Trainer Thorsten Fink setzt auf fußballerische Qualität statt auf brachiale Torjäger – und damit seinen Top-Torjäger Artjoms Rudnevs auf die Bank.

Hamburg. Die Nacht war lang. Oder auch kurz, je nach Sichtweise. „Bis zwei Uhr war ich da“, sagt HSV-Trainer Thorsten Fink. Dabei wollte er am Montagabend eigentlich schon um 23 Uhr die „Sport Bild“-Awards verlassen. „Ich war schon auf dem Weg nach draußen, hatte aber keine Chance. Ständig kamen alte Weggefährten, Bekannte, Freunde und wollten mit mir sprechen.“ Auch über die ungewöhnliche Taktik seiner Mannschaft beim Bundesliga-Auftakt gegen den FC Schalke 04. Vier rotierende Angreifer, „das hat einige überrascht“, freut sich Fink, dessen Griff in die Trickkiste mit einem überraschend starken Auftritt seiner Mannschaft und einem Punkt in Gelsenkirchen belohnt wurde.

4-2-4 heißt das aktuelle HSV-Spielsystem. Ein System, das sich Fink auch für die Zukunft vorstellen kann. Aus der Not macht Fink eine Tugend, weil der HSV zu wenig Stürmer hat. „Nein“, widerspricht der Trainer, „ich hätte ja auch Jacques Zoua vorn reinstellen können. Aber ich bin volles Risiko gegangen, auch auf die Gefahr hin, anschließend mächtig Prügel zu kassieren. Deshalb sage ich jetzt auch gern: Das war kein Glück. Eher Unglück vom Ergebnis her. Denn es war schon ein gewollter, taktischer Schachzug, der aufgegangen ist.“

Drei Tore erzielt, dazu noch auswärts. „Fünf wären drin gewesen“, behauptet Fink, der trotz ebenfalls drei Gegentoren mit seiner Defensive zufrieden war. Wie mit dem gesamten Spiel seiner Mannschaft. „Wir sind jetzt deutlich flexibler in der Offensive, haben mit Rafael van der Vaart und Hakan Calhanoglu zwei Zehner hinter der jeweiligen Spitze – das ist schwierig zu verteidigen. Gerade die beiden kommen so sehr gut ins Spiel. Unser Spiel wird weiter an Torgefahr gewinnen.“

Verloren haben durch den Systemwechsel vorerst Petr Jiracek, Dennis Aogo und natürlich Artjoms Rudnevs. Besonders der in der vergangenen Saison zusammen mit dem nach Leverkusen gewechselten Heung Min Son mit jeweils zwölf Treffern erfolgreichste HSV-Torschütze Rudnevs könnte häufiger auf der Bank sitzen als er hofft. Denn Fink setzt künftig weniger auf die brachiale, kampfstarke Art im Angriff. Stattdessen folgt er dem internationalen Trend, ohne richtige Sturmkante zu agieren. Technik schlägt Kraft. „So kann man das sehen“, sagt er. „Ich brauche im neuen System ball- und kombinationssicher Spieler.“ Wozu Rudnevs nicht zu zählen ist. Der Lette besticht allein durch Tore. „Er wird seine Chance bekommen und muss sie nutzen.“

Wie es Maximilian Beister in Gelsenkirchen gelang. Der 22-Jährige krönte ein starkes Spiel mit seinem Treffer zum zwischenzeitlichen 2:1. Das Comeback nach einer verkorksten Saison. Sein Trainer sieht das anders: „Verkorkst?“, fragt Fink. „Maxi hatte vor der Winterpause gute Spiele und verletzte sich dann. Son und Artjoms haben getroffen, da wollte ich nicht wechseln und Maxi ist leider etwas nervös geworden und hat sich nach seiner Einwechslung mit der Roten Karte selbst ins Abseits geschossen. Jetzt ist er wieder da.“

Jeder Profi kann sich mit guten Leistungen zurück ins Blickfeld spielen. Man könne aber nicht jeden zufriedenstellen, sagt Fink. „Wir sind ein Team. Wir brauchen alle.“ Dazu zählt auch ein neuer Stürmer. Den sucht HSV-Sportchef Oliver Kreuzer seit längerem. Fink sagt dazu: „Wir holen nur noch einen Spieler, wenn er wirklich besser ist als das, was wir haben. Ansonsten machen wir weiter so.“ Auch wenn das weitere schlaflose Nächte bedeutet.