Vor dem Saisonstart spricht der neue HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer über seine Saisonziele und Investor Kühne

Viel Zeit zum essen hat Dietmar Beiersdorfer an diesem Tag nicht. Von den drei Schokoriegeln, die vor ihm auf dem Tisch liegen, ist der erste in wenigen Sekunden verputzt. Beim zweiten fragt der neue Vorstandsvorsitzende des HSV wenige Minuten später höflich nach: „Darf ich?“ Er darf.

Hamburger Abendblatt:

Herr Beiersdorfer, gehen Sie gut vorbereitet in die Saison?

Dietmar Beiersdorfer:

Wenn Sie auf mich persönlich ansprechen, nicht so richtig. Körperlich kann ich zulegen.

Das gilt auch für die Mannschaft. Vor dem Saisonauftakt beim 1. FC Köln an diesem Sonnabend haben Sie mit den Spielern gemeinsam einige Ziele besprochen. Wie muss man sich das vorstellen?

Beiersdorfer:

Wir wollten das dieses Jahr ein wenig anders machen. Zunächst haben wir unsere Mitarbeiter gefragt, wie sie sich die neue Saison vorstellen. Die gesammelten Punkte habe ich dann mit der Mannschaft besprochen. Und wir waren uns schnell einig, dass bei unserer Zielsetzung nicht irgendeine Platzierung gemeint sein kann. Die Ergebnisse haben Mirko Slomka, Rafael van der Vaart und ich auf der Geschäftsstelle präsentiert.

Brauchen wettkampfgeschulte Fußballer nicht einen Anreiz in Form zum Beispiel eines Tabellenrangs?

Beiersdorfer:

Das hat sich nicht so richtig durchgesetzt, zumindest nicht beim HSV. Aber mal ehrlich: Wer kann schon sagen, was im Mai ist? Natürlich kann ich formulieren, dass wir nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben wollen. Ist das etwa konkret? Wir müssen erst mal den ersten Schritt machen, bevor wir an den übernächsten denken.

Worum geht es Ihnen denn?

Beiersdorfer:

Zum Beispiel darum, dass man spüren muss, dass wir gewinnen wollen, angefangen von mir bis zum Praktikanten. Es geht darum, uns wieder ein gewisses Ansehen zu erarbeiten. Zuletzt hatte doch niemand mehr Respekt vorm HSV. Stellen Sie sich den Spielergang kurz vor dem Anpfiff vor: Entweder du musterst deinen Gegenüber und denkst: Was willst du denn von mir? Oder du zittert schon beim Gedanken an das Duell. Darum geht es doch. Das hat etwas mit Einsatz, mit Mentalität zu tun. Diese Siegermentalität müssen wir entwickeln.

Stellen Sie sich auf Rückschläge ein?

Beiersdorfer:

Gegenfrage: Kann man sich auf Misserfolg einstellen? Es fällt mir schwer, Prognosen zu erstellen. Momentan geht es vor allem darum, den Sport im Club zu stärken. Der HSV hatte wenig Kontinuität in den Führungspositionen, er präsentierte sich als Club der hin- und hergezogen wurde, auf den Kräfte wirkten. Links und rechts, rauf und runter. Jeder hat an der Raute gezogen. Es ist doch klar, dass sich diese Dinge im Zusammenspiel mit den Diskontinuitäten irgendwann in der Kabine widerspiegeln. Wer das nicht sieht, versteht weder den Sport noch die Soziologie einer Mannschaft.

Sie sprechen die verschiedenen Kräfte an, die aber alle selbst in der Hochphase der Streitereien einen gemeinsamen Nenner hatten: Sie sollten der neue Boss sein. Warum dieser Vertrauensvorschuss?

Beiersdorfer:

Ich habe natürlich eine HSV-Vergangenheit, habe nicht unerfolgreich als Sportdirektor gearbeitet und bin, glaube ich, jemand, der eher integriert als spaltet. Ich glaube, dass es nach der vergangenen Saison zwei Möglichkeiten gab: entweder kommt ein Außenstehender, der den Verein von links auf rechts dreht und alles anders macht. Oder eben einer wie ich mit besonderer HSV-Vergangenheit.

Spüren Sie den Druck des Heilsbringers, gerade bei den angespannten Finanzen?

