Vor der Mitgliederversammlung am Sonntag müssen die handelnden Personen nicht an ihr Ego, sondern an die Raute denken

„Es liegt nicht an den Strukturen, es liegt an den handelnden Personen.“ Wenn Jürgen Hunke, der ehemalige HSV-Präsident und Aufsichtsrat, in diesen Tagen befragt wird, dann verweist er gerne – und mit Recht – auf das vielleicht größte Problem des HSV. Der Club leidet seit Jahrzehnten unter einer unglaublichen Ahnungslosigkeit seiner Führungskräfte – von einigen Ausnahmen abgesehen. Alles das, was die Hamburger in den zurückliegenden Jahrzehnten auf dem personellen Sektor auf die Beine gestellt haben, ist irgendwie danebengegangen. Manches ging sogar dramatisch schief.

Neue Leute braucht der HSV, nur das kann das Motto der richtungsweisenden Mitgliederversammlung an diesem Sonntag sein. Der Traditionsverein muss an diesem Wochenende die Weichen für eine bessere Zukunft stellen, damit er auch künftig seine Rolle als „Bundesliga-Dino“ spielen kann und vielleicht auch einmal wieder auf internationaler Bühne. Denn sonst droht Hamburg auf Jahre oder Jahrzehnte zur Fußballrovinz zu werden.

Die handelnden Personen haben es trotz allen Engagements nicht geschafft, den seit Jahren trudelnden HSV zu stabilisieren. Was immer mancher in diesem Verein auch angestellt hat, eine Führungsposition zu erklimmen, letztlich dienten diese Anstrengungen nicht der Raute, sondern nur dem eigenen Ego. Damit muss jetzt Schluss sein.

„Man muss nicht an der Außenlinie auf und ab gelaufen sein, und dann eine halbhohe Flanke zur Mitte geschlagen haben, um in den Aufsichtsrat zu kommen.“ Das hat der Vorsitzende des Kontrollgremiums oft und immer sehr nett formuliert. Besser aber wäre es schon, wenn man in verantwortlicher Position nicht nur den Spielfeldrand kennen würde, sondern auch wirklich hohe (!) Flanken à la Gert „Charly“ Dörfel oder Manfred Kaltz zur Mitte schlagen könnte. Dann nämlich wären fatale Fehler fußballerischer Natur in diesem HSV vermieden worden.

Es müssen endlich Experten in diese Vereinsführung, die fußballerischen Sachverstand haben, die auch in wirtschaftlichen Aspekten Durchblick beweisen, und die ihre Arbeit und ihren Einsatz ausschließlich in Dienst des HSV stellen wollen. Darauf warten die meisten Mitglieder seit Jahrzehnten. Warum wohl lechzen so viele danach?

Nur ein Beispiel: Der ehemalige Sportchef Frank Arnesen hat es im Juli 2011 geschafft, dem Spieler Robert Tesche, heute 26, einen neuen Dreijahresvertrag unterschreiben zu lassen. Und alle im HSV haben diesem sinnlosen Deal zugestimmt oder, hart gesagt, abgenickt. Und das, obwohl Tesche, der im Juli 2009 von Arminia Bielefeld nach Hamburg gekommen war, bis zu diesem Zeitpunkt nur Ersatzmann und Mitläufer beim HSV war. Und es auch blieb. Ein Verkauf war bislang unmöglich, das verhindert auch ein zu fürstliches Gehalt. Da wollte bislang kein anderer Club genauso dumm sein, wie es der HSV gleich zweimal war: Erst bei der Verpflichtung, dann noch einmal bei der total überflüssigen Vertragsverlängerung.

Die Gremien des HSV haben gleich zweimal zugestimmt. Ahnungslos. Was jedoch wäre wohl gewesen, wenn seinerzeit Leute wie Horst Hrubesch, Thomas von Heesen, Ditmar Jakobs, Holger Hieronymus, Willi Schulz, Peter Nogly und auch zum Beispiel Felix Magath im Aufsichtsrat gesessen hätten? Diese Männer, die auch jetzt wieder in der Verlosung für Posten sind, hätten Frank Arnesen entweder geschlossen für unfähig, für total durchgeknallt oder für entlassen erklärt. Eine solche Vertragsverlängerung, und es ist ja nur ein Beispiel, hätte es mit echten Experten niemals gegeben.

Und genau vor diesem Dilemma steht der HSV auch heute noch. Deshalb muss der marode Club jetzt umgekrempelt werden, damit es in einem halben Jahr kein böses Erwachen in der Zweiten Liga gibt. Dieser HSV, so sagen es Gegner jeder Veränderung, soll ja in Europa um seine Strukturen beneidet werden. Mir ist allerdings noch nie jemand mit dieser kühnen Meinung über den Weg gelaufen.

Übrigens hat Aufsichtsrat Jürgen Hunke in den Tagen vor der Mitgliederversammlung noch einen sehr klugen Satz formuliert: „Wir alle sind es dem HSV schuldig, am Sonntag eine gute Entscheidung zu treffen.“

Besser kann man es nicht sagen.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab