“Ich war gefühlsmäßig tot“, sagt Biermann. Vier Tage nach seinem bislang letzten Spiel versucht er sich mit Autoabgasen umzubringen.

Hamburg. Er hasste seine roten Haare, seine lädierte Schulter und sein kaputtes Knie. Er konnte lange Zeit keine Trauer mehr fühlen, wirkliche Freude sowieso nicht. Er war gefangen in seiner Gedankenwelt, die ihn wie eine schwarze Wolke umgab. Er wollte weg, flüchten, sterben. Andreas Biermann, Profispieler des FC St. Pauli, unternahm im Oktober 2009 einen Selbstmordversuch und begab sich nach dem Freitod von Robert Enke zwei Wochen später in stationäre Behandlung.

"Mir wurde bewusst, dass die Person, die Teresa Enke beschrieb, zu 100 Prozent ich bin und dass ich mir Hilfe holen muss", sagt Biermann heute. Fünf Monate nach seinem Selbstmordversuch stellte er sich im "Stern" und in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" erstmals der Öffentlichkeit. Weil er das Gefühl hat, dass die Diskussionen nach Enkes Tod nichts bewirkt haben.

Die Geschichte von Andreas Biermann, verheiratet, zwei Kinder, ist geprägt von Verletzungen und Krankheit. Mit 17, er spielt in der Jugendmannschaft von Hertha BSC, wo ihm eine große Zukunft vorausgesagt wird, kugelt er sich zum ersten Mal die Schulter aus. Dreimal wird ihm das passieren, weil die Pfanne zu klein ist, um das Gelenk zu halten. Als er 22 Jahre alt ist, muss er sein Knie arthroskopieren lassen, reine Routine. Biermann erholt sich nie wieder richtig von dem Eingriff, bei dem sich Bakterien im Knie einnisten. Immer wieder wird er operiert, insgesamt elfmal.

Über Union und TeBe Berlin kommt er 2008 zum FC St. Pauli, in die Zweite Liga. Freuen kann er sich darüber nicht. Er unterdrückt Gefühle, um weniger Schmerz wahrzunehmen, bleibt tagelang im Bett liegen, hat massive Schlafstörungen. Er funktioniert nur noch, fühlt sich überflüssig, weil er nicht berücksichtigt wird. Niemand merkt, wie schlecht es ihm geht. "Ich war immer daran interessiert, dass andere nichts mitbekommen."

Mitte Oktober 2009, beim Auswärtssieg in Oberhausen, wird er mal wieder eingesetzt, steht danach mit der Mannschaft in der Fankurve, feiert. "Ich war gefühlsmäßig tot, obwohl ich mich über mein Comeback hätte freuen müssen." Vier Tage nach seinem bislang letzten Spiel versucht er sich mit Autoabgasen umzubringen. "Ich habe einen Abschiedsbrief geschrieben in den sechs Stunden, die ich im Auto verbracht habe. Ich habe an meine Familie gedacht, war daran interessiert, dass sich andere um sie kümmern. Selbst war ich dazu nicht mehr in der Lage."

58 Tage dauert die anschließende Behandlung. "Ich habe bis heute nicht besonders viel Selbstwertgefühl", sagt er. Aber er hat gelernt, dass es die Summe vieler Kleinigkeiten war, die ihn in die Depression führte. Jetzt geht es ihm darum, die Krankheit ins Bewusstsein der Menschen zurückzuholen. "Depressionen dürfen kein Tabu mehr sein", sagt Biermann: "Sonst sterben noch mehr Profis."