Der HSV-Neuzugang Paul Scharner bezichtigt Österreichs Nationaltrainer Marcel Koller der Lüge und beklagt mangelnde Wertschätzung.

Hamburg. "Hier kommt der böse Paul", sagte Paul Scharner gestern Mittag freundlich, als er im Bauch der Imtech-Arena die Journalisten begrüßte. Äußerlich ließ sich der HSV-Neuzugang nicht anmerken, dass er Tags zuvor zumindest in seinem Heimatland Österreich für einen neuerlichen Eklat gesorgt hatte. Der 32-Jährige war aus dem Kreis der Nationalmannschaft vorzeitig abgereist, da er beim Testspiel gegen die Türkei (2:0) nur auf der Bank hätte sitzen sollen (das Abendblatt berichtete). Zurück in Hamburg lag Scharner einiges daran, das Geschehene aus seiner Sicht zu schildern. "Zunächst einmal hat Trainer Marcel Koller nicht die Wahrheit gesagt, dass ich aus eigenen Stücken abgereist sei. Mir wurde viel mehr nahegelegt, das Teamhotel der Nationalmannschaft zu verlassen. Zudem habe ich nie einen Stammplatz gefordert. In den österreichischen Medien wird das gerne verdreht. Für die war ich noch nie ein Liebkind."

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Grund der Differenzen mit dem Coach der Österreicher sei - so Scharner - in erster Linie "mangelnde Wertschätzung" gewesen: "Ich habe im Training gemerkt, dass ich wohl nicht spielen werde. Daraufhin habe ich das Gespräch mit Koller gesucht. Er sagte mir, dass ich länger nicht auf der Position des Innenverteidigers zum Einsatz gekommen sei und er mich beim HSV beobachten werde, ob ich für die Nationalmannschaft infrage komme. Mit jemandem, der über 200 Premier-League- und 40 Länderspiele absolviert hat und davon mehr als die Hälfte als Innenverteidiger, springt man nicht so um und behandelt einen wie einen jungen Trottel", sagte Scharner. Statt auf ihn zu bauen, habe Koller ihn in den Mannschaftsrat beordern wollen, um das Team zu pushen und zu führen. Mit dieser Rolle erklärte sich Scharner jedoch nicht einverstanden, da sie einer Trainerrolle gleich käme. Daraufhin sei ihm dann eine zeitige Abreise nahegelegt worden.

Koller zeigte dagegen auch gestern völliges Unverständnis für das Verhalten Scharners, der dem gebürtigen Schweizer in einem Interview mit dem österreichischen Magazin "News" zudem vorgeworfen hatte, "respektlos" ihm gegenüber zu sein und dass er sich im Sommer verändert hätte. "Koller ist wie ein Schnitzel weich geklopft worden. Jetzt müssen sie ihn nur noch panieren. Dann ist er ein richtiger Österreicher", wird Scharner zitiert. Koller konterte gestern: "Ich versuche, jeden Spieler mit Respekt zu behandeln und habe mich hundertprozentig nicht verändert. Vorher war alles gut. Erst als er wusste, dass er nicht spielt, war auf einmal alles schlecht." Laut Koller hätte Scharner in der WM-Qualifikation eine tragende Rolle einnehmen können. "Wenn ich den Eindruck gehabt hätte, es reicht nicht fürs Nationalteam, hätte ich ihn nicht einberufen."

+++ "Koller ist wie ein Schnitzel weich geklopft worden" +++

Doch nun wird der HSV-Profi unter Koller nicht mehr für Österreich spielen - so viel steht fest. Und damit ist auch Scharners Traum geplatzt, noch einmal an einem großen Turnier teilzunehmen. "Ein Land wie Österreich qualifiziert sich alle 20 Jahre mal für eine WM oder EM, nun ist die kleine Möglichkeit für mich auf einen Schlag dahin. Das muss ich erst mal verdauen." Seine aus der Bundesliga bekannten Nationalmannschaftskollegen Christian Fuchs (FC Schalke 04) und Andreas Ivanschitz (FSV Mainz 05) meinen, ihr Ex-Kollege habe selbst Schuld, dass er diese Chance nicht nutzen kann.

"Ich kann die Entscheidung des Teamchefs nachvollziehen", betonte Ivanschitz, Fuchs pflichtete ihm bei: "Man ist natürlich schon enttäuscht."

Selten hat ein HSV-Spieler so wenig Zeit benötigt, um seinen Ruf als Querulant, den er zumindest in seinem Heimatland genießt, zu bestätigen. Denn die Liste seiner gelegentlichen "Ausbrüche" ist lang: Dem damaligen Austria-Coach Joachim Löw verweigerte er 2003 die Einwechslung, weil ihm die Position nicht passte. Drei Jahre später trat er nach harter Kritik am österreichischen Verband schon einmal aus der Nationalelf zurück, kehrte jedoch 2008 wieder zurück. Vor einem Jahr brachte er sich als Nationaltrainer selbst ins Gespräch, obwohl Dietmar Constantini noch im Amt war. "Und jetzt ist Paul Scharner wieder die Skandalnudel" wagt der Rechtsfuß, der von sich selbst gern in der dritten Person spricht, ein passendes Selbstbildnis.

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Immerhin kann sich Scharner, der gestern Nachmittag wieder am Training teilnahm, nun voll auf den HSV konzentrieren. Das ist für seine Ambitionen auch nötig, denn momentan sind in der Abwehrzentrale Jeffrey Bruma und Michael Mancienne gesetzt, die auch im DFB-Pokal am Sonntag (14.30 Uhr/Liveticker auf abendblatt.de) beim Karlsruher SC beginnen sollen. "Das ist kein Problem, ein Paul Scharner ist ein ganz normaler Fußballer, der keinen Stammplatz fordern darf", sagt der Defensivmann, der sich selbst aber auf einem guten Level sieht und allzeit bereit sei. Und wenn er auch in der Bundesliga die ersten Partien des HSV nur von der Bank aus verfolgen müsste? "Auch das wäre kein Problem", sagt Scharner und lächelt. Beim HSV ist er eben - zumindest noch - der nette Paul.