenden Tagen?

Rachid Azzouzi: Ich weiß nicht, was der "richtige Kracher" sein soll. Leider hat Robert Lewandowski gerade von Borussia Dortmund gesagt bekommen, dass er nicht wechseln darf. Wir waren ganz nah dran, ihn zu verpflichten. Im Ernst: Wir haben sieben gute Jungs dazubekommen. Der FC St. Pauli hat sich nie über einen großen Star definiert. Das Allerwichtigste ist der Zusammenhalt in diesem Verein und in einer Mannschaft, wie ich sie mir vorstelle. Nur als Gemeinschaft können wir den nächsten Schritt machen. Ich habe nie von einem Star gesprochen, und unter mir als Sportdirektor wird auch kein Star kommen. Ich hole die Spieler nicht nach Namen, sondern nach Anforderungsprofil.

Daniel Ginczek hat zuletzt 18 Saisontore geschossen und war damit fast die Lebensversicherung für St. Pauli.

Azzouzi: Aber auch er war kein Star. Als er kam, hatte er in der Zweiten Liga fünf Tore für Bochum geschossen. Natürlich hätten wir ihn gern behalten, aber er hat zwischen 1,5 und zwei Millionen Euro Ablöse gekostet. Das ist für den FC St. Pauli nicht bezahlbar. Deshalb müssen wir zusehen, dass wir wieder Spieler entwickeln, die sich hier einen Namen machen. Gut ist dabei, dass wir jetzt das Heft des Handelns in der Hand haben, alle Spieler haben längerfristige Verträge und gehören uns. Und auch bei dem derzeit einzigen Leihspieler Michael Gregoritsch haben wir dank einer Kaufoption die Hand drauf. Daher bin ich aktuell sehr zufrieden mit dem, was wir bisher auf dem Transfermarkt bewerkstelligt haben.

Es klingt nach dem Prinzip Hoffnung, anzunehmen, dass sich ein oder mehrere Spieler kurzfristig so entwickeln könnten, wie es Ginczek gelungen ist.

Azzouzi: Was stellen Sie sich denn vor, was der FC St. Pauli an Spielern holen kann? Ich bin nicht der Sportdirektor, der Spieler nach Namen holt, nur damit ich in der Öffentlichkeit gut dastehe. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, eine Mannschaft aufzubauen, die perspektivisch das Potenzial hat, vorne anzuklopfen und - wenn alles optimal läuft - mittelfristig auch aufzusteigen. Als FC St. Pauli ist es grundsätzlich unser Ziel, unter den ersten 25 Mannschaften in Deutschland zu stehen. Das haben wir zuletzt verpasst, aber das ist für die kommende Saison wieder unsere Zielsetzung. Und überhaupt: Wer ist denn in der Zweiten Liga überhaupt ein Star? Für mich sind die Spieler echte Stars, die bei den besten Teams in Europa spielen.

Welche der sieben neu verpflichteten Spieler sind in Ihren Gedankenspielen für die Startelf vorgesehen?

Azzouzi: Wir werden einen Kader von 23 bis 25 Spielern haben. Am Ende wird der Trainer entscheiden, wer spielt. Ich versuche gemeinsam mit dem Trainerteam einen Kader zusammenzustellen, der perspektivisch attraktiven Fußball spielt und die vergangene Saison vergessen lässt. Alle Neuzugänge müssen sich beweisen und zeigen, dass sie die anderen, die geblieben sind, verdrängen können. Es gibt keine Erbhöfe für die bisherigen Spieler, aber auch kein neuer Spieler ist gesetzt. Jeder muss sich im internen Konkurrenzkampf beweisen und durchsetzen. Daran hat es uns in der vergangenen Saison gemangelt, weil wir zu wenige Spieler und zu viele Verletzungen hatten.

Eine ganz konkrete Frage: Ist Stürmer Christopher Nöthe, den Sie auch schon aus der gemeinsamen Zeit bei Greuther Fürth kennen, als Ersatz für Daniel Ginczek oder für Marius Ebbers vorgesehen?

