Lewis Holtby will den kriselnden HSV stabilisieren – genauso wie seine eigene Karriere. Dafür verzichtet er auf viel Geld

Hamburg. Das trübe Hamburger Wetter am Montagmorgen konnte Lewis Holtby die Laune nicht verderben. Bereits um kurz nach 9 Uhr tauchte der Fußballer in Begleitung von Teammanager Marinus Bester zum Medizincheck im Uniklinikum Eppendorf auf – und gab dabei einen kleinen Einblick in sein zuletzt arg strapaziertes Seelenleben: „Ich will endlich wieder spielen. Deswegen bin ich froh, dass jetzt alles geklärt ist. Ich freue mich wahnsinnig auf den HSV“, sagte der 23 Jahre alte Hoffnungsträger, der bei den Tottenham Hotspurs in dieser Saison in den ersten drei Premier-League-Partien nur einmal eingewechselt wurde.

Der offensive Mittelfeldmann gilt als Wunschspieler von Clubchef Dietmar Beiersdorfer, die Verhandlungen hatten sich lange hingezogen. Doch am Ende konnte sich der Vorstandsboss mit den Londonern über ein einjähriges Leihgeschäft inklusive Kaufoption, die Rede ist von sechs Millionen Euro, einigen. „Unser Budget war ausgereizt. Aber ein Leihgeschäft mit Option ist für uns ein wirtschaftlich überschaubares Risiko“, sagte der HSV-Chef, der laut Holtby großen Anteil an dem Transfer hatte. „Didi ist ein super Typ, der sich unglaublich reinhängt“, sagte der dreimalige Nationalspieler: „Er hat jetzt allerdings 39 Grad Fieber, weil ihm die Transferphase so zugesetzt hat.“

Nach den Last-Minute-Erfolgen auf dem Transfermarkt konnte Beiersdorfer aber auch die Grippe nicht umhauen. „Ich bin sehr zufrieden, dass wir die Deals alle noch rechtzeitig stemmen konnten“, sagte er dem Abendblatt. Dass Beiersdorfer bei „den Deals“ mit Ausnahme von Per Skjelbred (1,3 Millionen Euro/Hertha) und Milan Badelj, der für vier Millionen Euro nach Florenz verkauft wurde, auf der Transferzielgeraden fast ausschließlich auf Leihgeschäfte setzte, ist kein Zufall. Holtby (mit Kaufoption) und Bayerns Julian Green (ohne Option) kommen für ein Jahr, Jonathan Tah (ohne Option für Düsseldorf), Kerem Demirbay (ohne Option für Lautern) und Jacques Zoua (mit Option für Kayseri) gehen für eine Saison. „Natürlich würden auch wir lieber einen Spieler fest verpflichten, aber finanziell ist das nicht immer möglich“, sagte Beiersdorfer, der umgekehrt hofft, dass die Talente Tah und Demirbay mit Spielpraxis in einem Jahr als Verstärkungen zurückkommen. Holtby soll dagegen auch nach dem Leihjahr in Hamburg bleiben: „Wir haben langfristige Pläne mit Lewis. Für den HSV hat er auf viel Geld verzichtet.“

Ob Holtby, der in London fünf Millionen Euro verdient haben soll, das auch getan hätte, wenn er das blamable 0:3 seines neuen Clubs gegen Aufsteiger SC Paderborn in voller Länge im TV gesehen hätte, ist natürlich hypothetisch: „Wir werden in die Erfolgsspur zurückfinden. Der HSV ist so ein großer Verein, hier ist so viel Potenzial“, sagte der gebürtige Westfale, der sich optimistisch zeigte, dass es bald aufwärts geht.

Auch die Karriere des Deutsch-Briten ging in den Anfangsjahren fast nur bergauf. Bei Alemannia Aachen gelang ihm in der Zweiten Liga der Sprung in den Profifußball, wo er in seinem ersten Jahr mit 18 Jahren eine herausragende Rückrunde spielte. Sein damaliger Trainer Jürgen Seeberger erinnert sich: „Lewis war ein toller Junge mit einem klaren Ziel vor Augen. Er hat damals die Schule abgebrochen, was wir gar nicht gut fanden. Doch für ihn zählte immer nur der Fußball.“ Einzig an der Grundschnelligkeit mangelte es Holtby damals ein wenig, so dass er von Seeberger eher im linken Mittelfeld als in der Zentrale eingesetzt wurde, wo er öfter mit Tempo in die Tiefe hätte gehen müssen.

Nicht viel später wurde Schalkes damaliger Trainer Felix Magath auf Holtby aufmerksam und lotste ihn nach Gelsenkirchen. Der Anfang war schwer, Magath zählte ihn bereits nach seinem ersten Bundesligaspiel öffentlich an, und der Club verlieh den Wirbelwind erst nach Bochum, dann nach Mainz. Dort gelang Holtby der endgültige Durchbruch. Als Bestandteil der „Bruchweg-Boys“ war er Publikumsliebling, war auch neben dem Platz und in Interviews für jeden Spaß zu haben. Auf die Frage eines Reporters, wie sein Team ein Spiel noch umbiegen konnte, antwortete er etwa ziemlich forsch in die Kameras: „Am Ende ist der Pimmel dick“.

Zurück auf Schalke überzeugte Holtby auch in Königsblau. Später zögerte er die Verlängerung seines Vertrages allerdings so lange heraus, bis ihn Sportdirektor Horst Heldt am letzten Tag des Wintertransferfensters 2012/13 für 1,75 Millionen Euro nach London abgab. Dort bekam die Karriere des Dribbelkünstlers einen ersten Knick.

Nach der Verpflichtung wurde Holtby von Trainer André Villas-Boas mit Rafael van der Vaart verglichen, den er bei den Spurs beerbt hatte. Doch so richtig zum Zuge kam er nie. Auch in Fulham, wo der Blondschopf wieder unter Magath spielte, wieder auf Leihbasis, konnte er nicht überzeugen. „Er hat Qualitäten, aber er ist kein Kämpfer“, urteilte Magath unlängst sehr hart.

Ganz anders bewertet Ex-Mannschaftskollege Manuel Neuer, der mit Holtby auf Schalke spielte, dessen Wechsel nach Hamburg. „Es ist auf jeden Fall ein guter Transfer für den HSV“, sagte Neuer am Montag, „Lewis ist noch ein junger Spieler, der enormes Entwicklungspotenzial hat. Er hat auf jeden Fall das Zeug dazu, in den nächsten Jahren wieder zur Nationalmannschaft dazuzustoßen.“