Siebenmal schwebte der HSV in Abstiegsgefahr, doch so knapp wie diesmal war es nur selten. Kai Schiller wirft einen Blick zurück nach vorn.

„Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“ Oscar Wilde

Über den theoretischen Fall der Fälle hat sich Mirko Slomka ganz praktisch noch keine Gedanken gemacht. Wie er in dem Moment reagieren würde, wenn der Klassenerhalt geschafft ist, wurde der HSV-Trainer vor dem so wichtigen Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg (Sonnabend, 18.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) gefragt. „Das kann ich noch gar nicht sagen. Ich bin ein sehr emotionaler Typ, aber noch sind wir ja auch nicht so weit“, sagte Slomka. Vier Spieltage vor Schluss ist seine Mannschaft zum Siegen verdammt. Nach der Partie gegen Wolfsburg warten noch Augsburg, die Bayern und Mainz als Gegner. Und nur wenn die Hamburger endlich punkten, ist der Klassenerhalt noch möglich.

Druck für Jansen

Ganz unbekannt ist die Situation für den Dino der Liga nicht. Zwar ist der HSV noch nie abgestiegen, knapp war es allerdings schon oft. Gleich in sieben Spielzeiten stand den Hamburgern das Wasser bis zum Hals – untergegangen ist der Verein aber nie. Auch nicht vor zwei Jahren, als der HSV das letzte Mal lange zittern musste. Erst ein glücklicher 1:0-Auswärtssieg beim 1. FC Kaiserslautern am 28. Spieltag sorgte für die Wende zum Guten. „Dieses Spiel werde ich nie vergessen. Eine derartige Drucksituation hatte ich noch nie erlebt. Es hat zwar keiner ausgesprochen, aber eigentlich war allen klar, dass wir absteigen, wenn wir dieses Spiel auf dem Betzenberg nicht gewinnen würden“, erinnert sich Marcell Jansen, der den Treffer des Tages bereits nach 28 Minuten erzielte. „Das war das wichtigste Tor meiner Karriere“, sagt der derzeit am Sprunggelenk verletzte Nationalspieler, der am Sonnabend aber natürlich von der Tribüne aus die Daumen drücken wird: „Ich bin mir sicher, dass wir es auch dieses Jahr gerade so eben noch schaffen werden.“

Benjamins Tor

Ziemlich brenzlig war die Situation auch in der Saison 2006/2007, als Trainer Thomas Doll nach einer Serie von elf Spielen ohne Sieg und dem Abrutschen auf den letzten Platz entlassen wurde. Huub Stevens wurde verpflichtet, verlor aber gleich das erste Spiel bei Hertha BSC Berlin unglücklich durch ein Last-Minute-Tor von Mineiro mit 1:2. Doch in der Woche darauf sollte im Heimspiel gegen Dortmund der Knoten platzen. „Wir standen mit dem Rücken zur Wand“, erinnert sich Collin Benjamin, der beim nicht für möglich gehaltenen 3:0-Sieg den vorentscheidenden Treffer zum 2:0 machte. „Wir hatten zuvor wirklich eine schlimme Zeit, haben mit der Rückrundenvorbereitung schon am 27. Dezember angefangen und mussten auch mal um 7 Uhr morgens zum Training kommen. Aber all das war vergessen, als wir Dortmund schlagen konnten“, sagt Benjamin. Und tatsächlich starteten die Hamburger mit dem Erfolg gegen den BVB eine Siegesserie, gewannen zunächst vier Spiele in Folge und wurden am Ende sogar noch sensationell Siebter.

Sieg über Werder

Ebenfalls entscheidend war der 28. Spieltag neun Jahre zuvor, als der stark abstiegsgefährdete HSV im Heimspiel gegen Werder Bremen unbedingt gewinnen musste. Doch erst ein Tor von Anthony Yeboah in der Nachspielzeit sorgte für den überlebenswichtigen 2:1-Erfolg, nach dem Trainer Frank Pagelsdorf hemmungslos in den Armen von Dirk „Horst Uwe“ Weetendorf weinte.

