Der HSV ist bei seiner Mitgliederversammlung knapp an einer Spaltung vorbeigeschrammt. Die Strukturreform ist alternativlos

Viele hatten eine Spaltung des Vereins befürchtet. Es waren sogar schon Austrittspartys vorbereitet. Doch die konnten wieder abgesagt werden. Der HSV hat sich spät, vielleicht aber noch nicht zu spät, doch für neue Strukturen entschieden. 79,4 Prozent der anwesenden HSV-Mitglieder sorgten am vergangenen Sonntag für klare Verhältnisse, es gab „einen Sieg der Vernunft“, wie Fußballexperten und Fans übereinstimmend befanden.

Allerdings ist noch nicht einmal die Hälfte des beschwerlichen Weges zurückgelegt worden, den das Modell HSVPlus um Initiator Ernst-Otto Rieckhoff den Mitgliedern vorgegeben hat. Es wird noch bis zum Sommer dauern, bis es wirklich einen „runderneuerten HSV“ geben könnte. Die Befürworter des Rieckhoff-Plans müssen sich trotz des deutlichen Erfolgs darüber klar sein, dass sie nun mindestens so viel Kampfgeist benötigen wie in den zurückliegenden Monaten. Ausruhen ist nicht angesagt.

Denn eines steht fest: Die radikale Opposition, die „anderen 20 Prozent“, werden jetzt ebenfalls ihre Kräfte mobilisieren, um die neuen Strukturen doch noch zu verhindern. Ihr Motto: „Demokratie hin, Demokratie her, klare Mehrheit dort, deutliche Minderheit bei uns – der Club muss in unseren Händen bleiben. Wir reden mit!“

Wohin diese Mitbestimmung geführt hat, ist an den Ergebnissen der letzten Bundesliga-Spielzeiten deutlich zu erkennen. Wer hat denn „mitbestimmt“, als es galt, den steilen Absturz des HSV zu verhindern? Und wer hat dafür gesorgt, dass ein „Striptease-Künstler“ und andere „Experten“ statt echter Fußball-Fachleute in den Aufsichtsrat gewählt wurden? Bei so mancher Wahl wurde gejohlt, geklatscht und gefeiert, fast alle waren aus dem Häuschen. Karneval statt Profifußball. Die Konkurrenz des HSV dürfte sich angesichts der Hamburger Mitbestimmung ganz kräftig ins Fäustchen gelacht haben.

Darüber sollten jetzt vielleicht auch jene HSV-Mitglieder nachdenken, die ihre Basisdemokratie aus Trotz weiterhin pflegen wollen. Noch ist es nicht zu spät umzudenken. Zum Profifußball gehört Geld, und genau an diesem Punkt hapert es beim HSV. Die Aussichten, dass es eines Tages wieder eine prall gefüllte Vereinskasse geben wird, sind ebenfalls gleich null. Woher soll das Geld kommen? Die Gegner jeder Veränderung formulierten es am vergangenen Sonntag so: „Selbst 50 oder 100 Millionen von einem Investor würden uns nicht helfen, weil Bayern, Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim ja viel mehr haben...“ Eine wunderbare Erkenntnis. Noch klügere Reformgegner schlugen Einsparungen innerhalb des Vereins vor. Wie will man mit Sparmaßnahmen hier und Kürzungen dort auf eine dreistellige Millionensumme kommen? Denn 50 oder 100 Millionen sind ja angeblich nicht ausreichend...

Schon mehr als 25 Jahre lang hat der mitgliederbestimmte HSV keinen Titel mehr gewonnen. Wäre es da nicht an der Zeit, endlich einmal jene Experten ans Ruder zu lassen, die schon seit geraumer Zeit meinen, es besser zu können? Zumal sich diese Experten tatsächlich mit dem Profifußball bestens auskennen, es ist – oder war – ihr täglich Brot. Und viele davon wurden einst tatsächlich nur dafür enthusiastisch bejubelt, dass sie den HSV zu so manchem Titel geschossen haben. Wenn das wenigstens einige Gegner der Strukturveränderungen einmal überdenken würden, dann kämen sie vielleicht sogar zu dem Schluss: „Stimmt, nun lass mal die Experten machen, es sind doch letztlich unsere großen Idole.“

Und sollte sich eine solche Grundhaltung dann eventuell sogar unter den Mitgliedern ausbreiten, könnte von einer Spaltung des HSV keine Rede mehr sein. Zweitens könnte dann endlich wieder das gelten, was in jedem normalen Fußballverein der Welt Standard ist: „Gemeinsam sind wir stark.“ Miteinander statt gegeneinander.

Denn die Gegner stehen von diesem Wochenende an wieder auf dem Rasen. Am Sonntag geht es gegen Schalke 04, und wie schön wäre es doch, wenn der knapp an einer Spaltung vorbeigeschrammte HSV gemeinsam gegen die Gelsenkirchener kämpfen würde, um schnell aus dem Abstiegssumpf herauszukommen. Das müsste spätestens jetzt eine Überlegung wert sein.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab

Dieter Matz, Abendblatt-HSV-Experte und Blog-Vater („Matz ab“), mit seiner aktuellen Freitags-Analyse