Vor dem Heimspiel gegen Aue bedauert der St.-Pauli-Torjäger, dass er seit Monaten keinen Kontakt mehr zu seinem Stammklub hat.

Hamburg. Seine Bilanz von fünf Toren aus dem Vorjahr hat er bereits getoppt, er ist in dieser Saison, seinem ersten Jahr beim FC St. Pauli, zum Stammspieler und Leistungsträger gereift. Eine Rolle, die er von sich selbst eingefordert hatte, nun bestmöglich ausfüllt und die ihn für das Spiel am Sonntag gegen den FC Erzgebirge Aue (13.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) einmal mehr zum großen Hoffnungsträger macht. Denn der Trend verspricht viel: Sechs seiner sieben Saisontore erzielte Daniel Ginczek in den vergangenen sieben Partien. Keine Frage, der Mann hat einen Lauf. "Ja, ich bin mit mir bislang ganz zufrieden", sagt der 21-Jährige und schlägt inmitten der vielstimmigen Lobeshymnen dann doch ein paar nachdenkliche Worte an. Der Mann der vergangenen Wochen bei den Hamburgern, ja, der Zweiten Liga, ist etwas irritiert über seinen Stammverein Borussia Dortmund. Während die Medienanfragen, Autogrammwünsche und Schulterklopfer mit jedem Treffer in einem Maß zunahmen, dass er sich in der vergangenen Woche eine Terminpause verordnete, ist die Leitung nach Westfalen tot. Seit Monaten hat der Angreifer nichts mehr vom deutschen Meister gehört.

Ginczek ist einer von fünf Leihspielern im Kader von Trainer Michael Frontzeck, und Anlässe für ein Treffen oder Telefonat hat er den Verantwortlichen bei den Schwarz-Gelben in dieser Saison reichlich geliefert. Ein Lob für den optimalen Entwicklungsverlauf etwa, ein Nachfragen, wie es denn privat so laufe, wo er sich in fünf Jahren sehe oder zumindest im Juli 2013, und überhaupt ... Die Gesprächsgrundlage ist gegeben. Zumal die Beantwortung der Frage, wie es im Sommer nach Ablauf des Leihvertrags mit ihm weitergehe, für ihn mittlerweile zum Gespräch gehört wie das freundliche "Hallo", mit dem er bei seinem Gegenüber schnell erste Sympathien weckt.

"Der Kontakt ist momentan nicht da. Wir haben schon länger keinen Kontakt gehabt", sagt er auf Abendblatt-Nachfrage. Ginczek hat sich diese Sätze nicht zurechtgelegt, auch abseits des Platzes ist der 1,91 Meter große Junge mit den breiten Schultern kein gewiefter Taktiker. Er bleibt hier seiner Spielweise treu: geradlinig, schnörkellos, irgendwie ehrlich. Es ist nicht die Verärgerung, die aus ihm spricht. Vielmehr schwingt eine gewisse Enttäuschung in seinen Worten mit: "Ich finde das schade, aber das muss ja jeder selbst wissen, wie er das handhabt. Und für mich zählt momentan ohnehin nur St. Pauli."

Seine emotionale Bindung zum BVB, bei dem er seit seinem 16. Lebensjahr und noch bis 2014 unter Vertrag steht, hat sich gelockert. Mit dem Wechsel nach Hamburg hat er sich nicht nur räumlich entfernt. Als er 2011 erstmals verliehen wurde und für den VfL Bochum fünf Treffer erzielte, war die lokale Nähe noch gegeben. Nun ist Ginczek, dessen Stammbaum in Schlesien wurzelt und der 50 Kilometer östlich von Dortmund in Arnsberg aufgewachsen ist, erstmals auf sich gestellt. Ohne Familie, ohne Borussia, ohne Nestwärme.

Passenderweise erhielt er am Millerntor auch gleich einen neuen Namen. Daniel heißt jetzt "Günni", und auch sonst hat sich vieles verändert. Er freue sich zwar immer noch über BVB-Siege, verfolge die Entwicklung aber nebenbei aus der Ferne. Regelmäßigen Kontakt pflege er auch nur noch zu wenigen BVB-Spielern. Das Talent hat sich emanzipiert - und durchgesetzt. Ein wichtiger, möglicherweise der bislang größte Schritt in seiner noch jungen Karriere, die sich trotz Anfragen des polnischen Verbands durch sämtliche Juniorenauswahlen des Deutschen Fußball-Bunds zieht.

"Ich fühle mich einfach wohl hier", hatte Ginczek bereits nach wenigen Wochen beim FC St. Pauli gesagt. "Ich fühle mich wirklich superwohl hier", sagt Ginczek heute. Er schätzt den Klub, die Atmosphäre, die Stadt, unternimmt viel mit Kevin Schindler oder Sturmkonkurrent Mahir Saglik. Dass St. Pauli ihn halten und binden möchte, ist keine gewagte These. Etwas unbeholfen versuchte sich Sportdirektor Rachid Azzouzi bereits am Sonntag, nach dem Ginczek-Tor Nummer sieben zum 1:0 gegen Kaiserslautern, darin, die Bedeutung seiner Nummer 11 herunterzuspielen. Günni habe noch einen weiten Weg vor sich, müsse noch viel lernen. Schließlich habe er ja beispielsweise noch keinen Doppelpack in dieser Saison geschafft. Ein Satz, der verhandlungstaktisch nachvollziehbar ist. Andererseits könnte man auch Angela Merkel fragen, weshalb sie mit ihrem 97,94-Prozent-Wahlergebnis auf dem CDU-Parteitag zufrieden sei. Schließlich hätten es ja auch 99 sein können. Tatsächlich geht es für Ginczek nun vorerst darum, das Level zu halten, auf der neuen Entwicklungsstufe zu überwintern. "An meinem linken Fuß kann ich sicher noch arbeiten", sagt er selbst, "Ballsicherheit, den Kopf oben behalten", ergänzt sein Trainer, der dem Rechtsfuß von Beginn an sein Vertrauen geschenkt hat: "Der Günni hat das Potenzial für weiter oben."

Die Bundesliga ist das große Ziel, das nächste aber heißt Aue. St. Paulis Angstgegner, der erst eine Partie gegen die Hamburger verlor. Mehr als vier Jahre ist das nun schon her. "Ein Fingerzeig, dass das ein Gegner ist, der St. Pauli Probleme bereitet. Wir werden Geduld benötigen", sagt Frontzeck.

Ruhe und Gelassenheit - Punkte, in denen sich Ginczek nach eigener Aussage verbessert habe. Die Trefferwahrscheinlichkeit bleibt hoch. "Natürlich wäre es schön, am Sonntag einen Doppelpack zu erzielen", sagt er, "aber wenn ich gut spiele und andere die Tore machen, wäre auch alles bestens. Hauptsache, wir gewinnen!" Bekannte Phrasen, die der 21-Jährige aber glaubhafter als viele seiner Kollegen drischt. Man nimmt ihm die Worte ab, er wirkt ehrlich, offen, eben typisch Ginczek.