Wer rettet den Bundesliga-Dino? Im Abstiegskampf fehlen dem Traditionsclub auf allen Ebenen die Leitfiguren

Am Ende einer katastrophalen Vorstellung blieben nur noch die bekannten Durchhalteparolen. „Alle zusammenhalten und das nächste Spiel gewinnen“, verlangte Trainer Bert van Marwijk. Spielmacher Rafael van der Vaart geißelte sich und sein Team („Wir spielen katastrophal“), während Sportchef Oliver Kreuzer ankündigte, dass man jetzt nicht ans Aufgeben denke – angesichts von noch 15 ausstehenden Spielen keine wirklich überraschende Erkenntnis.

Spätestens nach dem 0:3 in Hoffenheim, der fünften Niederlage des HSV in der Bundesliga in Folge, vermag das Krisengebell keinen Anhänger des Traditionsvereins mehr beruhigen. Für sie geht es nur noch um die eine Frage: Wer rettet den HSV vor dem ersten Abstieg?

Die Suche nach Antworten legt den Blick frei auf die Ursachen des HSV-Niedergangs. Als Retter ist allen voran Bert van Marwijk gefragt, genau dafür wurde er im September nach einem völlig verkorksten Saisonstart verpflichtet. Aber taugt er wirklich für diese Aufgabe? Seine Bilanz (drei Siege, drei Unentschieden und sieben Niederlagen) ist verheerend. Dass der Holländer dann auch noch vergangene Woche auf den Gedanken kommt, in seine Heimat zu fahren, statt sich voll und ganz auf seine Arbeit in Hamburg zu konzentrieren, lässt die Zweifel weiter wachsen. Und sie werden nicht geringer, weil van Marwijk jetzt unter öffentlichem Druck plötzlich den trainingsfreien Tag streicht.

Schon bei seinem Engagement in Dortmund wurde van Marwijk 2006 vorgeworfen, dass er zu wenig trainiere und zu oft in der Heimat sei. Die Spieler spotteten damals über die „Holland-Rallye“, bei jeder Gelegenheit brause der Trainer nach Hause.

Dabei bräuchte gerade diese HSV-Mannschaft einen Coach, der für seinen Job lebt, der begeistern kann – und nicht schon zu Beginn seiner Tätigkeit erklärt, er werde wie ein Durchreisender im Hotel wohnen. Denn auch im Team gibt es keinen von allen akzeptierten Leitwolf. Die erfahrenen Kräfte, allen voran Kapitän van der Vaart, waten knietief durch ihr eigenes Formtief. Wie sollen sie die vielen jungen Spieler im Team in der Krise führen?

Wie wichtig genau dies wäre, zeigt eine Aussage von Hakan Calhanoglu, der einem Schüler-Reporter des Abendblatts jüngst einen ebenso ehrlichen wie entlarvenden Einblick in das Tagwerk eines HSV-Profis gewährte. Da nur nachmittags Training sei, schlafe er meist „bis 10 oder 11 Uhr aus, um dann mit Mannschaftskollegen frühstücken zu gehen.“ Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um populistische Forderungen nach Straftraining. Aber gerade ein großes Talent wie Calhanoglu müsste mit seinen 19 Jahren doch mehr gefordert und damit gefördert werden als ein Feierabend-Fußballer.

Auch an der Spitze ist das Leitfiguren-Vakuum unverkennbar. Der ohne Frage hoch engagierte Sportchef Kreuzer steht intern nach offensichtlichen Fehleinkäufen unter Druck. Zudem schießt Stürmer Artjoms Rudnevs, verliehen für bescheidene 300.000 Euro, gerade den Konkurrenten Hannover 96 aus der Abstiegszone, während der HSV nach dem Kreuzbandriss von Maximilian Beister ein eklatantes Personalproblem in der Offensive beklagt. Und Kreuzers Vorstandskollegen Carl Jarchow, Joachim Hilke und Oliver Scheel reiben sich auf in den internen Grabenkämpfen um die neue HSV-Struktur

„HSVPlus“, einen Konflikt, der auch den ohnehin zerstrittenen Aufsichtsrat weiter spaltet. Etwas Hoffnung macht immerhin, dass der Posten des HSV-Aufsichtsratsvorsitzenden mit Hafen-Chef Jens Meier inzwischen respektabel besetzt ist. Das sportliche Problem des HSV wird indes auch er nicht lösen können.

Der Autor ist Sportchef des Hamburger Abendblatts