Azzouzi: Es gibt keinen Ersatz für irgendjemanden. Ginczek und Ebbers haben in der Vergangenheit hier gespielt, und wir sind ihnen sehr dankbar für ihre gezeigten Leistungen. Jetzt haben wir aber einen neuen Kader, der sich hoffentlich so entwickelt, dass wir uns in zwei, drei Jahren den Aufstieg zum Ziel setzen können. Im Übrigen haben wir Ginczek vor einem Jahr auch nicht als Ersatz für Max Kruse geholt. Es konnte ja keiner ahnen, was mit Ginczek passiert. Wir haben die vergangene Saison analysiert und festgestellt, dass der Kader zu dünn besetzt war. Jetzt sind wir auf einem guten Weg, dieses Manko zu beseitigen. Vor allem haben wir zum Trainingsauftakt schon 22 Spieler zusammen, vor einem Jahr waren es 14. Das ist wichtig, weil auch vieles einstudiert werden muss.

Den nach der Statistik besten Zugang, Marc Rzatkowski vom VfL Bochum mit seinen drei Treffern und elf Torvorlagen, haben Sie ja schon in der Winterpause verpflichtet. Danach passierte monatelang nichts, weil nicht klar war, ob der FC St. Pauli in der Zweiten Liga bleibt. Wie viele Wunschspieler sind Ihnen auf Grund dieser unsicheren Lage durch die Lappen gegangen? Unter anderem gehörte wohl auch Felix Kroos von Werder Bremen dazu.

Azzouzi: Es gibt immer Kandidaten, mit denen man spricht und die man dann nicht bekommt. Das geht aber allen so, auch Borussia Dortmund, nur vielleicht dem FC Bayern München nicht. Tatsache ist, dass die Spieler, die wir jetzt geholt haben, Wunschspieler sind. Aber natürlich muss man immer verschiedene Pläne in der Tasche haben. Diejenigen, die jetzt da sind, genießen unser vollstes Vertrauen. Und vielleicht kommt noch der eine oder andere Spieler dazu. Aber grundsätzlich lebt der FC St. Pauli von seinem Kollektiv, vom Zusammenhalt, der uns in der vergangenen Saison auch ausgezeichnet hat. In brenzligen Situationen standen die Fans immer voll hinter uns. Das hat letztlich auch ausgemacht, dass wir noch Zehnter geworden sind. Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass wir auch nur knapp an den Relegationsspielen vorbeigeschrammt sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass sich der FC St. Pauli auf seine Fahnen geschrieben hat, keine Schulden zu machen. Man sieht ja, wie viele Traditionsvereine in den vergangenen Jahren in die Insolvenz gegangen sind oder davon bedroht waren und sind. Ich nenne nur Alemannia Aachen, Arminia Bielefeld, Karlsruher SC oder jetzt MSV Duisburg, Kickers Offenbach und Wuppertaler SV. Wir stehen auf einer soliden finanziellen Basis und müssen mit dem Geld klarkommen, das wir zur Verfügung haben.

Wie hoch ist denn der Etat für die neue Saison?

Azzouzi: Ich spreche nicht über Zahlen. Wir haben einen ordentlichen Etat und gehören sicher nicht zum Armenhaus der Liga, stehen aber auch nicht in der Spitzengruppe. Ich würde uns zusammen mit einigen anderen Clubs im oberen Mittelfeld ansiedeln.

Direkt nach dem Saisonende schien es, als wenn Florian Bruns eine Weiterbeschäftigung im Verein erhalten und als Stand-by-Profi weiter zu Verfügung stehen würde. Warum hat sich das jetzt zerschlagen?

Azzouzi: Flo wird wohl noch andere Anfragen von Vereinen haben, bei denen er noch zwei Jahre spielen und auch mehr Geld verdienen kann, als es hier als Spieler in der Regionalliga-Mannschaft und als Trainee auf der Geschäftsstelle möglich ist. Ich finde, das war ein gutes Angebot, das man auch nicht jedem ausscheidenden Spieler geben kann. Aber wir mussten ja auch planen und haben eine Frist gesetzt. Flo hat mir dann persönlich abgesagt. Ich hätte gern mit ihm gearbeitet. Aber es war seine Entscheidung, die ich natürlich akzeptiere.