Held Weetendorf

Weetendorf konnte Pagelsdorf auch deswegen so gut verstehen, weil der Stürmer noch in der Saison zuvor selbst die Hauptrolle im Abstiegskampf übernommen hatte. Der Amateurstürmer durfte erstmals am 32. Spieltag in der Bundesliga spielen, als der HSV nach einem 0:4 gegen Köln auf den 15. Platz abrutschte. Aber bereits eine Woche später hatte Weetendorf seinen großen Auftritt. Beim 2:1-Sieg gegen den späteren Weltpokalsieger Borussia Dortmund erzielte „Horst Uwe“ beide Treffer. „Mit Weete hatte wirklich niemand gerechnet“, erinnert sich Andreas Fischer, der ebenfalls auf dem Platz dabei war. „Niemand kannte Weetendorf, und am Abend war er plötzlich ein Hamburger Held“, sagt Fischer, der jahrelang mit Weetendorf Kontakt gehalten hatte. Erst ein Missgeschick Fischers sorgte dafür, dass sich die beiden Kollegen von früher aus den Augen verloren: Der heute als Monteur arbeitende Fischer hatte auf einer Baustelle versehentlich sein Mobiltelefon einmauern lassen, woraufhin alle seine Kontakte verloren gegangen waren.

Emersons Jubel

Wirklich Kontakt hat auch kein Hamburger mehr mit Luiz Firmino Emerson, obwohl der Brasilianer einen gewichtigen Teil in der HSV-Historie einnimmt. Der Stürmer, der es gerade mal auf vier Einsätze für den HSV brachte, rettete im letzten Heimspiel der Saison 1991/92 mit seinem Tor des Tages gegen Hansa Rostock die Klasse. „Mit einem Tor von Emi hatten weder die Rostocker noch wir gerechnet“, sagt Carsten Kober, der beim damaligen Abstiegsendspiel ebenfalls auf dem Platz stand. Kurios: Beim Torjubel nach seinem einzigem HSV-Treffer zog sich der Südamerikaner einen Muskelfaserriss zu – es war seine letzte Aktion im HSV-Trikot.

Erlösung dank Furtok

Anders als Emerson war Kober, der 223-mal für den HSV in der Bundesliga auflief, auch schon zwei Jahre zuvor beim Abstiegsendspiel gegen Waldhof Mannheim am letzten Spieltag der Saison 1989/90 dabei. Die Ausgangssituation: Mit einer Niederlage hätte der HSV noch auf den Relegationsplatz abrutschen können. „Es war eine echt beschissene Situation“, sagt Kober, „bei jeder Ecke hatten wir Angst, dass wir ein Gegentor bekommen würden. Unser Glück war, dass der frühere HSVer Peter Lux alle Ecken der Mannheimer ausführte – und er trat natürlich alle hinter das Tor.“ Auf der anderen Seite machte es Stürmer Jan Furtok besser und traf zwei Minuten vor Schluss zum erlösenden 1:0-Sieg. Der damalige Schatzmeister Otto Rieckhoff und Präsident Horst Becker standen hinter dem Tor, fielen sich in die Arme und weinten. „Ich muss gestehen, dass ich mich an den Treffer nicht mehr wirklich erinnern kann. Was ich aber noch weiß: Ich wollte unbedingt in der Bundesliga bleiben, weil auch St. Pauli in der Liga war, und ich gerne zwei Spiele mehr in Hamburg machen wollte“, erinnert sich Jan Furtok im Gespräch mit dem Abendblatt. Auch Thomas von Heesen, der damalige Vorlagengeber zum 1:0, hat das Schicksalsspiel noch immer vor Augen: „Die Situation damals war nicht witzig. Als Jan das Tor machte, sind alle Dämme bei uns gebrochen. Der Druck war unbeschreiblich.“

Wende durch Volkert

Ähnlich knapp war es zuvor nur, als die Hamburger 1973 im Winter auf dem letzten Platz standen. Doch Neuzugang Horst Heese und Sturmpartner Georg Volkert sorgten mit zusammen 16 Toren doch noch für das Wunder. Entscheidend war ein 2:0-Heimsieg gegen Hannover 96, bei dem Volkert doppelt traf und mit dem der HSV doch noch seinen Kopf aus der Abstiegsschlinge ziehen konnte. Irgendwie ging also schon damals alles gut. Ohnehin ging irgendwie am Ende immer alles gut. Und irgendwie, da sind sich sämtliche HSV-Protagonisten von damals auch heute einig, wird auch diesmal alles wieder gut gehen. Nur wie?