Seit 17 Jahren ist er Fan, seit zehn Jahren Spieler. Nicht nur auf dem Platz ist Fabian Boll zur zentralen Figur seines Klubs geworden.

Hamburg. Es war vor einem Jahr, als er zumindest kurz über einen Abschied nachdenken musste. "Digger, du kommst mit", sagte sein langjähriger Trainer Holger Stanislawski vor dessen Wechsel zur TSG Hoffenheim. Doch Fabian Boll tat das, was er all die Jahre zuvor auch getan hatte: Er blieb beim FC St. Pauli, seinem Klub, dem er seit dem 24. Februar 1995, einem von der Nordtribüne des Wilhelm-Koch-Stadions verfolgten 2:0-Sieg gegen Rostock, als Fan verbunden ist, und den er wenig später als Spieler durch vier Ligen begleiten sollte. 237 Punktspiele hat er als Profi absolviert, im Sommer ist er zehn Jahre hier. Für Boll war, ist und bleibt dieser Verein die einzige Möglichkeit.

Seine Vita liest sich wie ein Märchen: Vom fußballerisch allenfalls durchschnittlich talentierten Fan zum unumstrittenen Anführer einer Bundesligaelf. "Es war nie mein Ziel, Profi zu werden", sagt der 32-Jährige und erinnert sich an die Wurzeln, die fernab des Millerntors vor den Toren Hamburgs liegen. Im roten Trikot dribbelte er in den 80ern über die Bolzplätze Bad Bramstedts. "Mein zwei Jahre älterer Bruder war Bayern-Fan und hatte ein Jersey von Augenthaler, ich aber wollte immer die Zehn haben. Deshalb hatte ich dann Olaf Thon hinten drauf", sagt Boll und lacht. 25 Jahre später tragen die Bramstedter Kids seine vier Buchstaben auf ihren Rücken: BOLL.

+++ Perfekt! Fabian Boll verlängert Vertrag bis 2013 +++

Heute ist er selbst ein Idol. Er, der bei der Bramstedter TS, dem Itzehoer SV und für den TSV Lägerdorf kickte und erst mit 23 Jahren den Sprung zu einem Profiklub wagte. Boll spielte mit Norderstedt in der Oberliga und erhielt Angebote, unter anderem von Werder Bremen. Die Liebe zu St. Pauli war als Mitglied des Fanklubs Chaos-Fraktion Bad Bramstedt zwar längst entflammt, doch der Wechsel zu seinem Verein hatte rationale Gründe. Der Abiturient (Leistungskurse: Französisch, Erdkunde) wollte zur Polizei. "Ich war in Hamburg unter 5000 Bewerbern einer der 140, die angenommen wurden. Und ich hatte ein sehr naives Denken. Ich sagte mir, in Hamburg hast du von der Kreisklasse bis zur Bundesliga alles, da findest du schnell wieder etwas Neues."

Tatsächlich schien die Zeit beim Kiezklub zum unbefriedigenden Intermezzo zu werden. Nach der Oberligameisterschaft mit der U23 und dem Absturz der Profis in die Regionalliga wurde er in die erste Mannschaft befördert, kam aber in der Hinrunde nur zu fünf Kurzeinsätzen. "Co-Trainer Harry Gärtner legte mir im Winter nahe, mich nach einem neuen Klub umzuschauen." Doch anstelle von Boll, den auch aufgrund der Doppelbelastung mit seinem Beruf bei der Polizei immer wieder Verletzungen geplagt hatten, mussten die Trainer gehen. Auf Franz Gerber folgte im März 2004 Andreas Bergmann, der ihn am 2. April in die Startelf stellte. St. Pauli siegte 1:0 gegen Chemnitz, Fabian Boll hatte in der 73. Minute getroffen. "Ich bin Andi bis heute unglaublich dankbar, dass er mir die Chance gab."

Seitdem ist Boll, der Aufsteiger, mittendrin, geriet vom durchschnittlichen Regionalligaspieler zum gestandenen Zweitligaprofi, überzeugte sogar in der Bundesliga und ist aktuell nicht nur wegen seiner sechs Tore besser denn je. Boll eröffnete die Saison mit einem Doppelpack beim 2:0 gegen Ingolstadt, beschloss die Hinrunde mit seinem 1:1-Ausgleich in Paderborn und eröffnete das Jahr 2012 mit seinem Tor in Aachen. Boll geht voran, setzt Zeichen, ist für viele Mitspieler Orientierungspunkt und erster Gesprächspartner, trägt die Kapitänsbinde. "Ich bin da über die Jahre so reingewachsen", sagt er selbst und zuckt mit den Schultern. "Fabian hat sich parallel zum Klub entwickelt. Sein Humor und seine Leichtigkeit sind herrlich", lobt Sportchef Helmut Schulte, "man hat das Gefühl, durch seine Adern fließt braun-weißes Blut."

Ein Oberkommissar mit Halbtagsstelle als Identifikationsfigur am Millerntor, wo die Ordnungshüter schon mal als Bullenschweine beschimpft werden und die ACAB-Symbolik (All Cops Are Bastards) auf Mützen, Aufnähern und Pullovern zu finden ist. "Acht Bier, acht Cola. Ich kenne das", sagt Boll und grinst. Er hat gelernt sich durchzusetzen. Aller Experten zum Trotz absolvierte er nie weniger als 26 Saisonspiele. "Vor allem nach den Aufstiegen gab es Leute, die meinten, ich hätte das Ende der Fahnenstange erreicht. Aber mich hat immer angetrieben, die Chance zu nutzen, die mir keiner zutraut."

Und so spielt er einfach weiter. Körperlich seien noch drei, vier, vielleicht fünf Jahre möglich, aber entscheidend sei die Motivation. "Im Urlaub um acht Uhr auf dem Laufband zu schwitzen ist nicht immer schön. Und wenn es vorbei ist, werde ich sicher nicht noch ein paar Jahre in Dassendorf oder Altona dranhängen. Ich würde gern hier bleiben, in welcher Funktion auch immer den Weg fortführen. Entsprechende Signale vom Verein sind da", sagt Boll. Seine privaten Planungen sind konkreter. Die kleine Barmbeker Wohnung haben er und seine Frau Alexandra bereits verlassen, im neuen Alsterdorfer Domizil ist Platz für Nachwuchs. "Ja, wir wollen zwei bis drei Kinder. Und zumindest das erste soll seinen Papa noch spielen sehen", sagt Boll und benennt noch mal sein Erfolgsrezept: "Alles step by Stepp."