Beiersdorfer:

Der Respekt vor der Aufgabe ist groß. Anfangs fühlte ich auch etwas wie Beklemmung beim Gedanken, was da alles auf mich zurollt. Der Druck von einem Club, der immer hohe Ansprüche hat, sie aber selten bedienen konnte. Nun ist man einer immensen Öffentlichkeit ausgesetzt, die auch das Privatleben beeinflusst. Ich habe eigentlich keine anderen Hobbys. Ich habe meine Arbeit, die ich liebe. Und ich habe meine Familie. (kurze Pause) Vielleicht hätte ich das jetzt andersherum sagen sollen ... (lacht)

Ihr Vorgänger und Ex-Kollege Bernd Hoffmann hat mal gesagt, dass man in Hamburg nicht Mittelmaß verkaufen kann. Hat er Unrecht?

Beiersdorfer:

Nein. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, mit dem Etat von Augsburg arbeiten zu wollen – nichts gegen diesen Verein, der exzellent gearbeitet hat. Aber wir haben ein Stadion mit 57.000 Zuschauern, 50 Logen, 3800 Business-Plätze. Wir können und wollen nach vorne. Nur muss man sich der Realität stellen und sich fragen: Wie ist die Ausgangsposition?

Und wie ist sie?

Beiersdorfer:

Nicht so, dass man sagen muss: Wir wollen in vier Jahren wieder Champions League spielen. Der Abstand zu diesen Clubs ist groß. Im Fußball ist vieles schnell möglich, aber der Finanzierungsbedarf ist bedeutend höher als noch vor einigen Jahren.

Von einem Festgeldkonto wie bei den Bayern ist der HSV weit entfernt ...

Beiersdorfer:

Deshalb kann der Weg nicht lauten, nur in Spieler wie Lasogga oder Behrami zu investieren, sondern auch in die Struktur, in Konzepte und in Personen, die auch dem, was alles schon vorhanden ist, Orientierung geben können. In einem Punkt bin ich mir sicher: Mit unserer konzeptionellen Aufstellung werden wir in der Lage sein, wesentlich mehr richtige als falsche Entscheidungen zu treffen.

Wie schnell kann der HSV den Rückstand aufholen?

Beiersdorfer:

Normalerweise bist du erfolgreich, wenn du genügend Geldmittel oder eine Struktur hast, die diese Geldmittel weitgehend kompensieren kann, beispielsweise durch einen unglaublichen Spirit und Energie oder durch Alleinstellungsmerkmale. Wir haben derzeit beides nicht, daran müssen wir arbeiten. Es geht nicht darum, ein oder zwei Spieler zu holen, sondern gesamtkonzeptionell zu denken. Das habe ich auch zu Herrn Kühne gesagt.

Ist der HSV von Herrn Kühne nicht ein Stück weit abhängig?

Beiersdorfer:

Ich habe versucht, Herrn Kühne eine Landkarte vom ganzen Verein aufzuschlagen mit vielen Feldern: Führungskultur, Nachwuchs, Scouting, Spieler, Mitarbeiter. Nur wenn man allen Menschen das Gefühl geben kann, dass sie teilhaben an dem, was den Club ausmacht, kann eine Clubkultur entstehen, eine Energie, die bei den Spielern ankommt.

Der HSV hatte zum Ende der vergangenen Saison fast keine Liquidität mehr, 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten und zum vierten Mal in Folge ein Millionenminus erwirtschaftet. Trotzdem sind Sie im Sommer kräftig einkaufen gegangen. Ohne Kühnes Millionen-Darlehen wäre das nicht möglich gewesen.

Beiersdorfer:

Da haben Sie Recht. Klar ist, dass Herr Kühne uns in dieser Transferperiode sehr unterstützt hat. Ohne ihn hätten wir neben der Verpflichtung von Pierre-Michel Lasogga, die durch den Calhanoglu-Verkauf möglich wurde, nur noch geringfügig tätig werden können.

In Salzburg hatten Sie Red Bull als starken Partner, in St. Petersburg Gazprom, nun haben Sie Kühne. Wo ist da noch der Unterschied?

Beiersdorfer:

In Salzburg war das Budget eine Orientierung, in St. Petersburg bezahlten wir nach Qualität. Beim HSV befinden wir uns, auch wenn das womöglich komisch klingt, neben einer Phase der wirtschaftlichen Konsolidierung auch in einer Investitionsphase für die Zukunft.

Immer mehr Geld fließt in den Fußball. Ist das noch gesund?

Beiersdorfer:

Die Ablösesummen sind teilweise explodiert, tendenziell werden immer weniger Spielerrechte bei den Clubs liegen, weil mehr Fonds in den Markt drängen, die auch von Spielerberatern aufgelegt werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auch weniger Erlöse durch Transfereinnahmen erzielt werden können. Deshalb ist es wichtig, Strukturen aufzubauen, um Talente selbst zu entwickeln.