Die Lage ist dramatisch. Hakan Calhanoglu und anderen Stars ist jetzt klar, was dem HSV nach dem 0:3 gegen Schalke blüht. Der Bundesliga-Dino verliert auch zwei verletzte Spieler und die Gunst der Fans.

Hamburg. Viele HSV-Fans waren es nicht mehr, die fünf Minuten vor Schluss die lautstarken Schmähgesänge der freudentrunkenen Schalker zu ertragen hatten. „Zweite Liga, Hamburg ist dabei, Zweite Liga, Hamburg ist dabei“, sangen die Gelsenkirchener im gut gefüllten Gästeblock auf der Südtribüne, während ein Großteil der restlichen Imtech-Arena, ursprünglich von 49.457 Zuschauern besucht, schon seit der 60. Minute verwaist war. „Ich finde, dass unser Publikum eigentlich noch viel zu nett ist. Ich wäre auch früher nach Hause gegangen“, gab HSV-Trainer Bert van Marwijk wenig später ehrlich zu, als die Niederlage gegen Schalke 04 zum Rückrundenauftakt längst amtlich war. 0:3, zwei verletzte Spieler und die Gunst der Zuschauer verloren – der Auftakt ins neue Jahr hätte aus Hamburger Sicht nicht schlimmer ausfallen können.

„Es ist erschreckend, wie wir aufgetreten sind. Mit so einem Spiel habe ich wirklich nicht gerechnet“, sagte Heiko Westermann, der die Tabellensituation folgerichtig als „sehr brenzlig“ einordnete. Tatsächlich befindet sich der HSV nach der vierten Niederlage in Folge im freien Fall, stürzte vor dem Auswärtsspiel gegen 1899 Hoffenheim auf Relegationsrang 16 ab und hat nun sogar nur noch zwei Punkte Vorsprung auf einen direkten Abstiegsrang. „Der HSV ist wohl der größte Verlierer des Rückrunden-Auftaktes. Man muss sich Sorgen machen“, bilanzierte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach bei Sky, „nach der Mitgliederversammlung letzten Sonntag war Aufbruchsstimmung spürbar. Jetzt ist die Realität wieder da.“

HSVMinus also statt HSVPlus. Zwar wies der von van Marwijk nach dem Spiel studierte Statistikbogen ein leichtes Plus an Ballbesitz (52 Prozent), gewonnenen Zweikämpfen (52 Prozent) und Passgenauigkeit (81 zu 78 Prozent) aus. Doch der Niederländer machte sich keine Illusionen über die wahre Minusleistung seiner Mannschaft, die kaum durch Daten und Fakten zu belegen war. „Man muss auf dem Platz zeigen, dass wir gegen den Abstieg kämpfen“, monierte der Fußballlehrer, „da gehört einfach mehr Rücksichtslosigkeit und Aggressivität dazu.“

Exemplarisch dürften da sämtliche der drei Gegentore angeführt werden. So ließ der völlig indisponierte Linksverteidiger Marcell Jansen, der im Sommer für die festgeschriebene Ablöse von fünf Millionen Euro zu Bayer Leverkusen wechseln soll, beim ersten Gegentor durch „HSV-Schreck“ Klaas-Jan Huntelaar Gegenspieler Jefferson Farfan seelenruhig flanken (34.) – es war bereits Huntelaars zehnter Treffer gegen den HSV im siebten Duell. Beim zweiten Gegentor ließ der Nationalspieler erneut Farfan enteilen (54.), und den dritten Gegentreffer durch Max Meyer (56.) bereitete Jansen indirekt durch einen Fehlpass vor. „Früher hätte ich meine Schwiegermutter umgebracht, um ein Gegentor zu verhindern. Heute laden wir die Gegner zu den Toren ein“, schimpfte Sportchef Oliver Kreuzer, den besonders Jansens Fehler vor dem 0:2, bei dem dann auch Torhüter Jaroslav Drobny schlecht aussah, auf die Palme brachte: „Ich kann doch nicht hoffen, dass der Torhüter 35 Meter aus seinem Tor läuft. Da haue ich doch lieber den Ball rechtzeitig weg.“

Schalker waren einfach heißer

Eine Beobachtung am Rande: Während alle Hamburger bei minus acht Grad in langen Trikots und überwiegend in Handschuhen aufliefen, verzichtete Schalkes Leitwolf Kevin-Prince Boateng auf zusätzliche Textilien, signalisierte: Ich brauche keine Strumpfhose, ich bin auch so heiß.

