Rollstuhlfahrer und St.-Pauli-Fan Jürgen A. aus Hamburg wurde beim Nordderby in Rostock von einem Hansa-Anhänger attackiert.

Hamburg. Nach der erneuten Eskalation der Gewalt rund um das Nordderby zwischen Hansa Rostock und dem FC St. Pauli meldete sich gestern Theo Zwanziger zu Wort. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) schloss leere Ränge bei Problemspielen wie dem am vergangenen Montag nicht mehr aus. "Wenn nur mit einer unverhältnismäßigen Zahl von Sicherheitsmaßnahmen ein Spiel friedlich über die Bühne geht, dann muss man die Frage stellen, ob man dort noch mit Publikum spielen kann", sagte Zwanziger.

Der Fall des Rollstuhlfahrers Jürgen A. aus Hamburg, der das Spiel in Rostock live im Stadion verfolgte, dürfte Zwanziger in seiner Haltung bestärken. Was A. in einer E-Mail an die Fanbeauftragten beider Klubs (liegt dem Abendblatt vor) schildert, deutet eine neue Qualität der Gewalt an. Gewalt gegen wehrlose Behinderte. A. ist Oberarzt am UKE in Hamburg und seit seiner Kindheit an Kinderlähmung erkrankt. Gemeinsam mit einem befreundeten Arzt war er mit dem Sonderzug nach Rostock gereist und verfolgte die Partie auf der Osttribüne der DKB-Arena. A. und seine Begleitung stellten sich an den äußersten Rand des Rolli-Bereichs, um näher am Block der St.-Pauli-Fans zu stehen - und näher bei den vermeintlich schützenden Ordnern. Um sie herum: Hansa-Anhänger.

Während des Spiels seien Zuschauer aufgetaucht, die A. aufgrund ihrer Kleidung der rechten Szene zuordnet, und hätten sie beschimpft und bepöbelt. Trotz geringer Entfernung seien die Ordner nicht eingeschritten und hätten wie die Polizei auch auf Hinweise des Begleiters von A. und Bitten um einen Umzug in den Gästeblock nicht reagiert. Als das 1:0 für St. Pauli fiel, jubelte der 56-Jährige und schwenkte seine mitgebrachte Fahne. Daraufhin habe ein Rostocker Fan versucht, ihm das Fanutensil zu entreißen. Es sei zu Handgreiflichkeiten gekommen. Die Szene sei sowohl vom Sicherheitsdienst als auch von der Polizei beobachtet worden. Weder das Ordnungspersonal noch andere Zuschauer hätten reagiert, auch nicht, als eine zweite Attacke folgte. Erst auf Hinweis von A.s Betreuer führten Sicherheitsbeamte den wieder in der Menge abgetauchten Angreifer ab.

Als es schließlich 2:0 stand und der Rollstuhlfahrer und sein Begleiter von allen Seiten beschimpft und bedroht worden seien, beschlossen sie, das Stadion frühzeitig zu verlassen. "Ich habe ihm gesagt: Wir müssen hier weg, sonst kriegen wir was auf die Mütze", erzählt A.s Begleiter, der nicht namentlich genannt werden möchte. A. möchte das Erlebte nicht auf sich beruhen lassen, verfasste deshalb die E-Mail. Von einer Anzeige habe er abgesehen, das bringe nichts. Auf Rostocker Seite war gestern für eine Stellungnahme niemand zu erreichen. St. Paulis Behinderten-Fanbeauftragte, Dagmar Oden, sagte, dass sie den Bericht an die DFL und den DFB weiterreichen werde. Dann kann sich auch Theo Zwanziger mit dem Fall auseinandersetzen.