Nach dem enttäuschenden 1:1 gegen den VfL Wolfsburg schwinden die Hoffnungen des HSV auf das internationale Geschäft. Fink: „Wir sind noch nicht reif.“

Hamburg. Für einen Bundesligatrainer ist es nicht immer einfach, jedes Wochenende etwas Neues zu erzählen. Dass er mit der kämpferischen Einstellung seiner Mannschaft zufrieden sei, nicht aber mit den spielerischen Darbietungen, hatte Thorsten Fink schon häufig in dieser Saison erklärt und unermüdlich versucht, noch das Positive hervorzuheben. Nach dem 1:1 gegen Wolfsburg musste der HSV-Trainer seine Standardsätze erneut bemühen.

Was die 50.135 Zuschauer in der Imtech-Arena zu sehen bekommen hatten, war allenfalls biedere, mittelmäßige Fußballware, die nichts, aber auch gar nichts mit europäischem Niveau zu tun hatte. Folgerichtig werden mit großer Wahrscheinlichkeit weder die Wolfsburger noch die Hamburger in der nächsten Saison in der Europa League vertreten sein, auch wenn Fink trotzig formulierte: "Wir wollen unsere Chance in Hoffenheim suchen. Und Freiburg soll bloß nicht daran denken, dass sie die erste Mannschaft sein könnte, die in Fürth verlieren...." Doch nachdem Freiburg 2:0 gegen Augsburg gewann, beträgt der Rückstand drei Punkte, inklusive der schlechteren Tordifferenz.

Zur Verteidigung der HSV-Darbietungen ist zu erwähnen, dass Fink in den Tagen vor dem Spiel eine Hiobsbotschaft nach der anderen erreichte. Dass René Adler (Gelbsperre) Michael Mancienne (Hüfte) fehlen, war bereits am Freitag klar. Am Sonnabend meldeten sich noch Marcell Jansen (Magen-Darm-Infekt) und Dennis Aogo (Sprunggelenk) ab. Schlimm erwischte es Tolgay Arslan, der sich bei einem Trainingssturz das Kreuzband zerrte.

So brachte Fink gleich sieben neue Kräfte im Vergleich zum 1:4 in Gelsenkirchen: Vor Torwart Jaroslav Drobny verteidigten Slobodan Rajkovic, Zhi Gin Lam sowie Dennis Diekmeier (nach Gelbsperre zurück), im defensiven Mittelfeld kam Tomas Rincon neben Milan Badelj zum Einsatz, vorne durfte Artjoms Rudnevs wieder ran.

Die vielen Umstellungen wirkten sich negativ aus. Zwar prüfte Rafael van der Vaart per Direktabnahme Wolfsburgs Torwart Diego Benaglio (4.), ansonsten zeigte sich der HSV extrem offensivschwach. Das Prinzip Zufall regierte, nichts zu sehen von einer Spielidee oder gepflegtem Aufbauspiel. Lange Bälle von Slobodan Rajkovic in die Spitze waren das einzig erkennbare taktische Mittel des HSV. Da sich auch die Wolfsburger dem schwachen Niveau anpassten (Trainer Dieter Hecking: "Das war Note fünf von uns"), entwickelte sich eine äußerst mäßige Partie. Peinlich, wie sich Heung Min Son im Strafraum fallen ließ, um einen Elfmeter zu schinden (20.).

In der Offensive harmlos, in der Defensive wackelig, so präsentierte sich der HSV. Als sich die Niedersachen langsam nach vorne orientierten, wurde es sofort gefährlich durch Vierinha (24.), Diego (26.) und vor allem Ivica Olic, der in der 31. Minute nach einem dicken Schnitzer von Heiko Westermann mit dem Rücken zum HSV-Tor stand, den Ball mit seinem Drehschuss aber Drobny direkt in die Arme schoss.

Von Europacup-Stimmung war in der HSV-Arena längst nichts mehr zu spüren, auch wenn die Nordtribüne unverdrossen ihre Gesänge anstimmte. Doch als alle Zuschauer schon auf die Pause warteten, passierte das Unerwartete, das völlig Überraschende: der HSV erzielte das erste Tor! Nach einem Freistoß von van der Vaart köpfte Westermann vom Elfmeterpunkt ein (45.). Eine mehr als glückliche Führung.

Die Statistik sprach nun eindeutig für die Hamburger: In dieser Saison hatten sie als einziges Bundesligateam zuhause eine Führung nicht mehr aus der Hand gegeben. Aber auch Statistiken sind nicht für die Ewigkeit. Zwar begann die zweite Hälfte mit einer Großchance durch Dennis Diekmeier vielversprechend (47.), doch der Rechtsverteidiger konnte seinen Torfluch nicht beenden (s. Bericht unten).

VfL-Trainer Hecking reagierte, gab das Signal zum Angriff, brachte mit Bas Dost und Ivan Perisic zwei frische Offensive. Eine kluge Entscheidung. Fast mit seinem ersten Ballkontakt flankte Perisic in die Mitte, wo Makoto Hasebe zum Ausgleich einköpfte (65.).

Es war fast schon ein Wunder, dass der HSV in der Folge nicht in Rückstand geriet. Die Profis konnten sich bei Dost bedanken, der sein ganzes Unvermögen zeigte, als er bei zwei Riesenchancen frei an Drobny scheiterte (75., 76.). Kurz zuvor hatte der Tscheche glänzend bei einem Kopfball Naldos reagiert (72.).

Und der HSV? Kämpfte und arbeitete wacker, aber ohne die geeigneten Werkzeuge gegen nun bessere Wolfsburger (Hecking: "Das war Note eins von uns"). An diesem Gesamteindruck konnten auch die zwei Chancen durch van der Vaart (82.) und vor allem Son (90.) in der Schlussphase nichts ändern.

Auch wenn Fink mit Recht darauf hinwies, dass die Niedersachsen das fünftbeste Rückrundenteam stellen, so musste er unterm Strich doch im Sky-Interview zugeben: "Natürlich wird es immer schwieriger mit der Europa League. Wir sind auf einem gutem Weg uns zu stabilisieren, sind aber noch nicht reif für Europa League."

Seine Folgerung, dass man den Verein nur mit Kontinuität nach vorne bringen könne, bezog er nur auf das Traineramt, nicht aber auf den Spielerkader: "Wir müssen konsequent sein, müssen einen Schnitt machen. Wir brauchen Spieler, die mitziehen und Gras fressen für den Verein."

Restprogramm: Frankfurt (49 Punkte): in Bremen und gegen Wolfsburg. Freiburg (48 Punkte): in Fürth und gegen Schalke. HSV (45 Punkte): in Hoffenheim und gegen Bayer Leverkusen. Gladbach (44 Punkte): In Mainz und gegen den FC Bayern

Statistik

HSV: Drobny - Diekmeier, Westermann, Rajkovic, Lam (88. Bruma) - Rincon (78. Ilicevic), Badelj - Son, Jiracek (84. Beister) - van der Vaart, Rudnevs. - Trainer: Fink

Wolfsburg: Benaglio - Hasebe, Naldo, Knoche, Rodriguez - Medojevic, Polak - Vieirinha (85. Marcel Schäfer), Arnold (64. Perisic), Diego - Olic (64. Dost). - Trainer: Hecking

Schiedsrichter: Jochen Drees (Münster-Sarmsheim)

Tore: 1:0 Westermann (45.), 1:1 Hasebe (65.)

Zuschauer: 50.135

Gelbe Karten: Son (4), Rincon (2), Diekmeier (6) - Vieirinha (2), Perisic (2)