Verletzungen, Formtiefs und der Tod seines Vaters warfen den kroatischen Nationalspieler aus der Bahn. Jetzt hat sich der 27-Jährige zurückgekämpft, Aufgeben kam für den HSV-Profi nie infrage.

Hamburg. 85 Minuten lang hatte er alles gegeben. Sich völlig verausgabt und dafür gesorgt, dass fast alle sitzenden Zuschauer von ihren Plätzen in der Imtech-Arena aufstanden und in der Minute der Auswechslung nur ihm applaudierten. Und Ivo Ilicevic hatte sich diese Standing Ovations verdient. Beim 2:1-Sieg über den 1. FC Nürnberg am vergangenen Sonntag zeigte der Kroate in einem seiner besten Spiele für den HSV mal wieder, warum ihn die Hamburger vor knapp drei Jahren aus Kaiserslautern verpflichtet hatten. Wendig, trickreich, schwer vom Ball zu trennen und doch immer das Auge für den Mitspieler. „Ivo tut der Mannschaft mit seiner Art zu spielen unheimlich gut“, lobte ihn auch sein Trainer Mirko Slomka.

Und unter diesem scheint Ilicevic wieder aufzublühen. Er habe nach seiner Oberschenkelverletzung jetzt zwar gerade einmal zwei Partien am Stück absolvieren können, doch die Spielidee des neuen Übungsleiters sei wie auf ihn zugeschnitten. „Slomka fordert das schnelle Umschalten mit Gegenpressing, das macht es für offensive Fußballer wie mich viel einfacher. Zudem lebt er die Begeisterung vor, das überträgt sich nicht nur auf meine Person, sondern auf die gesamte Mannschaft“, sagt Ilicevic, der nach dieser kurzen Lobeshymne sofort wieder in einen zurückhaltenden Modus übergeht. Zwei Spiele bräuchte er noch, um auf sein Top-Niveau zu gelangen. Zudem müsse er effektiver werden, selbst Tore schießen oder zumindest vorbereiten. Und vor allem: sich nicht wieder verletzen.

Denn die Krankenakte liest sich für einen 27-Jährigen abenteuerlich. In der Zeit beim HSV konnte Ilicevic gerade einmal 38 Partien absolvieren, die wenigsten davon über 90 Minuten.

Immer wieder hatte der gebürtige Aschaffenburger mit Muskelverletzungen zu kämpfen. Oberschenkel, Wade, Bauch, auch schon in den Anfangsjahren seiner Karriere. Vier Millionen Euro hatte der damalige Sportchef Frank Arnesen für den Nationalspieler zahlen müssen, heute ist sein Marktwert gemäß transfermarkt.de auf 1,5 Millionen Euro gesunken. Ilicevic selbst war der Verzweiflung nahe, weil ihm niemand sagen konnte, woher seine Anfälligkeit stammt. Obwohl er für die Europameisterschaft 2012 in Polen und in der Ukraine nominiert war, musste der Techniker kurz vor Beginn des Turniers wegen einer im Training erlittenen Wadenverletzung abreisen. „Das war mit Sicherheit eine der schwersten Phasen meiner Karriere“, sagt er im Rückblick. Sogar seine Zähne wurden untersucht, die Ernährung auf den Prüfstand gestellt, gefunden wurde nichts. Mittlerweile ist sich Ilicevic aber sicher, dass sein Rücken die wiederkehrenden Probleme verursacht hat. „Seit einem halben Jahr gehe ich regelmäßig zu einem Physiotherapeuten in München, der mich wieder einrenkt. Seitdem ist es deutlich besser geworden.“

Sollte Ilicevic seinen Körper tatsächlich dauerhaft in den Griff bekommen, wird er dem HSV noch viel Freude bereiten – das meint zumindest einer, der es beurteilen kann. Trainer Marco Kurz holte den Billard-Fan 2009 zum 1. FC Kaiserslautern, stieg mit und dank ihm in die Bundesliga auf, wo er im Jahr darauf ebenfalls für Furore sorgte. „In der heutigen Zeit, wo das Feld eng ist und den Akteuren kaum noch Zeit bleibt, werden Spielertypen wie Ilicevic immer wichtiger. Beidfüßig, stark im Eins gegen Eins, technisch beschlagen – Ivo hat alle Möglichkeiten“, sagt Kurz.

