Enttäuschung und Verwunderung herrschen auf St. Pauli über den Fehlstart in Aachen. Die schnellen Gegentore warfen die Hamburger zurück.

Aachen. Max Kruse hatte alles gesagt. Hatte mit schuldbewusster Miene erklärt, weshalb der Jahresauftakt für den FC St. Pauli erstmals seit acht Spielzeiten mit dem 1:2 in Aachen misslungen war. Man habe sich das alles ganz anders vorgestellt, sei nicht in der Lage gewesen, die Alemannia unter Druck zu setzen, war zur Erkenntnis gekommen, dass eine gute Viertelstunde nicht genüge, um in 90 Minuten Punkte zu gewinnen, und hatte auch die von einem Journalisten angebotene Ausrede der schwierigen Platz- und mit minus zwölf Grad auch ungemütlichen Witterungsverhältnisse entschieden abgelehnt. Selbstkritik und Realitätssinn kennzeichneten die Analyse des 23 Jahre alten Schlüsselspielers, der seine Ausführungen mit dem vielleicht einzigen positiven Aspekt des Tages beendete: "Immerhin: Die Konkurrenz hat auch geschwächelt." Es war sein letzter Satz, jedoch der einzige, den sein Trainer in den Katakomben des Tivoli im Vorbeigehen mitbekommen hatte. "Pah! Und wir leider zu viel", entfuhr es André Schubert, der Kruse einen Blick zuwarf, der den Reinbeker gleichermaßen irritiert wie eingeschüchtert zurückließ.

Enttäuschung, Verärgerung, aber auch Wut und im Moment der Niederlage sogar Zorn im Lager der Hamburger, die den Aachenern im Verbund mit Schiedsrichter Frank Willenborg den Sieg geschenkt hatten. Schuberts Elf schlug sich selbst und konterkarierte mit ihren vielen Abstimmungs-, Abspiel- und taktischen Fehlern die vorangegangene hoffnungsvolle Vorbereitung. Die Erkenntnis nach den ersten 90 Pflichtspielminuten 2012: St. Pauli läuft hinterher, zunächst den Gegenspielern und einem frühen Rückstand, in der Konsequenz der Aufstiegskonkurrenz und nicht zuletzt den eigenen hohen Ansprüchen.

Es ist nicht die Niederlage an sich, die für Verwunderung bei Beobachtern und Trainer sorgt, es ist die Art und Weise. "Das war für mich schon eine Überraschung, ja", bestätigte Schubert am Tag danach, "ich bin enttäuscht. Du kannst mal verlieren, aber du musst alles abrufen, an deine Grenzen gehen. Jeder hier will maximalen Erfolg, da bin ich mir ganz sicher. Die Frage ist nur: Was bist du bereit, dafür zu tun? Und bei dem einen oder anderen Spieler fehlten Leidenschaft und der absolute Wille, Tore zu verhindern und Tore zu erzielen. Mit dieser Sorglosigkeit, Naivität und Pomadigkeit können wir uns nicht präsentieren. Uns selbst nicht und unseren Fans nicht. Da waren 3000 mit in Aachen. Das geht nicht."

Zu sehen bekam der Anhang, wie die Alemannia mit leichten Ballverlusten früh zu Toren eingeladen wurde und das eigene Angriffspiel wirkungslos blieb, weil der Kombinationsfußball am Sonnabend ohne den letzten Pass auskommen musste. St. Pauli investierte zu wenig Laufbereitschaft und Risiko, verhedderte sich in der vielbeinigen gegnerischen Defensive und verlagerte das Spiel viel zu langsam in die Aachener Hälfte, die im Zuge der 2:0-Führung bereits nach 15 Minuten zum beliebten Aufenthaltsort der Alemannen geworden war. "Wir haben zu oft breit gespielt, sind nicht in die Tiefe gekommen", analysierte Schubert, der nach passabler Schlussviertelstunde in der ersten Halbzeit und dem logischen Anschlusstreffer durch Fabian Boll (39.) im zweiten Abschnitt mit anzusehen hatte, wie sein Team lethargisch und uninspiriert wieder in die aufgebrochen geglaubte Statik verfiel.

"Der Schiedsrichter hat zu früh zur Pause gepfiffen", sinnierte Sportchef Helmut Schulte daher augenzwinkernd im Anschluss an die Partie, die aber auch von Willenborg mitentschieden worden war. In der 69. Minute hatte der Unparteiische den herausragenden Spielzug der Partie zu Unrecht abgepfiffen und das 2:2 von Mahir Saglik aberkannt, da Vorlagengeber Dennis Daube beim Pass von Florian Bruns fälschlicherweise ins Abseits verlegt wurde. "Eine krasse Fehlentscheidung", kritisierte Schubert, "auch ich versuche, mich zu mehr Ruhe zu erziehen, und weiß, dass der Schiedsrichterjob schwer ist. Aber das war so deutlich kein Abseits, dass man es uns zugestehen muss, diese Entscheidung zu kritisieren."

"Mit dieser Sorglosigkeit, Naivität und Pomadigkeit können wir uns nicht präsentieren. Das geht nicht." - André Schubert

Gleichwohl, sie passte bestens in die Chronologie dieses fehlerhaften und mit zwei Torchancen unzulänglichen Nachmittags. "Vor dem Vergnügen, Fußball zu spielen, kommt die Arbeit", kritisierte Boll, der den Vorwurf der falschen Berufseinstellung aber so nicht stehen lassen wollte: "Das mag von außen vielleicht so ausgesehen haben, aber den Willen will ich niemandem in unserer Mannschaft absprechen. Da macht man es sich zu einfach."

Schubert wird nach dem freien Tag heute noch einmal in die Analyse gehen. Mit der gesamten Mannschaft beim Videostudium, aber auch in Einzelgesprächen. Sachlich, analytisch, wie er betont: "Es wäre unproduktiv, jetzt alle in die Pfanne zu hauen und sich gegenseitig anzumotzen, wenngleich das im ersten Moment schon mal passiert, wie jeder Fan wissen wird." Und Max Kruse sicher bestätigen kann.