Lasogga ist frühestens zur Relegation wieder fit. Der Bundesliga-Dino kämpft in dieser Saison mit großen Verletzungssorgen. Pech oder doch erklärbar?

Hamburg. Die Hiobsbotschaft sickerte am Dienstagabend durch: Torjäger Pierre-Michel Lasogga, 22, wird in den vier verbliebenen Bundesligaspielen des HSV keinesfalls mehr auflaufen. Frühestens in einer eventuellen Relegation (15. und 18. Mai) gegen den Zweitligadritten könnte die „Lebensversicherung des HSV“ (Uwe Seeler) wieder eingreifen. Sein Muskelfaserriss im Oberschenkel wird nicht früher ausheilen.

Schon zuvor beim Training gab es helle Aufregung: Wo ist Hakan Calhanoglu? Neben den zahlreichen verletzten Profis fehlte plötzlich auch der einzige Tor-Garant, den der HSV nun noch in seinen Reihen hat. „Ohne ihn brauchen wir gegen Wolfsburg gar nicht erst anzutreten“, war die einhellige Meinung unter den Zuschauern. Doch Trainer Mirko Slomka gab kurz darauf zumindest teilweise Entwarnung. Calhanoglu habe bloß Halsweh, könne mit der entsprechenden medikamentösen Behandlung schon am Mittwoch wieder mitmischen. „Im Abstiegskampf ist allerdings jede Trainingseinheit von Bedeutung, gerade nach der wenig erbaulichen 1:2-Niederlage gegen Hannover 96“, sagte Slomka.

Das überschaubare Grüppchen von fitten Spielern zeigte auch vollen Einsatz, bevor der nächste Nackenschlag kam: Ouasim Bouy musste den Platz kurz vor dem Ende mit bandagiertem Oberschenkel verlassen, eine Verhärtung, wie es aussieht. Auch sein Mitwirken gegen Wolfsburg am Sonnabend (18.30 Uhr) ist ungewiss – genau wie das von Heiko Westermann und Milan Badelj, bei denen Slomka immerhin „vorsichtig optimistisch“ ist. Rafael van der Vaarts Einsatz ist nahezu ausgeschlossen, der von Zhi Gin Lam und Lasogga komplett. Alle diese HSV-Profis eint, dass sie mit Muskelverletzungen zu kämpfen haben. Zufall und einfach nur Pech? Oder steckt mehr hinter dieser Misere?

„Zufall oder Pech gibt es nicht“, sagt Slomka deutlich. „Es hat sicherlich damit zu tun, dass wir im Abstiegskampf stecken. Nach Niederlagen klagen mehr Spieler über Verletzungen als nach Siegen. Wenn weniger Dopamin ausgeschüttet wird, kann sich das negativ auf den Körper übertragen.“ In eine ähnliche Kerbe schlägt Dr. Oliver Dierk, ehemaliger Mannschaftsarzt des HSV und aktueller der HSV-Handballer, „Muskuläre Probleme haben immer etwas mit der Ansteuerung zu tun. Im Abstiegskampf, wo es in jedem Spiel um so viel geht, werden auch die Zweikämpfe mitunter entschlossener geführt. Dadurch steigt natürlich die Gefahr, dass Verletzungen auftreten. Es gibt große Studien der Uefa, die besagen, dass Mannschaften an der Tabellenspitze und im Tabellenkeller überproportional viele Verletzte zu beklagen haben.“

Das klingt verständlich, ist derzeit in der Bundesliga aber nur bei den Spitzenteams auszumachen. Weder Braunschweig, Nürnberg, Stuttgart oder Freiburg haben oder hatten in letzter Zeit in besonderem Umfang mit Muskelverletzungen zu kämpfen. Dieses Problem trifft eher Dortmund und Schalke, die um die internationalen Wettbewerbe kämpfen und damit auch unter Anspannung stehen.

Ein anderes Problem ist natürlich die generelle Belastung. Zum Ende der Saison ist der Akku einfach leerer, insofern treten Blessuren häufiger auf als zu Beginn einer Serie. „Wir wissen aus einer Reihe von Untersuchungen, dass gewisse Verletzungen in bestimmten Saisonabschnitten zunehmen“, erklärt Dierk. „Ganz entscheidend dabei ist auch die individuelle Belastung, ob ein Verein seinen Spielern durch Rotation während der Saison Pausen verschafft hat oder nicht.“ Und diese Möglichkeit zur Rotation fehlte dem HSV in der Tat, zum einen auch durch den durch schwerwiegende Verletzungen wie die Kreuzbandrisse von Maximilian Beister und Slobodan Rajkovic nicht sonderlich großen Kader, zum anderen durch die nicht optimale Leistungsdichte.

Ein weiterer Grund könnte auch die deutliche Mehrbelastung sein, seit Slomka das Ruder führt. Seine Vorgänger Thorsten Fink und Bert van Marwijk trainierten weniger und oft auch nicht so intensiv. Doch diese Maßnahme erschien unumgänglich. Immer mehr Profis sagten in den vergangenen Wochen, dass die am Ende katastrophalen Leistungen unter van Marwijk auch durch mangelnde Fitness begünstigt waren. Dierk hält den härteren Slomka-Kurs ebenfalls für richtig: „Ich habe bei meinen Mannschaften eher die Erfahrung gemacht, dass es sich positiv auswirkt, wenn die Zügel in Krisensituationen noch mal angezogen werden.“

Und diese will Slomka auch nicht locker lassen. Denn die „schonungslose und nicht sehr angenehme“ Analyse zum Hannover-Spiel ergab unter anderem, dass der HSV zwölf Kilometer weniger gelaufen ist und nur die Hälfte der Sprints und schnellen Läufe im Vergleich zum Sieg über Leverkusen absolviert hatte. Die Gründe dafür kann auch der HSV-Coach nur schwer nachvollziehen. „Wir waren ja auch vor dem Hannover-Spiel sehr fokussiert, aber irgendetwas ist abgelaufen, was uns blockiert hat“, sagte Slomka. Ich werde im Laufe der Woche noch einige Einzelgespräche suchen.“ Obwohl die reine Bilanz sehr wohl dafür spricht, dass sich Slomkas Schützlinge zu schnell zufriedengeben: Denn zwei Siege in Folge gab es in dieser Saison noch nie.

In dieser Woche heißt es weiter zu hoffen, dass sich niemand mehr verletzt – sonst würde es schwierig, gegen den VfL überhaupt 18 gesunde Akteure zu berufen. Immerhin scheint Kerem Demirbay nach seinem Bänderriss so weit zu sein, wieder in den Profikader zu rutschen. Lasogga hält sich diese Woche noch bei einem Physiotherapeuten seines Vertrauens in Gelsenkirchen auf, fliegt dann erneut nach München zu Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der seine Verletzung bei der Nationalelf zuerst behandelte. Nur noch Relegation kann das Ziel sein – bis dahin ruhen die Hoffnungen allein auf Calhanoglu.