Lange Ärmel hin, kurze Ärmel her: Verschärfend zur Ergebniskrise kommt beim HSV noch hinzu, dass auch das Verletzungspech treu bleibt. So musste Torjäger Pierre-Michel Lasogga bereits nach 24 Minuten mit dem Verdacht auf Oberschenkelzerrung ausgewechselt werden (siehe unten), ganze sieben Minuten später folgte dann auch noch Zhi Gin Lam. Der Aushilfs-Rechtsverteidiger, der den doch eigentlich noch nicht zu 100 Prozent genesenen Dennis Diekmeier ersetzen sollte, verletzte sich bei einem Zweikampf mit Gegenspieler Christian Fuchs offenbar schwer am Sprunggelenk. Eine genaue Diagnose der Fußverletzung soll allerdings erst nach einer Kernspinuntersuchung im Laufe des Montags folgen. So oder so dürfte sich das Duo in den kommenden Wochen zu den Langzeitverletzten René Adler (Bänderriss), Johan Djourou (Muskelfaserriss) und Maximilian Beister (Kreuzbandriss) gesellen.

Und wirkliche Hoffnung auf Besserung ist auch außerhalb des Lazaretts nicht in Sicht. „Wir müssen jetzt die Arschbacken zusammenkneifen und nicht den Schwanz einziehen“, drückte es Westermann auf die eher derbe Art und Weise aus. Wenn man so weiterspiele, so der Innenverteidiger, werde man keine Partie mehr gewinnen: „Dieses Spiel muss uns zu denken geben.“

Dabei hatte Trainer van Marwijk noch drei Tage vor dem Rückrundenauftakt betont, dass die gesamte Vorbereitung lediglich auf dieses eine Spiel gegen Schalke abgestimmt war. Ein Vorhaben, da konnte auch der 61-Jährige nicht mehr widersprechen, das gründlich schiefgelaufen war. „Es muss sich einiges in den Köpfen ändern. Es geht nicht von alleine.“ Der HSV, das hatte van Marwijk bereits nach der 2:3-Niederlage gegen Mainz zum Ende der Hinrunde betont, habe nach dem längst aufgegebenen sechsten Platz nur noch eine einzige Zielsetzung in dieser Saison: den Klassenerhalt. „Die Lage ist dramatisch“, sagte auch Mittelfeldmann Hakan Calhanoglu, und wiederholte noch mal betont langsam: „D r a m a t i s c h!“

Die Statistik

Hamburg: 1 Drobny - 17 Lam (ab 31. Diekmeier), 28 Tah, 4 Westermann, 7 Jansen - 14 Badelj, 18 Arslan - 11 Ilicevic (ab 65. Zoua), 23 van der Vaart, 9 Calhanoglu - 20 Lasogga (ab 24. John). - Trainer: van Marwijk

Schalke: 1 Fährmann - 22 Uchida (ab 81. Hoogland), 5 Felipe Santana, 32 Matip, 6 Kolasinac - 9 Kevin-Prince Boateng, 33 Neustädter - 17 Farfan, 7 Meyer, 23 Christian Fuchs (ab 75. Goretzka) - 25 Huntelaar (ab 73. Szalai). - Trainer: Keller

Schiedsrichter: Peter Sippel (München)

Zuschauer: 50.000

Tore: 0:1 Huntelaar (34.), 0:2 Farfan (53.), 0:3 Meyer (56.)