Seine Qualitäten rief er vor allem auf seiner Lieblingsposition im linken offensiven Mittelfeld ab, wo Ilicevic einst den wohl besten Außenverteidiger der Welt, Philipp Lahm, schwindelig spielte. Das blieb der Chefetage der Bayern nicht verborgen, und prompt gaben sie ein Angebot für den Lauterer ab. Doch der FCK verwehrte ihm damals den Wechsel vor Vertragsablauf. Eine große Enttäuschung für den 1,74 Meter großen Wirbelwind, der in der Pfalz fortan nicht mehr richtig glücklich wurde. Kurz versprach ihm jedoch, bei dem nächsten Angebot eines „großen Clubs“ gehen zu dürfen – und das war dann der HSV. Der absolute Durchbruch blieb ihm in Hamburg zwar bisher verwehrt, doch bereut hat Ilicevic den Wechsel nie. „Ich hatte einfach viel Pech mit meinem Körper.“

Doch der größte Schicksalsschlag in Ilicevics Leben hatte nichts mit seinem Körper zu tun. Sein Vater Jozo starb vor rund drei Monaten unerwartet im Alter von 57 Jahren. Der Tod seiner engsten Bezugsperson warf ihn für Wochen aus der Bahn.

In der siebenköpfigen Familie herrschte noch die klassische Rollenverteilung: Seine zwei Schwestern halfen der Mutter, während Ivo mit seinen Brüdern und dem Vater den Bällen hinterherjagte. Ilicevic ist weiter dabei, den Verlust zu verarbeiten, erstmals sprach er am Mittwoch öffentlich darüber: „Es war das Schlimmste, was mir jemals passiert ist. Ich habe mein Leben lang immer auch für meinen Vater gespielt, denn für ihn gab es nichts Schöneres, als mich auf dem Platz zu sehen.“

Unter seinem Trikot trägt Ilicevic bei Spielen jetzt immer ein T-Shirt mit dem Konterfei des Seniors. „Das gibt mir Kraft, ihn bei mir zu wissen.“ Auch seinem früheren Trainer Kurz war schon aufgefallen, wie groß der Zusammenhalt in der Familie ist. Bruder Jakov hatte Ivo im Alter von sechs Jahren erstmals zum Fußball mitgenommen, insgesamt hat er vier Geschwister. „Die Ilicevics waren immer mit einer großen Gruppe bei den Spielen, für Ivo war dieser Rückhalt essenziell“, erinnert sich der Coach.

Anstoß - der Abendblatt-Newsletter zum HSV

Melden Sie sich jetzt für den kostenlosen wöchentlichen Newsletter zum Spieltag an

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Auf dem Platz versucht Ilicevic den Schicksalsschlag auszublenden. Er wirkte zuletzt sogar noch griffiger und einsatzfreudiger als in seinen ersten Jahren. Immerhin steht im Sommer die WM in Brasilien an, für die sich der achtmalige Internationale nachhaltig empfehlen will. „Beim Eröffnungsspiel mit Kroatien gegen den Gastgeber auf dem Platz zu stehen wäre natürlich ein Traum“, sagt Ilicevic. Momentan kreisen seine Gedanken aber nur um das nächste Spiel in Stuttgart am Sonnabend (das Abendblatt berichtet im Liveticker, 15.30 Uhr). „Da zu gewinnen ist sicherlich schwer, aber der Sieg gegen Nürnberg hat uns beflügelt.“

Ivo Ilicevic ist gegen den VfB auf seiner Lieblingsposition gesetzt. Es wäre bereits sein drittes Spiel in Folge von Beginn an. „Das kam in der Vergangenheit beim HSV ja nicht so oft vor“, sinniert er selbstkritisch. Doch sollte der Straßenfußballer körperlich und mental stabil bleiben, ist er aus der derzeitigen Stammformation der Hamburger nicht wegzudenken.