Nach der Verpflichtung des Brasilianers hat der HSV sechs Innenverteidiger im Kader. Dem größten Talent droht nun dauerhaft ein Platz auf der Bank

Um 13:25 Uhr landete eine Maschine der British Airways aus London kommend am Mittwoch überpünktlich auf dem Hamburger Flughafen. Ihr entstieg gut gelaunt der neue Hoffnungsträger des HSV: Mit Brilli im Ohr und goldener Uhr am Handgelenk schob der Brasilianer Cléber Janderson Pereira Reis in Begleitung eines Beraters seine Koffer durch die Eingangshalle. „Es war ein langer, aber angenehmer Flug. Jetzt freue ich mich auf den HSV“, erzählte der Fußballer nach seiner Ankunft, dessen O-Beine leicht an den ehemaligen HSV-Brasilianer Naldo erinnern. Am Donnerstagmorgen soll der Medizincheck erfolgen, im Anschluss die Unterschrift.

Es wird spannend, wie schnell sich der Neuzugang Nummer sieben bei seiner ersten Station in Europa einleben und an das Tempo in der Bundesliga gewöhnen kann. Denn als Ergänzungsspieler wurde der 24-Jährige sicherlich nicht geholt, dafür sind die rund drei Millionen Euro Ablöse doch ein wenig hoch. Clébers künftiger Abwehrkollege Johan Djourou reagierte ganz entspannt auf die Nachfrage, was er denn von der neuen Konkurrenz halte. „Haben wir einen Neuen? Diesen aus Brasilien? Keine Ahnung, noch nie von ihm gehört. Aber wenn der HSV ihn verpflichtet, muss er ja gut sein“, urteilte der Schweizer und verschwand mit einem Grinsen im Kabinentrakt. Djourou muss sich derzeit auch wenig Sorgen machen, als stellvertretender Kapitän ist er bei Trainer Mirko Slomka in der Zentrale gesetzt.

Ganz anders stellt sich die Situation für Jonathan Tah dar. Der Jugendnationalspieler witterte nach der schweren Knieverletzung von Gojko Kacar die Chance, sich nachhaltig für die Stammelf zu empfehlen, in der er in der vergangenen Saison – wir erinnern uns – als 17-Jähriger überzeugte und streckenweise den besten Abwehrspieler abgab. Doch nach seinem Tief zum Ende der Serie scheint er kurz vor dem Bundesligaauftakt in Köln am Sonnabend (15.30 Uhr) von einer Rückkehr in die erste Formation weit entfernt zu sein. Die Verpflichtung Clébers hat Tahs Aussicht auf Spielzeit zumindest nicht verbessert. „Konkurrenz ist doch immer da. Ich werde jetzt nicht weglaufen, sondern ziehe das hier durch und will mich beim HSV durchsetzen“, gibt sich Tah kämpferisch.

Schon Ex-Trainer Thorsten Fink hatte viel vom 1,92-Meter-Hünen gehalten, zog ihn im Februar des vergangenen Jahres aus der A-Jugend direkt zu den Profis hoch. Finks Nachfolger Rodolfo Cardoso sorgte dann ausgerechnet beim Nordderby gegen Werder Bremen für Tahs Debüt in der Startelf, aus der er danach über Monate nicht mehr wegzudenken war. Doch die Doppelbelastung Abitur und Profifußball war irgendwann zu viel für den gebürtigen Hamburger, dessen Leistungskurve endgültig nach unten zeigte, als Vertragsinhalte mit pikanten Details an die Öffentlichkeit gelangten und der Club in diesem Zusammenhang seinen Vater attackierte.

Doch diese Geschichten sind Vergangenheit. Tah hat die Schule hinter sich gebracht, will sich nun voll auf den HSV konzentrieren. Auch vom Bundesliga-Dino kamen (noch) keine Zeichen, sich von seinem Abwehrjuwel – zumindest vorübergehend – zu trennen. Obwohl ein Leihgeschäft unter den gegebenen Voraussetzungen für beide Seiten Sinn ergeben würde. Schließlich hat der Club mit Slobodan Rajkovic, der nach seinem Kreuzbandriss erstmals wieder mit dem Ball trainierte und in vier Wochen wieder beim Team mitmischen will, noch einen weiteren Innenverteidiger in der Hinterhand. Auf der Bank könnte sich Tah zumindest nicht weiterentwickeln.

Erst im November des vergangenen Jahres hatte der HSV den Vertrag des Verteidigers vorzeitig bis 2018 verlängert, Interesse der beiden Premier-League-Clubs aus Manchester lediglich zur Kenntnis genommen. Und Tah hat starke Fürsprecher. So plädierte Rafael van der Vaart am Mittwoch vehement dafür, seinen jungen Kollegen nicht abzugeben. „Jona war in der letzten Saison unter Bert van Marwijk unser bester Spieler. Er hat unglaublich viel Talent, ist groß, schnell und spielt einen super Pass. Jeder Spieler hat auch mal eine schlechte Phase. Für den HSV wäre es ganz wichtig, ihn zu halten und ihm das volle Vertrauen zu schenken“, sagte der Kapitän. Und auch Vorstandsboss Dietmar Beiersdorfer stärkte Tah im HSV-Blog „Matz ab“ den Rücken: „Es muss unsere Aufgabe sein, Jonathan in seiner Entwicklung zu unterstützen und weiter auszubilden. Er hat bewiesen, dass er für die Bundesliga alles mitbringt. Eine Abgabe hat noch in keiner Überlegung eine Rolle gespielt.“

Bliebe in der Abwehr noch der ehemalige Kapitän Heiko Westermann als Verkaufskandidat, will der HSV nicht mit sechs Innenverteidigern in die Saison gehen – Nachwuchsmann Gideon Jung noch nicht mitgerechnet. Doch auch im Mittelfeld herrscht großes Gedränge. Immerhin seien die Gespräche mit Per Skjelbred so weit gediehen, dass laut seines Beraters „in ein paar Tagen“ mit einem Transfer zu rechnen sei. Hertha BSC Berlin und Werder Bremen hatten zuletzt Interesse gezeigt, genau wie der spanische Erstligaclub FC Villareal.