St. Paulis Sportchef Helmut Schulte, 51, erklärt die Transferpolitik des Klubs und spricht darüber, was den Verein vom Kiez derzeit so stark macht.

Abendblatt: Herr Schulte, der FC St. Pauli hat vor der Saison fünf neue Spieler verpflichtet, alle verstärken die Mannschaft ungemein. Passiert Ihnen das häufiger?

Helmut Schulte: Man erhofft sich das. Es ist aber nicht normal. Die Quote liegt sonst ungefähr bei einem von drei neuen Spielern. Es gehört eine Portion Glück dazu, aber wir arbeiten eben auch sehr gut.

Abendblatt: Wie müssen wir uns „gute Arbeit“ vorstellen?

Schulte: Wir haben auf jeder Position etwa zehn Spieler, die realistisch für uns in Frage kommen. Die beobachten wir sehr genau. Stefan Studer (seit Januar 2009 Chefscout, Anm. d. Red.) hat die Aufgabe, jeden Spieler aus den ersten drei deutschen Ligen zu kennen.

Abendblatt: Wie läuft das ab, wenn sie konkret einen Spieler verpflichten wollen?

Schulte: Vor möglichen Verpflichtungen kommt es natürlich zu einem regen Austausch zwischen Studer, Holger Stanislawski und mir. Der Trainer und ich, wir müssen beide hundertprozentig hinter einem Transfer stehen, sonst macht es keinen Sinn. Dann trete ich mit dem Spieler in Kontakt und vermittle bei Interesse ein Gespräch mit Stanislawski. Gleichzeitig halte ich den Kontakt zu dem Spielerberater.

Abendblatt: Ist es bei St. Pauli wichtiger als bei anderen Vereinen, dass der Spieler menschlich zur Mannschaft passt?

Schulte: Der Charakter eines Spielers ist unheimlich wichtig. Wir achten auf drei Eigenschaften: fußballerische Fähigkeiten, körperliche Fitness, Charakter. Es ist schwer in einem einzigen Gespräch herauszufinden, ob es menschlich passt, aber wir versuchen das und Stanislawski hat da anscheinend eine besondere Gabe.

Abendblatt: Gab es Spieler, die aufgrund ihres Charakters nicht geholt wurden?

Schulte: Hat es schon gegeben, ja. Da will ich aber keine Namen nennen.

Abendblatt: Haben sie für diese Saison ihre absoluten Wunschspieler bekommen?

Schulte: Für die Innenverteidigerposition stand Georg Niedermeyer, der jetzt beim VfB Stuttgart spielt, ganz oben auf der Liste. Wir haben dann aber erkannt, dass der Junge ganze andere Möglichkeiten hat. Thorandt hatten wir ebenfalls schon länger im Auge und ich bin dann extra noch mal nach München geflogen und habe ihn genau beobachtet.

Abendblatt: Und die anderen?

Schulte: Als ich am letzten Spieltag der Saison Deniz Naki in Ahlen beobachtet hatte und im Auto auf dem Weg zurück nach Hamburg war, kam es mir in den Sinn: TNT. Thorandt, Naki, Takyi. Das war die Achse auf die wir gebaut haben. Der Wechsel von Matthias Lehmann ist erst sehr spät realisiert worden, als klar war, dass er nicht in Aachen bleiben würde.

Abendblatt: Was ist Ihnen lieber: Jedes Jahr drei bis vier wichtige Spieler auszutauschen oder mal über einen längeren Zeitraum mit einem Stamm zu arbeiten?

Schulte: Je weniger Transfers wir in nächster Zeit machen müssen, desto besser werden wir sein. Wenn wir die Mannschaft so halten können wie sie jetzt ist, dann weiß ich, dass wir in Zukunft gut aufgestellt sind.

Abendblatt: Also sind auch im Winter keine Überraschungen zu erwarten?

Schulte: Wer im Winter noch tätig werden muss, dem geht es entweder ganz schlecht oder man tätigt schon einen freudvollen Transfer für die nächste Saison, weil es dann zu spät sein könnte.

Abendblatt: Was ändert sich, wenn St. Pauli in die Bundesliga aufsteigen würde?

Schulte: Angenommen wir spielen in drei Jahren in der Bundesliga. Dann werden wir darauf vorbereitet sein. Wir müssen für alle denkbaren Szenarien gerüstet sein. Sie können davon ausgehen, dass ich für alle Möglichkeiten einen klaren Plan habe.

