Die Mitgliederversammlung des FC St. Pauli birgt Zündstoff: Fans stellen Abwahlantrag gegen Vize Stenger, Aufsichtsrat hält sich bedeckt.

Hamburg. "Wir werden im Anschluss an die Mitgliederversammlung nach gutem alten Brauch im Präsidiumskreis an der Bar sitzen und ein Bier trinken." Die Frage, was er am kommenden Montag um 23 Uhr machen werde, stellt Gernot Stenger vor keine Probleme. St. Paulis Vizepräsident liefert eine souveräne, direkte Antwort mit zwei wichtigen Akzenten: Er antwortet im Plural, und er scheint sich seiner Sache äußerst sicher. Dabei dürfte die Frage bei Variation des Adressaten durchaus unterschiedliche Antworten hervorbringen. Denn das "Wir" ist beim FC St. Pauli eine Woche vor der Jahreshauptversammlung (JHV) im CCH nicht mehr selbstverständlich. Der Verein ist in grundsätzlichen Fragen gespalten, die Lager durch tiefe Gräben getrennt. Als vorläufiger Höhepunkt steht ein Abwahlantrag gegen Stenger, der den Mitgliedern am Montag zur Abstimmung gestellt wird. Eine Dreiviertelmehrheit wird benötigt.

Entzündet hat sich der jüngste Disput am Maßnahmenkatalog des Konzepts "Sicheres Stadionerlebnis" der Deutschen Fußball Liga (DFL). Stenger hatte in der Sicherheitskommission aktiv an dem Papier mitgearbeitet, einzelne von Medien verbreitete Inhalte aber in einem Gespräch mit Fanladen und Fanvertretern des FC St. Pauli als falsch und nicht deckungsgleich mit dem ihm bekannten Entwurf bezeichnet.

"Tatsächlich finden sich jedoch die im ,Kicker' genannten Ideen sehr wohl deckungsgleich in dem Diskussionsentwurf der DFL wieder. Wir halten daher die Aussagen von Dr. Stenger hierzu für nicht haltbar", heißt es in einer gestern veröffentlichten Stellungnahme des Ständigen Fanausschusses, der seine Kritik am Vize damit erneuerte: "Erst nach der von uns erbetenen Aufforderung durch den Aufsichtsrat, uns wahrheitsgemäß zu antworten, wurde zugegeben, dass das Diskussionspapier dem Präsidium bereits vor dem Termin mit dem Ständigen Fanausschuss bekannt war." Rechtsanwalt Stenger wird von seinen Gegnern der Lüge bezichtigt - in zwei Fällen. So habe der 55-Jährige das letztendlich auch vom FC St. Pauli abgelehnte DFL-Papier, anders als in seiner öffentlichen Stellungnahme vom 14. November behauptet, sehr wohl als unterschriftsreif bezeichnet. Nach Abendblatt-Informationen liegt den Antragstellern ein entsprechendes und über den Aufsichtsrat lanciertes Protokoll einer Präsidiumssitzung vor.

Ausgerechnet Stenger, der intern oft auch gegen Widerstände für Faninteressen stritt, Kompromisse schloss, sich für die Basis starkmachte und als Mann des Ausgleichs gilt, ist zur Zielscheibe geworden. Er kann sich der vollen Unterstützung im Präsidium sicher sein, in den sozialen Netzwerken rufen auch Fürsprecher zum Gang auf die JHV auf, und nach Abendblatt-Informationen haben auch mindestens fünf Aufsichtsräte ihre Solidarität erklärt - intern, ein öffentliches Statement blieb bislang aus. Und so wehrt sich Stenger nur in der Außenwirkung als Einzelkämpfer, bezeichnet seinerseits die Vorwürfe als unwahr. Nach Abendblatt-Recherchen wurde das DFL-Papier vor der Veröffentlichung ohne Kenntnis Stengers und anderer tatsächlich noch in einigen Punkten abgeändert. Gut möglich, dass er ohnehin nur als Blitzableiter für die generelle Verärgerung über die Vereinsspitze herhalten muss. Die Fans fühlen sich schlecht bis gar nicht vertreten.

An Rücktritt denke er momentan trotzdem nicht, sagt Stenger: "Aber wenn das irgendwann ins Private reingeht, dann ist der Käse sofort gegessen, dann schmeiße ich den Bock um", so Stenger, der nach mehr als fünf Jahren Amtszeit eine Überlastung feststellt: "Ich finde, es wird immer schwerer. Wir brauchen mehr Unterstützung durch die hauptamtliche Seite. Die Arbeit ist zu umfangreich. Sowohl im operativen Geschäft, als auch in der Kommunikation. Wir müssen die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen."

Ein Thema, das auch Präsidiumskollege Bernd-Georg Spies in den vergangenen Jahren angestoßen hatte, ohne allerdings Ergebnisse präsentieren zu können. "Wir haben eine Neigung im Verein, zentrale Fragen mal anzureißen, dann aber nicht weiter zu verfolgen und uns stattdessen mit völlig zweitrangigen, irrelevanten Fragen zu beschäftigen. Das absorbiert Aufmerksamkeit", so Spies deutlich. "Wir haben die seltene Fähigkeit, nicht immer wirklich strukturell und systematisch im Team zu arbeiten und uns auch mal wieder Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das macht die Diskussion wirklich mühselig. Vieles bleibt in den Niederungen des Tagesgeschäfts stecken."

Ein Gebiet, auf das sich die Verantwortlichen auch Montag begeben werden und Zeit mitbringen müssen, um am geplanten Abschlussbier zu nippen. Es gibt viel zu besprechen, zu klären und auszuräumen. "Um 23 Uhr werden wir sicher noch mit Satzungsanträgen beschäftigt sein", glaubt auch Spies, "aber ein paar Stunden später sollte es mit dem obligatorischen Bier klappen." Wenn ihnen denn dann noch danach ist.