Die Versicherung des Werfers übernimmt den Großteil der im März vom DFB-Bundesgericht verhängten 50.000-Euro-Strafe.

Hamburg. 29. März 2012, Frankfurt am Main, Bundesgericht des Deutschen Fußball-Bundes in der Otto-Fleck-Schneise. "Das Urteil vom 27. Februar wird abgeändert. Der FC St. Pauli wird wegen mangelnden Schutzes des Gegners zu einer Geldstrafe von 50 000 Euro verurteilt", sprach der Vorsitzende Richter, Goetz Eilers. Es war die Berufungsverhandlung im Fall des Kassenrollenwurfs, nachdem sowohl die Hamburger als auch der Kontrollausschuss das vom DFB-Sportgericht verhängte Strafmaß, einen Teilausschluss der Zuschauer, nicht akzeptiert hatten. Ein überaus erfolgreiches Ergebnis für den FC St. Pauli, für Martin R. aber waren es die vielleicht wichtigsten zwei Sätze in seinem noch jungen Leben. Nur 50 000 Euro - und selbst diese Strafe fällt für den Verein nun deutlich geringer aus. Der Kassenrollenwurf wird zum Versicherungsfall, der finanzielle Schaden hält sich für R. in erträglichen Grenzen.

Die Ängste, die ihn seit dem 19. Dezember 2011 gequält hatten, sie waren bereits mit dem Urteilsspruch im März größtenteils verschwunden. Monatelang hatte sich der damals 20-jährige Abiturient Sorgen gemacht über Geisterspiele und Teilausschlüsse von Fans bei Spielen seiner Mannschaft, der im Aufstiegskampf ein möglicherweise entscheidender Trumpf genommen worden wäre. Regressforderungen im mittleren sechsstelligen Bereich schienen angesichts der vom Kontrollausschuss geforderten Bestrafung wahrscheinlich, zudem hätte er als Vorbestrafter seinen gefassten Plan vom verbeamteten Sport-, Mathe- und Biologielehrer noch vor dem Studienbeginn wieder beenden müssen.

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Martin R. hatte all das akzeptiert, hatte die Schuld auf sich genommen und doch gehofft, dass die Richter ihm glaubten. Sie sollten erkennen, dass seiner Tat eine Verkettung unglücklicher Umstände zugrunde gelegen hatte. Unter Tränen berichtete er, wie er vor dem Anpfiff des Heimspiels gegen Eintracht Frankfurt von einem Unbekannten eine Kassenbonrolle in die Hand gedrückt bekam und diese in der 48. Minute der Partie im hohen Bogen in die Luft geworfen hatte. Dass er die Flugbahn verfolgt und mit Schrecken beobachtet hatte, wie das Objekt sich trotz gelöster Klebestreifen nicht wie geplant abrollte und nur deshalb Frankfurts Mannschaftskapitän Pirmin Schwegler am Kopf treffen konnte. "Ich konnte nicht damit leben, mit diesem Lügengebilde und Weglaufverhalten davonzukommen. Ich habe es meinem Vater erzählt, dann meiner Mutter. Sie kennen meine Mutter nicht ... Aber die Tat ist geschehen, und ich stehe zu meiner Verantwortung", so R. bei seiner Aussage.

Die Richter glaubten ihm und versahen ihr Urteil mit einem Satz, dessen Chancen R. damals kaum erkannt haben dürfte, der nun aber erneut sein Gewissen erheblich erleichtert. Der Täter habe lediglich die Absicht verfolgt, seine Leidenschaft zum Ausdruck zu bringen, stellte Eilers fest: "Es gibt in diesem Fall kein Aggressionsverhalten, keinen Hooliganismus und keine Schädigungsabsicht. Und das Strafmaß muss Spiegelbild dessen sein, was die Tat verursacht hat." Keine Schädigungsabsicht, kein Vorsatz. Und so darf sich der FC St. Pauli nun über eine Zahlung freuen, die deutlich mehr als die Hälfte der verhängten Geldstrafe abdeckt und den Schaden drastisch mildert.

Nach Abendblatt-Informationen erhält der Verein fünf Monate nach der Verhandlung einen Großteil der entrichteten Summe zurück. Zwar hatten die Hamburger nie ernsthaft in Erwägung gezogen, Regressforderungen an den couragierten Abiturienten zu stellen, doch da kein Vorsatz festgestellt wurde, übernimmt die private Haftpflichtversicherung R.s den Großteil des entstandenen Schadens. Die Familie des Werfers ist im Rahmen einer Selbstbeteiligungsklausel mit einem vergleichsweise geringen Betrag involviert. "Es stand immer fest, dass wir ihm entgegenkommen. Er hat damals Mut bewiesen, sich freiwillig gestellt und Verantwortung übernommen", sagt Vizepräsident Gernot Stenger.

Zudem wird der in der Nordheide lebende R. in den kommenden Monaten einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgehen und sich bei der Akquise von Sponsoren für ein karitatives Juniorenfußball-Projekt nützlich machen. Das gegen ihn Anfang März verhängte Stadionverbot wurde aufgehoben. St. Paulis Kassenrollenfall ist - anders als der am 19. Dezember 2011 geworfene Gegenstand - damit abgewickelt.