Acht Abendspiele in Folge hat St. Pauli nicht gewonnen. Heute startet der nächste Versuch bei Hertha BSC - trotz großer Personalprobleme.

Hamburg. Sebastian Schachten kommt gar nicht erst auf die Idee, den Begriff mit schlechten sportlichen Ergebnissen in Verbindung zu setzen. St. Paulis Außenverteidiger wirkt irritiert, offenbart völlig andere Assoziationen und antwortet mit einer Gegenfrage: "Abendserie? Verliebt in Berlin, oder was?" Auch wenn die ARD-Telenovela eigentlich nicht gemeint war, ist es aus Hamburger Sicht tatsächlich ein schlechter Film, in dem die Mannschaft in dieser Saison mitspielt: Immer wenn es dunkel wird ... Achtmal ist St. Pauli in dieser Saison bereits an Montag-, Dienstag-, Mittwoch- und Freitagabenden in Liga und Pokal angetreten - und stets konsequent ohne Sieg in die Nacht entschwunden. Die heutige Partie beim Aufstiegsfavoriten Hertha BSC Berlin (20.15 Uhr/Sport1 und Liveticker auf abendblatt.de) ist der neunte Versuch.

Und die Vorzeichen, nach den torlosen Partien in Aue und Köln, dem 1:2 in Frankfurt, einer 0:1-Heimniederlage gegen Aalen, der 0:3-Pleite in Regensburg, dem 2:2 gegen Union Berlin, dem 0:3-Pokalaus beim VfB Stuttgart und dem unglücklichen 1:1 gegen Bochum vor einer Woche nun ausgerechnet bei dem individuell herausragend besetzten Gegner vor 40 000 Zuschauern den Premierensieg unter Flutlicht zu schaffen, sind denkbar schlecht. Mit Abwehrchef Markus Thorandt, Innenverteidiger Sören Gonther, Kapitän Fabian Boll und Routinier Florian Bruns fallen gleich vier potenzielle Leistungsträger verletzt oder gesperrt aus. Der Einsatz von Abwehrspieler Florian Mohr, der weiter an einer Gesäßmuskelzerrung laboriert, und dem nach einer Kniereizung angeschlagenen Top-Torjäger Daniel Ginczek ist ebenfalls fraglich. "Ich muss noch einmal eine Nacht darüber schlafen, inwieweit es sinnvoll ist", sagt Michael Frontzeck, macht aber deutlich, angesichts der bevorstehenden Dreispielewoche mit Partien gegen Duisburg, bei Tabellenführer Braunschweig und dem -zweiten Kaiserslautern kein Risiko eingehen zu wollen: "Nur wenn Daniel und Flo zu 100 Prozent grünes Licht geben, sind sie eine Alternative. Aber auf der Innenverteidigerposition haben wir ja eine Vielzahl an Möglichkeiten", so Frontzeck, der seinen Galgenhumor mit einem breiten Grinsen unterstreicht.

Tatsächlich hat Frontzeck mit Christopher Avevor - neben Mohr - überhaupt nur noch einen Innenverteidiger im Kader, doch die gute Laune ist den Hamburgern auch angesichts der allwöchentlichen Verletzungssorgen nicht vergangen. "Schachter, es wäre schön, wenn du gleich verletzungsfrei beim Training ankommst", gab Trainer Frontzeck Sebastian Schachten bei der gemeinsamen Pressekonferenz gestern noch mit auf den Weg, bevor er sich kurz hinter der Tür des Medienraums versteckte und schließlich vorzeitig in Richtung Trainingsgelände aufbrach.

Seinen Plan B dürfte Frontzeck längst aufgestellt haben. Während Herthas Trainer Jos Luhukay mit einer Ausnahme - Holland ersetzt Bastians als Linksverteidiger - der Elf vom 6:1-Auswärtssieg in Sandhausen vertraut, wird St. Paulis Coach umbauen. "Mit mir hat er darüber nicht gesprochen, ich habe aber auch erst einmal in meinem Leben als Innenverteidiger gespielt", sagt Schachten, einer von voraussichtlich nur drei spielfähigen Abwehrspielern. Es war am 24. April 2007, mit Werder Bremens U23 gegen den FC St. Pauli, und das damals 22-jährige Talent verteidigte im Abwehrzentrum an der Seite von - Florian Mohr! Sollte der es wie erwartet nicht in die Startelf schaffen, dürfte Jan-Philipp Kalla von der Rechtsverteidigerposition ins Zentrum rücken, Kevin Schindler das äußerte Glied der Viererkette einnehmen und Akaki Gogia oder Joseph-Claude Gyau statt Schindler die offensive Flügelposition beackern.

Wie bereits vor den letzten Spielen, will der in der Liga unbesiegte Trainer seiner Mannschaft aber auch trotz der unfreiwilligen Rotation keine Alibis bieten und versucht das Positive herauszustreichen: "Berlin hat als Ziel den Wiederaufstieg ausgegeben, verfügt mit Ramos, Wagner, Allagui, Kluge, Niemeyer oder Kraft über Profis mit Bundesligaformat. Sie stehen unter Druck, dieses Ziel auch zu schaffen. Wir sind sicherlich Außenseiter, nehmen die Herausforderung aber gerne an."

Dass der FC St. Pauli vor mehr als 22 Jahren das erste und letzte Mal bei der Hertha gewinnen konnte, interessiert ihn ebenso wenig, wie die negative Abendserie: "Ich kann da relativ wenig mit anfangen. Es ist doch egal, ob man abends oder mittags um 13 Uhr spielt. Wenn man nach den Statistiken geht, hätten wir ja auch gar nicht erst zu 1860 München fahren müssen", erinnert er an den ersten Sieg der Vereinsgeschichte bei den Löwen von vor zwei Wochen und grinst: "Da war es doch hinten raus auch schon ein bisschen dunkel."

In der Mannschaft sei der Trend ohnehin kein Thema, wie Schachten verrät: "Nein, darüber spricht niemand. Ich hätte das auch gar nicht gewusst, wenn ich jetzt nicht damit konfrontiert worden wäre." Gegen das vorzeitige Absetzen der Serie hätte Schachten hingegen nichts einzuwenden und hofft, ganz wie beim vermeintlichen TV-Vorbild, auf ein Happy End, das heute Abend dann auch noch den passenden Titel liefern würde: Verliebt in Berlin.