Das Präsidium beurlaubt den überraschten Cheftrainer, dessen Vertrag ohnehin nicht verlängert worden wäre. Schubert: „Bin meinen Weg gegangen.”

Hamburg. Die Uhr zeigte 11.55, als Medienchef Christian Bönig gestern gemeinsam mit Präsident Stefan Orth, Vize Jens Duve, Sportdirektor Rachid Azzouzi und bedeutungsschwangerem Mienenspiel den Pressebereich in der Haupttribüne des Millerntor-Stadions betrat. Fünf vor zwölf beim FC St. Pauli - ein Fakt, den das Quartett auch als Einschätzung der sportlichen Situation für zulässig erachtete und die Trennung von André Schubert bekannt gab.

"Das Präsidium und die sportliche Leitung des FC St. Pauli haben sich dazu entschlossen, unseren Cheftrainer André Schubert mit sofortiger Wirkung zu beurlauben", verkündete Orth kurz die Entscheidung, die in der vorangegangenen Nacht, im Anschluss an das desaströse 0:1 gegen Aalen, getroffen worden war. Mehrere Stunden diskutierte das fünfköpfige Führungsgremium in einer Stadionloge dringliche Themen, darunter auch Finanzierungsmodelle einer externen Polizeiwache. Für den Tagesordnungspunkt Schubert benötigten Präsidium und Azzouzi trotz anfänglich unterschiedlicher Meinungen hingegen keine 60 Minuten. "Es gab nur Diskussionen über das Wann und Wie, nicht das Ob", verriet Orth, "die lang anhaltende sportliche Talfahrt hat uns zu diesem Schritt gezwungen. Höhepunkt war das gestrige Spiel, wo unsere Mannschaft höchst verunsichert und planlos aufgetreten ist. Das konnten und wollten wir uns nicht weiter ansehen und mussten deshalb in dieser Kürze und Schärfe handeln."

Gesagt, getan. Am frühen Morgen hatten Orth, Duve und Azzouzi den Chefcoach, dessen bis 2013 laufender Vertrag nach Abendblatt-Informationen ohnehin nicht mehr verlängert worden wäre, auf dem Trainingsgelände abgefangen und unterrichtet. Anschließend wurde die Mannschaft informiert, die ihren Trainer kurz darauf bewegt wie nie zuvor erlebte. "Ich hätte den Jungs eigentlich gern noch mehr gesagt, aber es ging nicht. Ich wollte da vor den Spielern nicht so rumflennen. Vor allem auf der menschlichen, persönlichen Ebene habe ich viel von ihnen gelernt", sagte Schubert traurig. Offenheit, die ihn in den 15 Monaten beim FC St. Pauli stets ausgezeichnet hatte, ihm aber auch zum Verhängnis wurde.

Schubert konnte und kann nicht aus seiner Haut. Ein Taktiker oder Diplomat wird der prinzipientreue 41-Jährige sicher nicht mehr. Und so versuchte er auch gar nicht, seine große Enttäuschung zu verbergen. "Stimmungen spielen in diesem Verein eine große Rolle, daher war ich grundsätzlich nicht überrascht. Dass die Entscheidung jetzt aber so früh kam, kann ich noch nicht 100-prozentig nachvollziehen", sagte Schubert, der seit seinem Amtsantritt gespürt habe, dass er es als Nachfolger von Holger Stanislawski schwer haben würde: "Ich bin keiner, mit dem man von heute auf morgen warm wird. Anders als Stani, der auch zu seinen Spielern ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Ich bin meinen Weg gegangen."

Schubert weiß, dass es - anders als verkündet - keineswegs nur die sportliche Schieflage ist, die erstmals in seiner Trainerlaufbahn ein vorzeitiges Ende bewirkte. Wahr ist, dass die Verbindung zwischen Schubert und Mannschaft nie über das Maß eines professionellen Verhältnisses hinauskam, Gleiches gilt für die Beziehung zwischen dem Kasseler und seinen Vorgesetzten. Fachlich voll akzeptiert, misslang es Schubert, den Spielern Spaß und Freude zu vermitteln. Nicht nur gegen Aalen wirkte die Mannschaft uninspiriert und mutlos. "Sie ist verunsichert, traut sich nicht, läuft mit bleiernem Rucksack herum", so Azzouzis Beobachtung, die auch Schubert teilt: "Wir haben es nach dem 1:2 in Frankfurt nicht geschafft, den Spielern das Selbstvertrauen zu geben, ihnen diesen Rucksack zu nehmen. Dafür trage ich die Verantwortung."

Aber auch neben dem Platz lief vieles anders als erhofft. Das im Mai vom Verein ausgeschmückte Bild, fortan gemeinsam und vorbehaltlos den Neuanfang zu wagen, erhielt früh Risse. "Mir fehlte von Beginn an ein bisschen mehr Rückhalt im Verein, dass alle an einem Strang ziehen. Ich hätte mir mehr direkten Kontakt gewünscht, das hatten das Präsidium und ich auch so verabredet." Schlechte Stimmung, die auch andere ausgemacht hatten. "Ich habe versucht, unvoreingenommen an die Sache mit André Schubert heranzugehen", sagte Azzouzi, "bin aber fest davon überzeugt, dass schnelles Handeln dringend notwendig war."

Bleibt die Frage, weshalb die beiden nicht zueinander passenden Puzzleteile nicht schon im Mai, als eine Beurlaubung unmittelbar bevorstand, klar getrennt wurden. "Ich finde, der Weg war der richtige", sagte Orth, während Duve Fehler einräumte: "Wir hatten gehofft, dass die Werkzeuge, die wir besprochen hatten, greifen. Wir haben das sehr kurzleinig beobachtet, sehen aber keine Weiter-, eher eine Rückwärtsentwicklung. Letztendlich macht man im Leben nicht alles richtig. Man kann natürlich sagen: ,Warum habt ihr es nicht schon im Sommer gemacht?' Aber zu dem damaligen Zeitpunkt waren wir uns sicher, dass es die richtige Entscheidung ist. Hinterher ist man immer schlauer."