Das 1:2 im Stadtduell gegen St. Paulis U23 besiegelt fast schon den Abstieg der Zweiten Mannschaft des HSV. Dabei waren sie sogar in Führung gegangen.

Hamburg . Unmittelbar nach dem Abpfiff riss sich Lennard Sowah sein Trikot vom Leib, traktierte den Spielertunnel der Imtech Arena mit Händen und Füßen und schrie sich seinen Frust von der gequälten Fußballerseele. "Das gibt es doch nicht. Immer dieselbe Scheiße", fluchte Sowah und knallte die Tür mit der Aufschrift "U23 Trainingszentrum" krachend hinter sich zu. Wenige Sekunden später ertönte von drinnen ein heftiger Rums.

Das ramponierte Mobiliar dürfte für Hamburgs zweite Mannschaft nach dem 1:2 im Regionalliga-Derby gegen St. Pauli II jedoch derzeit das geringste Problem darstellen. Denn wenn nicht alles täuscht, erlebten die 460 Zuschauer, die sich trotz der ungünstigen Ansetzung parallel zu den Profiteams nicht vom Stadionbesuch abhalten ließen, den Abgang des HSV II aus Liga vier. Besiegelt wurde dies ausgerechnet durch den Stadtrivalen vom Kiez. Acht Spiele vor Saisonschluss - die Partien gegen den insolventen VfB Lübeck werden nicht gewertet - ist die Truppe von Rodolfo Cardoso, von 1996 bis 2004 selbst als virtuoser Ballstreichler im HSV-Mittelfeld unterwegs, zwei Plätze, acht Punkte und zehn Tore vom rettenden Ufer entfernt. Dort rangiert Bremens Vertreter Oberneuland, der noch zwei Partien mehr auszutragen hat.

"Wir werden alles versuchen, bis es nicht mehr geht", sagte Cardoso nach dem erneuten Rückschlag. Engagement hatte sein neu formiertes Team, das vor der Saison 15 Abgänge und acht Zugänge, davon sieben aus der A-Jugend, verzeichnete, auf dem Rasen immerhin gezeigt. In den vergangenen Monaten war die Zweite des HSV für mehrere leblose Auftritte gescholten worden. Daran hatten auch Gastspiele aus der Profi-Abteilung nichts ändern könnten.

Diesmal avancierte der mit zehn Einsätzen einzige HSV-Akteur mit Bundesligaerfahrung, Zhi Gin Lam, zum Aktivposten - in Hälfte eins über die linke, in Hälfte zwei über die rechte Außenbahn. Zum Helden wäre in einem durchschnittlichen Derby aber fast ein anderer geworden. Eine Minute nach seiner Einwechslung überwand George Kelbel nach einer Flanke von Manuel Farrona Pulido Benedikt Pliquett im Gehäuse der St. Paulianer (67.). Nach dem Spiel schlich Kelbel wie ein geprügelter Hund in die Kabine.

Denn sein Treffer entpuppte sich als Auftakt zum HSV-Drama. Lam spielte eine Überzahlsituation schlecht aus (68.), Kelbel vergab alleine vor Pliquett (70.) - und so fiel statt des 2:0 der Ausgleich. Der bis dahin umsichtig leitende Schiedsrichter Markus von Glischinski sprach den Gästen nach einer angeblichen Berührung an Lasse Schlüter einen fragwürdigen Elfmeter zu. Erdogan Pini verwandelte sicher (75.). Die seit dem 16. September daheim sieglose HSV-Zweitvertretung wurde nun richtig nervös.

Die Gäste nutzten dies aus. Ausgerechnet der ehemalige HSV-Akteur Dennis Duve flankte auf den vier Minuten zuvor eingewechselten Modjieb Jamali, und dieser markierte mit einem herrlichen Volleyschuss das 2:1. Die neun Fans im St.-Pauli-Block jubelten, und Jamali, zuletzt ein halbes Jahr vereinslos, genoss "das brutale Gefühl, in meinem ersten Einsatz für St. Pauli das Derby zu entscheiden".

Die HSV-Spieler fluchten oder schwiegen. Mit Ausnahme von Kapitän Henrik Dettmann. "Wir müssen das 2:0 machen, dann sind wir durch", analysierte Dettmann, Cardoso sah es ebenso. Die Glückwünsche seines Trainerkollegen Jörn Großkopf zur Zulassung zum Trainerlehrgang nahm der Argentinier, dem die Verantwortlichen bisher den Rücken stärken, traurig entgegen. "Wir hoffen weiter auf Profiunterstützung", sagte er. Es klang wie eine Durchhalteparole. Wird der HSV II nicht noch durch die Lizenzentzüge anderer Klubs gerettet, so wird seine Spielzeit 2012/13 wohl in die Geschichte eingehen. Als Jahr, in dem sich der Traditionsverein mit seinem Verjüngungskurs für den Profinachwuchs total verzockte - und zur Strafe in der Oberliga Hamburg landete.