Abendblatt: In der letzten Bundesligasaison des FC St. Pauli kamen auch viele ausländische Spieler ans Millerntor. Ist das in der ersten Liga unumgänglich?

Schulte: Ich rede mir nicht ein, Spieler im Ausland zu finden, die anderen Vereinen durch die Lappen gegangen sind. Den ausländischen Markt beherrschen wir nicht, aber damit können wir leben. Wir setzen vor allem auf die drei deutschen Ligen und versuchen uns in diesem Bereich perfekt auszukennen. Das ist ein ständig laufender Prozess. Im Prinzip reicht aber der Scouting-Apparat des FC St. Pauli noch nicht aus.

Abendblatt: Wie wichtig ist die Zeit als Nachwuchskoordinator bei Schalke 04 für Ihre jetzige Arbeit?

Schulte: Die Zeit hat mich sehr geprägt. Ich habe unheimlich viel gelernt für den Job, den ich heute bei St. Pauli mache.

Abendblatt: Präsident Corny Littmann sagte bei ihrem Amtsantritt, dass es in Zukunft kaum eine bessere Adresse für junge Spieler in Deutschland geben wird als den FC St. Pauli. Max Kruse und Deniz Naki würden das sicher unterschreiben. Sie auch?

Schulte: Im Großen und Ganzen hat Littmann Recht, ich bin da allerdings etwas realistischer. Wir sind grundsätzlich daran interessiert mit Spielern aus dem Verein und aus der Region zu arbeiten. Beispiel Nils Pichinot: Solchen Spielern, die aus der Region kommen, wollen wir die Möglichkeit geben, im Profifußball Fuß zu fassen. Hätte er den Sprung in die erste Mannschaft nicht geschafft, hätten wir uns auf dem Transfermarkt noch mal ganz anders umsehen müssen.

Abendblatt: Fühlen Sie sich bestätigt nachdem Pichinot gleich im ersten Spiel das entscheidende Tor macht?

Schulte: Das für mich ein unbeschreibliches Gefühl. Das ist besser als wenn Bayern für 25 Millionen Robben holt und der zwei Tore macht. Bei dem weiß man, dass er das Potenzial hat, das ist nichts Besonderes. Es ist viel schöner, solche Jungs selber zu entwickeln. Mit Dennis Daube geht es mir ähnlich.

Abendblatt: Wann fangen Sie an Nachwuchsspieler zu beobachten?

Schulte: Wir beobachten manche Spieler über Jahre. Das fängt in den DFB-Auswahlen ab der U16 an. Wer gut aufgestellt ist, kennt auch Spieler aus den Landesauswahlen. Max Kruse zum Beispiel. Der kommt hier aus Hamburg. Dessen Weg hat der Verein sehr lange verfolgt.

Abendblatt: Sie waren schon Trainer und Manager, haben sie als Sportchef jetzt endgültig ihre Position gefunden?

Schulte: Ja, das ist genau mein Job. Das ist auch ein Grund, warum es im Verein momentan nicht nur sportlich stimmt. Jeder tut genau das, was er gerne tut. Stanislawski will Trainer sein, André Trulsen will Co-Trainer sein, Michael Meeske will Geschäftsführer sein und ich eben Sportchef. Das macht uns so stark.

Abendblatt: Stark genug diese Saison schon aufzusteigen?

Schulte: Das Ziel eines jeden Vereins, eines jeden Spielers ist es nicht in der Bundesliga zu spielen, sondern sportlich erfolgreich zu sein. Für den FC St. Pauli heißt das: sich in der Liga zu etablieren und vielleicht oben mitzuspielen.

Abendblatt: Aber die Entwicklungen im Umfeld des Vereins sind doch positiv.

Schulte: Ja, wir entwickeln uns in allen Bereichen weiter. Stadionausbau. Ausbau des Trainingszentrums. Aber wir machen alles Schritt für Schritt. Das ist viel besser, als einmal mit der Rakete nach oben geschossen zu werden und dann wieder abzustürzen. Vor zwei Jahren gab es hier keinen einzigen Fußballlehrer. Jetzt haben wir sechs für die erste Mannschaft. Von der Qualifikation her ist hier nicht mehr möglich. Interview: Bastian Henrichs

Nutzen Sie unseren St. Pauli SMS-Dienst und seien Sie immer auf dem Laufenden bei News und Ergebnissen rund um den Kultverein.